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Minnette de Silva bei der Inspektion der Arbeiten am De Saram-Haus, Colombo, Sri Lanka, 1951

Blickpunkt: Architektinnen – Minnette de Silva

In unserer Serie "Blickpunkt: Architektinnen" stellen wir Ihnen in regelmäßiger Folge das Werk von Architektinnen vor – die Architektin Minnette De Silva aus Sri Lanka war eine wahre Pionierin und vereinte in ihren Projekten Tradition und Moderne. Höchste Zeit, ihre Arbeit wiederzuentdecken.
von Florian Heilmeyer | 26.09.2022

Die Architektin Minnette De Silva (1918-1998) war in vielem die Erste: Sie gehörte 1938 zu den ersten Frauen, die in Mumbai zum Architekturstudium zugelassen wurde. Sie war 1945 unter den ersten Frauen aus den britischen Kolonien, die an der ehrwürdigen Architectural Association in London studieren und ihren Abschluss machen konnten. Anschließend wurde sie als erste Frau aus Asien zum Mitglied des Royal Institute of British Architects (RIBA). Und als sie 1948 in ihr gerade unabhängig gewordenes Heimatland Sri Lanka zurückkehrte, war sie dort die erste Architektin, die ein eigenes Büro ohne männlichen Partner eröffnete. Mit ihren wegweisenden Wohngebäuden wurde sie in den 1950er- und 1960er-Jahren zu einer der prägenden Figuren des Tropical Modernism – einer selbstbewussten Mischung der Moderne westlicher Bauart mit lokalem Wissen und Handwerk. Selbst 1996 gehörte sie noch zu den Ersten, als sie nur zwei Jahre vor ihrem Tod als erste Frau die Goldmedaille des Sri Lankan Institute of Architects (SLIA) erhielt. Minnette De Silva war eine wahre Pionierin, die Anderen – Männern und Frauen – in vielerlei Hinsicht den Weg ebnete. Dennoch ist ihr Name heute kaum jemandem geläufig. Es ist schön, dass sich das jetzt langsam ändert.

Minnette De Silva kam am 1. Februar 1918 zur Welt. Sie war das Kind aus einer gemischt religiösen Ehe, was im damaligen Ceylon ungewöhnlich war. Der Vater George De Silva war Singhalese und Buddhist, arbeitete als Rechtsanwalt und Politiker. Er gehörte zu den Reformern, die sich beständig und geduldig für die Unabhängigkeit der britischen Kolonie einsetzten. Die Mutter Agnes Nell stammte hingegen aus einer christlichen Burgher-Familie mit niederländischen Wurzeln und kämpfte ihrerseits für das Frauenrecht, das in Ceylon bereits 1931 eingeführt wurde – als erstes asiatisches Land. Im Haus der Eltern trafen sich Intellektuelle, Künstler, Politiker und Aktivisten. So wuchs Minnette nicht nur in der Oberschicht Ceylons auf, sondern auch mit einer bestimmten Grunderfahrung, sich mit viel Einsatz und einem langen Atem für eine Sache einzusetzen.

In ihrer Autobiografie "The Life & Work of an Asian Woman Architect" schrieb De Silva, dass sie schon als Kind Architektin werden wollte. Dieser Wunsch war für eine Frau damals äußerst ungewöhnlich und führte zwangsläufig in eine extrem von Männern dominierte Welt. In Ceylon gab es nicht die Möglichkeit, Architektur zu studieren und so arbeitete sie zuerst als Büropraktikantin in Colombo und später in Bombay. Ihre Hartnäckigkeit überzeugte die Eltern schließlich und so zahlten sie der Tochter Kurse an einer privaten Architekturschule in Bombay. Dort fand Minnette De Silva rasch Anschluss an die politischen und intellektuellen Zirkel und gehörte zu den Gründern der indischen Kunstzeitschrift MARG, für die sie zeitweise den Architekturteil betreute. Zu Beginn der 1940er-Jahre wurde sie als eine der ersten Frauen zum Architekturstudium an der staatlichen Universität in Bombay zugelassen – nur um nach der Teilnahme an einem Streik für die Freilassung Ghandis Anfang der 1940er-Jahre wieder exmatrikuliert zu werden. Stattdessen arbeitete sie weiter für MARG und parallel im Büro des deutschen Architekten Otto Königsberger in Bangalore. Der war vor den Nationalsozialisten aus Deutschland geflohen und inzwischen zum Staatsarchitekt der südindischen Provinz Mysore aufgestiegen. Bei Königsberger lernte De Silva erstmals moderne Stadtplanung und Architektur westlicher Prägung quasi aus erster Hand. In seinem Büro arbeitete sie an neuen Stadtplanungen und Infrastrukturprojekten im großen Maßstab. Dann half ihr der Zufall: Während eines kurzen Aufenthalts bei ihren Eltern kam sie mit dem britischen Gouverneur ins Gespräch, der sich die Geschichte ihres abgebrochenen Studiums genau anhörte und sie, die bereits als Kind in England zur Schule gegangen war und fließend Englisch sprach, an die Architectural Association in London empfahl. Im Herbst 1945 konnte De Silva dort ihr Studium fortsetzen und bis 1948 abschließen.

Im kriegsmüden London muss De Silva eine bemerkenswert exotische Erscheinung gewesen sein – ein Dasein, das sie offenbar genussvoll zelebrierte. Berichten zufolge trug sie stets farbenfrohe Saris und schmückte sich das traditionell hochgesteckte Haar mit frischen Blüten. Augenzeugen berichteten, die männlichen Mitstudenten hätten sich darum gerissen, ihre Taschen, Zeichenutensilien und Bücher zu tragen. De Silva, die ihr Leben lang unverheiratet blieb, soll einmal über die Ehe gesagt haben, ein Ehemann sei doch eigentlich nur dafür gut, einem die Tasche zu tragen. So hatte De Silva auch in London keine Schwierigkeiten, in die illustren Kreise der Nachkriegsgesellschaft aufgenommen zu werden. Auf Partys und Festen war sie ein gern gesehener Gast. Auf dem Gruppenfoto zum 6. CIAM-Treffen 1947 im englischen Bridgwater saß sie in der ersten Reihe zwischen Cornelis van Eesteren und Walter Gropius – eine von nur zehn Frauen unter den 75 Teilnehmern und die einzige aus Asien. Obwohl sie kein offizielles Mandat hatte, galt sie beim CIAM als Vertreterin von Indien und Ceylon. Zu schade, dass es nur Schwarzweißfotos von diesen Treffen gibt. Sonst würde uns sicher noch viel deutlicher ins Auge springen, welch intensiver Farbtupfer die 29-jährige De Silva in dieser Welt der grauen europäischen Herren in ihren dunklen Anzügen gewesen sein muss. Sie reiste nach Paris, um Le Corbusier zu treffen und es begann eine lebenslange Freundschaft. Gearbeitet hat sie nie mit ihm, aber er sei, sagte sie, einer der wenigen gewesen, der ihr Interesse an der Architektur ernst genommen habe. In ihren Schriften und in ihren Gebäuden wird sie immer wieder Corbusier-Zitate verarbeiten, ihr Leben lang. Le Corbusier wiederum nannte sie "meinen kleinen Inselvogel", lernte aber wohl begierig viel von ihr über Indien und Sri Lanka, ein Interesse, das ihn später – unter anderem – bis nach Chandigarh bringen würde.

Nach ihrem Abschluss verließ Minnette De Silva 1948 Europa, um nach Sri Lanka zurückzukehren, das soeben seine Unabhängigkeit vom britischen Empire errungen hatte. Ihr Vater, inzwischen Minister für Industrie und Fischerei, hatte sie gedrängt, zurückzukommen, um als Architektin nun ihren Teil zum Aufbau der jungen Nation beizutragen. Allerdings hatten ihre Eltern sich eher vorgestellt, die Tochter würde eine sichere Stelle als Angestellte suchen. Stattdessen eröffnete Minnette ihr eigenes Büro in Kandy, ihrer Heimatstadt. Im Gepäck hat sie die Ideen der westlichen Moderne, aber De Silva war klug genug, um diesen gegenüber eine kritische Position einzunehmen. So entwickelte sie keine Pläne im Sinne einer "Heroischen Moderne" wie ihr Mentor Le Corbusier sie vorgelebt hatte. De Silva schwebte keine Modernisierung vor, die die alten Traditionen ablehnte und deren Gebäude als hoffnungslos rückständig verurteilte. Zu oft hatte sie mit ihren Eltern die antiken Tempel im Innern Sri Lankas bereist und deren Architektur bewundert. Neben Le Corbusier folgte sie ebenso begeistert den Ideen des sri-lankischen Philosophen Ananda Coomaraswamy, der sich energisch für die behutsame Erneuerung der alten Traditionen und Kulturen gegenüber der westlichen Dominanz einsetzte. Und so fanden in De Silvas Architektur letztlich genau diesen beiden nur scheinbar gegensätzlichen Pole zueinander: Sie mischte die Ideen der westlichen Moderne und des Fortschritts mit lokalem Wissen, traditionellen Bauweisen und Raumphilosophien zu etwas gänzlich Eigenständigem.

De Silva hat vor allem Wohnhäuser entworfen, deren Innenräume sich mittels überdachter Terrassen und Veranden mit den Außenräumen fließend verknüpften. So passte sie die Ideen eines offenen Grundrisses an die klimatischen Bedingungen ihrer Heimat an. Für die in Sri Lanka extrem wichtigen Feste, zu denen unendlich viele Verwandte kommen, konnten die großen Räume von De Silva mittels temporärer oder textiler Wände leicht vergrößert oder immer wieder neu eingeteilt werden. Sie integrierte traditionelle Elemente wie den mada midula (ein zentraler Innenhof), rangahalas (multifunktionale Zonen für Tanz und Musik) oder avanhalas (private Badräume unter offenem Himmel). Sie integrierte auch Kunsthandwerk, Wandmalereien oder reich ornamentierte Fliesen, Türen und Steinwände. Sie brachte Maler wie George Keyt oder Stanley Kirinde auf die Baustellen, damit Architektur, Handwerk und Kunst sich verbinden können. Sie ließ die Handwerker offene Ziegelwände bauen, durch deren ornamentale Muster der Wind Kühlung bringt und die Sonne Schatten wirft.

Gleichzeitig waren ihre Häuser von glatten, weißen Wänden umgeben, hatten große Fenster und Türen oder ein prägnantes Stützenraster: Mit dem Karunaratne House baute sie 1951 das erste Split-Level-Haus in Sri Lanka. Beim Pieris House von 1955 hob sie das Wohngeschoss auf ein Raster aus schlanken Betonstützen. Parkplätze sind neben den Gesellschafts- und Gemeinschaftsräumen unter dem Haus integriert, während die Schlaf- und Privaträume auf der oberen Ebene liegen, wo sie mehr Privatsphäre und eine bessere Belüftung bekommen. Das Pieris House kann als innovativer Prototyp für ein modernes Wohnen in den Tropen verstanden werden. Es erinnert dabei ebenso an eine weniger radikale Version von Le Corbusiers Villa Savoye wie an die antiken, aufgeständerten Holz- und Steintempel Sri Lankas. 1956 entwarf sie mit den Senanayake Flats in Colombo ihr vielleicht corbusier-artigstes Gebäude: eine dreigeschossige, geschwungene Struktur, die von breiten horizontalen Putzbändern gegliedert wird und deren offenes Erdgeschoss die schräg geschnittenen Betonpfeiler sichtbar lässt. Dieser Zeilenbau war anders als alles, was in Sri Lanka zuvor gebaut worden war. Es folgte eindeutig den Prinzipien, die Le Corbusier in "Vers une architecture" 1927 festgehalten hatte. Zeitgenössische Kommentatoren waren allerdings weniger begeistert.

Gleichzeitig haderte sie mit der ihr zugeschriebenen Rolle: Immer wieder beklagte sie sich, sie würde Aufträge verlieren oder gar nicht erst bekommen, nur weil sie eine Frau sei. Auftraggeber ließen ihre Pläne immer wieder von unabhängigen Experten – also Männern – prüfen, was De Silva zunehmend frustriert haben muss. Sie reiste viel, aber nach dem Tod ihrer Mutter 1962 nahmen die Reisen überhand und sie ließ ihr Büro, das sie weiterhin im Haus der Eltern betrieb, immer länger im Stich. 1973 schloss sie ihr Büro endgültig und kehrte nach London zurück, wo sie vor allem theoretisch arbeitet, bevor sie 1975 als Professorin für Architekturgeschichte an die Universität von Hong Kong ging. In den vier Jahren dort reformierte sie die Lehre in dem Sinne, dass wesentlich mehr Fokus auf die vielfältige Geschichte der asiatischen Architektur gelegt wurde, während Kollegen von ihr vor allem auf die westliche Architektur schauten. Sie kuratierte auch eine Ausstellung über traditionelle asiatische Architektur, die in London gezeigt wurde und die im Wesentlichen aus von De Silva selbst geschossenen Fotos bestand.

1979 kehrte sie nach Kandy zurück und versuchte, ihr Büro wieder aufzubauen. Aber die Aufträge blieben spärlich. Der einzige größere Auftrag für ein Kultur- und Veranstaltungszentrum für die Kandy Arts Association zeigte zwar einen ambitionierten Entwurf, der aber unter der Ausführung litt. Ein Dach stürzte noch während des Baus ein und die Auftraggeberin änderte mehrfach ihre Wünsche. Der britische Architekturforscher David Robson urteilte: "Dieses letzte große Projekt zeigte erneut die Kraft von De Silvas Ideen und die Originalität ihres Denkens, aber auch ihren Mangel an technischem Wissen." In den 1990ern kämpfte De Silva zunehmend mit Krankheiten. Sie starb 1998 in einem öffentlichen Krankenhaus in Kandy. Ihr Haus wurde ausgeräumt und verfiel langsam, bis es schließlich abgerissen wurde. Ihr gesamtes Archiv ist vermutlich verloren. So sind heute nur noch fünf Gebäude übrig, die sie entworfen hat, und einige Zeichnungen ihrer anderen Entwürfe. Denn eins hatte De Silva leider nicht von Le Corbusier übernommen: Dessen eifriges, beständiges Publizieren der eigenen Gedanken und Gebäude. Sonst wäre De Silva als so wichtige Pionierin einer viel behutsameren und klügeren Moderne wohl nicht für so viele Jahre in vollkommene Vergessenheit geraten. Eine gute Monografie, die das Werk von Minnette De Silva anhand des verbliebenen Materials versammelt und die verbliebenen Gebäude gründlich dokumentiert, ist mehr als überfällig.

David Robson – Minnette de Silva: The Life and Work of an Asian Woman Architect