Als „Workshop Guide“ ist das Buch betitelt, das aus der Küche des Schweizer Design- und Architekturbüros atelier oï stammt. Das mit der Küche kann man in diesem Fall fast wörtlich nehmen: Nämlich als Absicht, Einblick in die „méthode atelier oï“ zu bieten, zu zeigen, mit welchen Ingredienzien und welchen Arbeitsweisen das inzwischen auf über 35 Mitarbeiter gewachsene Team seine Ideen zu Entwürfen und Produkten entwickelt. Eine kurze Einleitung in französisch, deutsch und englisch von Renate Menzi nimmt die kulinarische Metapher auf: „Es funktioniert wie mit der Hefe und dem Brot, wenn die Designer etwas von einem zurückliegenden Projekt mitnehmen und daraus einen neuen Teig aufgehen lassen.“ Die Kuratorin der Designsammlung des Museum für Gestaltung Zürich versammelt die Leitmotive, welche die disziplinübergreifende Gestaltung aus dem Hause atelier oï prägt. Die Designer verweigerten sich von Beginn an der Spezialisierung und so fanden Aufträge vom Parfümfläschchen für Bulgari bis hin zum Umbau eines Motels aus den sechziger Jahren zum neuen Ateliergebäude ins Portfolio. Statt sich zu spezialisieren, bearbeitet atelier oï was zwischen Produktdesign, Szenografie und Architektur angesiedelt ist. Denn dieses Dazwischen, so meint Renate Menzi, vervielfältige das gestalterische Potenzial und führte das Atelier zu immer grösseren Projekten: Von der Uhrenverpackung für Swatch zum Kompetenzzentrum DYB für Juweliere in Corcelles bei Neuenburg – eine dreistöckige, siebzig Meter lange Fabrik mit integrierte Ausstellung, die zum Swatch-Konzern gehört.
Produktideen im Dialog entwickeln
Die im besten Sinn undisziplinierte Arbeit wiederum ist erfolgreich, weil atelier oï ihre eigene Methode entwickelt haben. Die drei Gründer fanden 1991 zusammen, gleich nach ihrer Ausbildung. Der Entscheid, im kleinen La Neuveville, nahe der Sprachgrenze zur Deutschschweiz zu bleiben und nicht in eines der beiden Design-Zentren Zürich oder Lausanne zu wechseln, fällte atelier oï bewusst. Das halte sie aktiv und in Bewegung. Doch inzwischen werden sie längst aus aller Welt besucht. Das war nicht immer so, und die Anfänge in den neunziger Jahren waren hart.
„Alle Fehler, die wir machten, aber auch alle Erfolge, die wir in den letzten zwanzig Jahren verbuchen konnten, gehen allein auf uns zurück“, erklärte Aurel Aebi kürzlich bei einer Pressekonferenz. Zusammen mit Patrick Reymond und Armand Louis hat er atelier oï gegründet, und seither spielen die drei Partner gleichberechtigt zusammen. Nicht von ungefähr stammt denn auch ihr Name von der Wortmitte des russischen Wortes Troïka ab. Im Dreigespann fanden sie ein Modell, das das Prinzip ihrer Zusammenarbeit ausdrückt. „Produktideen entstehen im Dialog, und nur wer zuhören kann, vermag auch zu überzeugen“, so lautet ihr Credo. Und weil man nicht im Kollektiv zeichnen kann, ist die Auseinandersetzung am Materialmuster, am Modell, am Prototyp zentral.
Tausende Materialmuster griffbereit
Material heisst Experiment. Konventionen, wie mit Materialien umgegangen werden muss, hinterfragen sie gerne. Vogelkörner werden zum fressbaren Vogelhäuschen gepresst, Papier wird gestapelt, Stoff in Schwingung versetzt, Seile versteift und Gelatine in löchrige Formen gegossen. Die studioeigene Matériothèque umfasst inzwischen mehrere Tausend Muster, immer griffbereit. Ebenso wichtig ist das Archiv mit Modellen und Systemteilen, das von Beginn an aufgebaut wurde. Dieses Archiv ist inzwischen so etwas wie ein materialisiertes kollektives Gedächtnis und wichtige Voraussetzung dafür, dass Ideen von einem Projekt ins nächste wandern können. „Besonders wenn unter Zeitdruck gearbeitet werden muss, ist dieses vorhandene Repertoire essenziell.“
Ideen im Staffellauf
Zeitdruck herrschte etwa bei einer Anfrage, die aus Mailand kam. Knappe fünfzehn Tage mussten reichen, eine Ausstellung für das Centro Culturale Svizzero zu entwickeln. Was das Salone-Publikum 2006 schliesslich begeisterte, knüpfte an eine szenografische Arbeit für das Mudac Lausanne an, mit der ein Jahr zuvor die Preisträger des Eidgenössischen Wettbewerbs ausgestellt wurde. Und dann entwickelten die Designer das Prinzip weiter, um es 2010 für einen Beistelltisch, Stumme Diener und Garderoben in der Kollektion Atelier Pfister wieder aufleben zu lassen. Die Arbeit mit den Seilen, die in Centro Culturale einen fulminanten Auftritt hatte, wurde später zu zwei Produkten weiterentwickelt: Aus den gigantischen, im Raum verteilten Garnrollen wurde „Reel“, eine Familie von Beistelltischen, die 2008 von B&B Italia lancierten wurden. Aus den Garnrollen kamen Stränge, die als Glockenseil dienten. Bewegte man sie, brachte man Körper aus einzeln aufgehängten Aluminiumstäben in Schwingung. Aus diesen Körpern wiederum entstand ein Jahr später die Leuchten „Allegro und Allegretto“ für Foscarini. Eine Idee folgt auf die andere, und solche Entwicklungen vom einen ins andere Projekt lassen sich im reich illustrierten Buch zu Hauf entdeckten.
Das Bilderbuch, thematisch gegliedert und mit knappen Einführungen ergänzt, lädt zum Schauen ein. Schade nur, dass es buchgestalterisch nicht auf der Höhe der Entwürfe von atelier oïs ist. Für ein Bilderbuch ist die Qualität der Bilder zu disparat, für ein Arbeitsbuch wirkt es zu gestaltet. Und so nimmt man stattdessen das 2004 erschienene, streng alphabetisch gegliederte Werkverzeichnis zur Hand: Ein Buch, das als Werkzeug und sinnenanregendes Inspirationsbuch seine Dienste tut.
Workshop Guide atelier oï
Von Renate Menzi
Hardcover, 224 Seiten, deutsch/englisch/französisch
Avedition, Ludwigsburg, 2012
39,90 Euro
www.avedition.de