Sommer, Sonne, offenes Fahren: Auf dem Golfplatz des Seebades Deauville in der Normandie feierte vor 45 Jahren ein Auto Premiere, das bis heute Designer und Konstrukteure zu eigenen Entwürfen anregt. Ausgerechnet Deauville im Mai 1968! Dabei ist der Citroën „Méhari“ gerade kein Luxusvehikel, auch wenn der Ort und die glamouröse Präsentation anderes nahelegen. Dem Zeitgeist entsprechend wurden zwanzig Mannequins in unterschiedlicher Verkleidung aufgeboten: in Hippie-Gewändern, roten Ganzkörperkostümen, im Bikini sowie – revoluzzerhaft – mit Maschinen-Pistolen im Anschlag. PR-Einfälle der Sixties! Dabei hatte der „Méhari“ solche Scherze kaum nötig. Seine Technik stammte vom Citroën Dyane 6, einem kurz zuvor eingeführten Modell, das die Ingenieure des Herstellers Panhard entwickelt hatten, den Citroën 1965 übernahm. Der Name „Méhari“ wurde von domestizierten Dromedaren Nordafrikas entlehnt, mit denen man vergleichsweise schnell reiten kann. Frankreichs Kolonialzeit war gerade erst zu Ende gegangen.
Arbeitsgerät und Ferienvehikel
Er sei gleichermaßen als „instrument de travail“ wie als „voiture de vacances“ gedacht, heißt es in einem frühen Werbeprospekt ebenso knapp wie sachlich. Der „Méhari“ war als eierlegende Wollmilchsau konzipiert, als Gebrauchsgegenstand für das Leben auf dem Lande, am Meer und in unwegsamem Gelände. In der ersten Pressemitteilung ist allerdings auch von seinen Vorzügen für den öffentlichen Sektor die Rede, für Polizei, Feuerwehr, Militär und Zoll. Mit seinem luftgekühlten 602cm3-Motor und knapp 9 PS gehört der „Méhari“ zu den typischen kleinen Citroën-Modellen jener Zeit, vom „2CV“ über den „Dyane“ bis zum „Ami“. Bei 3,50 Meter Länge wiegt er leer 525 Kilogramm. Für Fahrer und Beifahrer gibt es zwei spartanische Sitze, eine Sitzreihe für zwei weitere Mitfahrer ist optional.
Anders als Offroad-Spaßmobile der Gegenwart war der Jeep-ähnliche Kleinwagen ein robuster Gebrauchsgegenstand mit allerdings einfachster Ausstattung. Das Kunststoffdach konnte Wind und Wetter kaum abhalten, ein reines Schönwetter-Auto also. Kaum vorstellbar, dass ein Cabrio mit vergleichsweise flacher Bordwand einst als verkehrstauglich galt. Bis zur Durchsetzung von Kopfstützen und Sicherheitsgurten sollte noch ein wenig Zeit vergehen. Fürs Überleben im Falle des Überschlags bot die fein gefasste klappbare Windschutzscheibe keinerlei Garantie. In Deutschland bekam der „Méhari“ wegen seiner feuergefährlichen Kunststoffbauweise keine Zulassung. Seiner Beliebtheit in Urlaubsregionen des Südens tat dies allerdings keinen Abbruch.
Unternehmer mit Lenin-Orden
Die Besonderheit des „Méhari“ ist seine Karosserie aus ABS-Kunststoff, dem Material aus dem auch bunte Lego-Spielsteine bestehen und inzwischen Stoßfänger der meisten Autos gefertigt werden. Auf einen tragenden Stahlrohrrahmen wurde die ABS-Beplankung aufgenietet. Material, Konstruktion und Fertigungstechnik brachte der französische Unternehmer, Freiheitskämpfer und Kunststoff-Pionier Roland de la Poype (1920 bis 2012) ins Spiel, der maßgeblichen Anteil an der Entwicklung des „Méhari“ hatte. De la Poype, ein Graf, gehörte während des Zweiten Weltkriegs als Jagdflieger zu den „Normandie-Niémen“, einer in der Sowjetunion eingesetzten französischen Fliegerstaffel. Neben französischen Auszeichnungen erhielt er dafür unter anderem den Lenin-Orden der UdSSR. 1947 gründete er die „Société d’Etudes et d’Applications de Brevets” (SEAB), die Kunststoff-Produkte aller Art entwickelte. Anfang der 1950er Jahre erfand er für L’Oréal die Shampoo-Portions-Packung, deren Form Victor Vasarely schuf.
Der Graf lies sich vom britischen „Mini-Moke“ inspirieren. Dessen konventionelle Metallkonstruktion ersetzte er durch eine Mischbauweise mit einem leichten, durchgefärbten Kunststoff. Den Entwurf für die Karosserie lieferte Jean-Louis Barrault (der Designer, nicht der Schauspieler). Barrault hatte bis dahin wenig mit Automobilen zu tun, von 1963 bis 1988 entwarf er das Design sämtlicher Moulinex-Geräte. Auch das französische Lotto-Signet hat er gestaltet. Der „Méhari“ ist vergleichsweise additiv konstruiert. So wird die Motorhaube mit Lederriemen befestigt.
Innerfranzösische Angelegenheit
Bis 1987 blieb der „Méhari“ im Programm von Citroën. Insgesamt wurden rund 144.000 Exemplare gebaut. Etwa 1200 davon als Allrad-Version, die 1979 auf den Markt kam. Anders als der VW-Kübelwagen, („ein Wagen für Männer, die durchkommen müssen“, so die Werbung im Jahr 1970), fehlte dem „Méhari“ der militärische Touch. Neben Herstellern von Replika-Bausätzen (etwa „El Cid“ aus Düsseldorf) inspirierte das französische Plastik-Strand-Auto immer wieder auch Designer zum Weiterdenken. Für Matali Crasset ist es „ideal für das Land, sehr einfach und praktisch.“ Philippe Stark und Kartell stellten 1996 in Mailand die offene Studie „Toto la Toto à Toto“ vor, einen weißen Nachkommen des „Méhari“ und ein „Nicht-Auto“ wie der Designer stolz verkündete. Es blieb bei Studien und Modellen. Auch Starcks Elektro-Wägelchen „V+“ für Volteis zitiert Ideen des „Méhari“. Trotz fein gestalteter Sitze mit geflochtener Dedon-Faser erinnert es jedoch eher an einen aufgemotzten Golf-Caddy. Der Schweizer Autoveredler und Designer Frank M. Rinderknecht zeigte 2001 auf dem Genfer Autosalon mit seinem Konzept-Car „BamBoo“, was passieren würde, wenn man heutige Technik und integratives Design mit den Strand-Visionen von einst morphen würde: Ein buntes Kulleraugen-Etwas auf Rädern, mit nachhaltigem Bambus-Anteil im Kunststoff-Gehäuse.
Nicht der Not leidende PSA-Konzern mit seiner Marke Citroën, sondern der japanische Hersteller Toyota präsentierte nun kürzlich die Designstudie „Me.We“ von Jean-Marie Massaud. Das europäische Toyota-Design- und Entwicklungszentrum ED2 ist in Nizza beheimatet. Die Zusammenarbeit des bekannten Industriedesigners mit dem Autohersteller war somit beinahe eine innerfranzösische Angelegenheit. Dennoch interpretiert „Me.We“ nicht einfach formale Aspekte des „Méhari“ neu, sondern geht auf dessen radikal minimalistisches Konzept zurück.
Zulässig für die Zukunft?
Der Name „Me.We“ soll eine Verbindung aus Individualismus und Altruismus symbolisieren und für eine künftig verantwortlichere Art der Mobilität stehen. Der Gitterrohrrahmen des Elektroautos besteht aus Aluminium, seine Karosserie aus geschäumtem Polypropylen wiegt nur 14 Kilogramm. Boden, Haube und Dach bestehen aus Bambusholz. Das Fahrzeug mit Radnaben-Motoren (mit zwei oder vier angetriebenen Rädern) soll insgesamt nur 750 Kilo wiegen. Zugleich bietet der durchgefärbte Kunststoff vielerlei Möglichkeiten, die Außenhaut dreidimensional zu gestalten. „Me.We kann ein Pickup sein, ein Cabrio, ein Offroader und ein kleines Stadtauto und alles auf einmal“, behauptet Toyota. Im Innern warten frei schwebende Polster-Sessel und Sofas auf die Nutzer. Anders als das Elektro-Kunststoff-Auto BMW „i3“, mit seiner crash-sicheren Karbonzelle ist „Me.We“ trotz seiner visuellen Reize derzeit purer Futurismus. Ob und wann ein vergleichbares Fahrzeug jemals gebaut wird, ist völlig offen.
Kein Wunder, denn schon die Zulassungsstellen dürften mit einer Karosserie aus Polypropylen ihre Schwierigkeiten haben. Das Material lässt sich nicht nur zu 100 Prozent recyceln, wie Hersteller und Designer betonen. Polypropylen ist vor allem, wenn es schwer entflammbar sein soll, nicht für den Außeneinsatz konzipiert. Die offenporige Struktur der Beplankung des „Me.We“ sieht zwar toll aus, wenn sie neu ist, dürfte aber Schlamm, Dreck und Sand weit weniger gut widerstehen als das Vorbild. Schade eigentlich. Vom schönen Bild zum funktionierenden Fun-Produkt ist es ein weiter Weg. Auch und gerade 45 Jahre nach „Méhari“.
Promotion-Video von Toyota zum Me.We:
www.youtube.com
www.citroen.com
www.toyota.com
www.starck.com