Grenzen hinterfragen
Der Automobilhersteller Mini lancierte unter dem Signet "Mini Fashion" gemeinsam mit The Woolmark Company eine Capsule Collection namens "Field Notes", die anlässlich der Herrenmodemesse Pitti Uomo Anfang Juni in Florenz präsentiert wurde. Sabine Ringel, Creative Lead von Mini Fashion kommentiert: "Mini versteht sich klar als Trendsetter. So sind Mode-Schaffende schon immer von der Marke inspiriert gewesen. Mary Quant beispielsweise, die Erfinderin des Minirocks, hat ihr Masterpiece Berichten zu Folge nach ihrem Lieblingsauto benannt. Ein Mini ist mehr als ein Auto. Wer ihn fährt formuliert ein Statement, eine Haltung zum Leben, ähnlich wie man es über Bekleidung tut. So ist der Fokus auf Mode fast eine natürliche Erweiterung unserer Produktrange." Fast selbstverständlich mutet unter dieser Prämisse die Kooperation mit The Woolmark Company an, in deren DNA interdisziplinäres und vorwärtsgewandtes Arbeiten seit jeher fest verankert sind. Auf der Grundlage von Respekt vor Tieren, Umwelt und Mensch und einem exzellenten globalen Netzwerk über die komplette textile Wertschöpfungskette hinweg, treibt man die Möglichkeiten der Verarbeitung und Anwendung von Merinowolle konsequent voran.
Ausdruck dieser Ambition ist beispielsweise der renommierte und hochdotierte "International Woolmark Prize" zur Förderung junger Design-Talente in der Mode. Auch für die auf der Pitti präsentierte, gemeinsame Capsule Collection wurden vier aufstrebende internationale Designer ausgewählt und aufgefordert, das traditionelle Material Merinowolle neu zu denken. Dabei ließen die Initiatoren ihnen völlig freie Hand – bis auf eine einzige Vorgabe: persönliche Reiserinnerungen zu reflektieren und in die Entwürfe einfließen zu lassen. "Mehr als um die Überschreitung physischer Grenzen, die Bewegung von A nach B, geht es doch beim Reisen um persönliche Erfahrungen und das Verschwimmen von Grenzen zwischen Gefühlen, Kulturen, Perspektiven", so Sabine Ringel. Die vier kollaborierenden Designer – Liam Hodges aus Großbritannien, Rike Feurstein aus Deutschland, Staffonly aus China und PH5 aus den USA, stellen mit ihrem jeweiligen Beitrag zur Kollektion unter Beweis, wie unterschiedlich und heterogen kreativer Output ausfallen kann, wenn die Freiheit zur individuellen Interpretation gegeben ist. Auch wenn die Ausgangskoordinaten – Reisen und der Einsatz von Merinowolle – absolut identisch sind.
Liam Hodges befand sich zum Zeitpunkt der Anfrage in New York und da sich sein konzeptioneller Fokus stark an urbanen Subkulturen wie Hip-Hop, Skater- und Streetwear sowie Postpunk orientiert, erscheint es beinahe natürlich, dass er dem Big Apple in seinen Entwürfen Tribut zollt. "Von meinem ersten Besuch in New York City – ich war als Kind mit meinen Eltern dort – kannte ich nur Manhattan. Also wollte ich bei meinem zweiten Besuch nun unbedingt Brooklyn und die anderen umliegenden Bezirke erkunden. Und obwohl alles neu und aufregend war, hatte ich das Gefühl schon einmal dort gewesen zu sein. Wie bei einem Déjà-Vu. Es war fast unheimlich. "Ein Stückwerk aus heterogenen Reminiszenzen anhand von Denim- und Woll-Patchworks oder DIY-Anleihen markiert analog dazu seinen Beitrag zur Capsule Collection. Ausgesprochen stimmig schlägt er die Brücke von der Klassik zur Moderne. Etwa anhand einer Travel Pouch aus Wolle im tradierten Prince-of-Wales-Karo die er mit Hilfe neuer Techniken wasserdicht beschichtete. Die Verwendung von Wolle war für ihn dabei eine Herausforderung: "Zuvor habe ich Wolle nur ganz klassisch für Hosen oder Pullover verwendet. In meiner Kollektion nun gibt es beispielsweise ein Longsleeve aus Wolle, das wir mit einer Print-Collage aus Erinnerungsmomenten an New York bedruckt haben. Ich wusste ehrlich gesagt noch nicht mal, ob das überhaupt funktioniert."
Auch in der Arbeit der Berliner Designerin Rike Feurstein sind Grenzgänge immanent. Sie verbindet tradierte Naturmaterialien mit einer avantgardistischen Formensprache, wählt unerwartete Farbkombinationen oder integriert surreal anmutenden Elemente. Reisen bedeutet für sie eine nie versiegende Quelle der Inspiration, die konstant auf das Unterbewusstsein einzahlt: "Man nimmt so viele Eindrücke auf, dass man sie gar nicht unmittelbar verarbeiten kann und womöglich kehren bestimmte Bilder erst später zurück – Farben, Formen oder Strukturen. Aber ich bin überzeugt davon, all diese Fragmente irgendwo abzuspeichern, so dass sie früher oder später in meiner kreativen Arbeit wiederauftauchen."
Für Mini X Woolmark reiste die Modemacherin nach Sankt Petersburg und besuchte das rekonstruierte Bernsteinzimmer im Katharinenpalast in Puschkin: "Ich war total fasziniert vom Spektrum der Farben, den dieser fulminante Raum bietet. Darüber hinaus inspirierte mich die Fusion der aristokratischen Vergangenheit der Stadt mit der progressiven Sprache der Revolution, die in einer beinahe futuristischen Modernität des heutigen Russlands mündet. Also entwickelte ich drei verschiedene Kopfbedeckungen, welche die pre- und posthistorischen Stilelemente sowie die charakteristischen Schmuckfarben des Bernsteinzimmers aufgreifen." Das erste Modell in einem edlen Bernsteinton ist einer Lenin-Kappe nachempfunden, komplett aus Wolle und nahtlos gefertigt. Die zweite Kreation ist abgeleitet von der Melone, wie man sie von Charlie Chaplin kennt. "Ich habe die Form organisch und fließend gestaltet, außerdem ist meine Melone nicht schwarz sondern bordeauxfarben. So als würde sich die Revolution langsam in das Modell einschleichen", erläutert Feurstein. Ihr dritter und letzter Entwurf, das Remake einer Baseball-Kappe in Smaragdgrün, schlägt schlussendlich die Brücke in das heutige, vorwärtsgewandte Russland.
Das chinesische Designer-Duo Staffonly zeigte in Florenz eine gleichermaßen kompakte wie komplexe Kollektion, die dem Anspruch an Funktionalität in Verquickung mit Ästhetik auf überzeugende Weise gerecht wird. Zu ihrer Studentenzeit in London verbrachten Shimo Zhou und Une Yea viel Zeit im Greenwich Park, dessen saftiges Grasgrün zur Signature-Farbe ihrer Entwürfe wurde. "Es ist beinahe unmöglich, diesen magischen Ort zu vergessen", erzählen sie. "Der Duft von frisch geschnittenem Gras, der Geschmack von Tee und Gebäck, die entspannte Attitüde der Menschen – man möchte am liebsten für immer dort verweilen..." Für einen Trenchcoat, der sich wahlweise per Knöpfe oder Zipper schließen lässt, kombinieren sie ihr geliebtes Grün mit Streifen in Blau und Weiß und wecken Assoziationen an die typischen Mini Racing Stripes. Diese wiederum finden in der dekorativen Nahtführung einer passenden Jeans ihre Fortsetzung. Ein von der Utilitywear inspiriertes hellblaues Hemd mit applizierten, großzügigen Brusttaschen komplettiert den gut durchdachten und stimmigen Look. Das Highlight bildet ein Accessoire – eine multifunktionale Reisetasche die sich in einen Kleidersack verwandeln lässt und Platz bietet für die notwendigen Essentials, die ein spontaner Kurztrip erfordert.
Den vierten und letzten Beitrag zur Capsule Collection leisteten PH5 aus den USA, die für innovative Strickkollektionen bekannt sind – immerhin stammt eine der beiden Designerinnen, Wei Lin, aus einer Stricker-Dynastie. So wurde ihr die Expertise im Umgang mit Garnen bereits in die Wiege gelegt – die Arbeit für Mini und Woolmark macht dies beeindruckend deutlich. Lin und ihre Partnerin Mija Zhangin hinterfragten den etablierten Einsatz von Merino als klassische Winterware und verarbeiteten den Rohstoff mit einer innovativen Technik zu sinnlich leichten Sommerteilen. Passend zum lebendigen Flair der von ihnen auserkorenen Reisedestination – Miami Beach, genauer gesagt der dortige Art-Déco-Distrikt. Zhangin erinnert sich: "Als ich diese atemberaubenden Gebäude das erste Mal sah, war es ein ganz besonderes, fast eigenartiges Gefühl, eine starke Aufregung, die gleichzeitig sanft und beruhigend erschien. Art Déco ist eine enorm einflussreiche Designbewegung für mich. Nicht nur Verarbeitung und Konstruktion von Strukturen und Texturen sind einzigartig, auch die Farben und Muster haben mich seit jeher inspiriert. "Eben jene Aspekte markieren auch die Säulen des Beitrags von PH5. Besonderer Hingucker ist ein ärmelloser Jumpsuit, der ähnlich wie bei Staffonly die ikonischen Mini-Streifen aufgreift. Passend dazu ein delikater Pullover mit farblich abgesetztem Stehkragen und eingestricktem Mini- und PH5-Logo. Komplettiert wird die Edition durch einen handgehäkelten Schal in den Miami-Beach-Eiscremetönen Gelb, Hellblau und Lila, der die signifikante Ornamentik des Art Déco aufgreift und sich – ganz dem Anspruch des modernen Reisenden gerecht werdend – zu einer Decke umfunktionieren lässt. Die Kollektion "Mini Fashion – Field Notes" ist ab Herbst exklusiv und in limitierter Auflage über das Online-Portal Highsnobiety.com erhältlich.