MICROLIVING
Nasszelle oder offenes Bad?
Bei den zahlreichen Vorschlägen zum Thema "Wohnen auf kleinem Raum" oder "Microliving" bleibt das Bad bislang häufig ausgeklammert. Grund hierfür ist vielleicht, dass dieser Raum sowieso für Jahrzehnte auf knappste Abmessungen beschränkt blieb. Überhaupt ist das Badezimmer der Nachzügler im Raumprogramm der Wohnung. Für etwas mehr als ein knappes Jahrhundert hat es jetzt Einzug in die bürgerlichen Ein- und Mehrfamilienhäuser gehalten. Seine Abmessungen bestimmte lange das darin aufgestellte Badegefäß, also meist eine Wanne. Knapp sechs Quadratmeter benötigte Größe gibt 1902 das "Handbuch der Architektur" an, etwas mehr, wenn noch ein Badeofen aufgestellt werden musste. Trotz der knappen Abmessungen war dies natürlich ein enormer Fortschritt gegenüber dem in der Küche aufgestellten Zuber oder dem öffentlichen Wannenbad und blieb noch lange Privileg der Mittel- und Oberschicht.
Die Toilette, die häufig noch weit bis in das 20. Jahrhundert keine Wasserspülung besaß, wurde separat vom Badezimmer und aus hygienischen Gründen möglichst entfernt von allen Wohnräumen eingerichtet. Sie war zumeist nicht mehr als eine winzige Zelle. Erst mit der Verbreitung der Wasserspülung wurden beide Räume zu einer Einheit. Aber auch dann bestimmte noch lange optimale Raumausnutzung die Architektur der Bäder. Mit dem Aufkommen der Dusche wurde es sogar möglich, noch kleinere Badezimmer einzurichten, weil die platzraubende Wanne entfallen konnte. All dies hatte zunächst den Vorteil, dass alle Wohnungen, auch die bescheidensten, eigene Bäder erhalten konnten. Umgekehrt blieben auch die Badezimmer in größeren Wohnungen und Einfamilienhäusern lange klein und schmucklos, sie waren Funktions- und keine Aufenthaltsräume. Erst in den letzten 40 Jahren begann sich dies allmählich zu wandeln. Ähnlich wie die Küche ist das Bad mittlerweile zu einem Wohnraum geworden, bei dem die Aufenthaltsqualität eine große Rolle spielt. Längst geht es nicht mehr nur um Körperhygiene, sondern auch um Entspannung und Selbstoptimierung. Saunen, Dampfbäder und Floatingwannen, Regenduschen und Kneipbrausen – all das hat Einzug gehalten und nicht selten ist das "Masterbad" größer als das dazugehörige Schlafzimmer.
Ist das Mikrobad also einfach eine Rückkehr in die Sechzigerjahre? Oder haben sich die Anforderungen und Möglichkeiten auch bei Kleinstbadezimmern seitdem verändert? Braucht es zum Beispiel wirklich noch den großen Waschtisch, das "full size"-Waschbecken? Schließlich betreiben die Wenigsten dort noch ausgedehnte Körperhygiene, wie einst die Urgroßmutter an der Waschschüssel. Die Körper- und Haarreinigung findet in der Dusche statt. Für alles Übrige ist ein Handwaschbecken eigentlich ausreichend. Zu dieser Einsicht scheint man auch bei einigen Sanitärprodukteherstellern gelangt zu sein, wo man zunehmend Augenmerk auf dieses Thema legt. So finden sich unter den Gewinnern des Stylepark Selected Awards zur Sanitärweltleitmesse ISH 2019 gleich zwei bemerkenswerte Lösungen, die ein kleines Becken mit intelligent gestalteten Ablagemöglichkeiten vereinen. Alapes "Steel 19" von Sieger Design ist ein kompakter Waschtisch mit einem zusätzlichen Bord für Handtücher und Badutensilien. Ebenfalls 2019 mit dem Stylepark Selected Award ausgezeichnet wurde Konstantin Grcic für sein Handwaschbecken aus der Serie "Val" für Laufen. Die integrierte keramische Ablagefläche kann auf Kundenwunsch in der Länge passgenau dem zur Verfügung stehenden Raum angepasst werden – eine ganz neue Form des "Customizing". Zudem kann diese Fläche auch mit der passenden Toilettenpapierhalterung verlängert werden. Ein integrierter Handtuchhalter schafft weiteren Platz. Grcic, der große Vordenker des zeitgenössischen Designs, hat sich seit Längerem Gedanken über die Zukunft des Mikrobades gemacht. Und ist zu dem Schluss gekommen, dass das normgerechte Kleinbad, wie es den Planern seit den Zwanzigerjahren vor Augen stand, nicht die Lösung sein wird. Er glaubt, dass Wohnen auf kleinem Raum nur dann attraktiv sein kann, wenn die Bewohner ganz von individuellen Vorlieben bestimmte Komfortelemente auch dort besitzen oder nutzen können.
Dieser individuelle Badluxus auf kleinster Fläche beschäftigt Designer und Architekten derzeit immer wieder in Projekten und Studien. Die Spanne demonstrieren das Shared-Space-Konzept "Built by All" von Studiomama und das "Small Size Premium Spa"-Apartment von Sieger Design. Die Co-Living-Studie "Built by All", die der Thinktank MINI LIVING auf dem Salone del Mobile 2018 in Mailand präsentiert hat, basiert auf der Idee von individualisierbaren Kleinstapartments, die sich Funktionsräume wie Küchen oder Bäder miteinander teilen. Eines der an die eigenen Bedürfnisse anpassbaren Zimmermodule besitzt als persönliches Komfortmerkmal eine Duschzelle. Andere Wohneinheiten verfügen stattdessen über einen Nähplatz oder sogar ein winziges Tonstudio. In dieser Minimallösung wird die ungeteilte Dusche zum Luxusmerkmal.
Am anderen Ende der Skala besitzt das nur 3,5 Quadratmeter große Bad des "Small Size Premium Spa"-Apartments von Sieger Design fast alles, was im Bereich des privaten Spas zurzeit angeboten wird: Neben einer vertikalen Dusche und einem in die Decke integrierten Regenpanel sind Massagedüsen in verschiedenen Höhen in die Wände der Duschkabine eingelassen. Sie sollen etwa die Nacken- und Rückenpartien entspannen. Weitere Düsen machen andere Anwendungen möglich, etwa Aromawechselduschen oder Kneipp-Beingüsse. Eine kleine beheizte Sitzbank in der Kabine erlaubt, dass verschiedene Programme auch sitzend vorgenommen werden können. Selbstverständlich ist das kleine Luxusbad mit edlen Holzeinbauten und Armaturen (von Dornbracht) ausgestattet. Zum Wohn- und Schlafraum hin ist es lediglich durch eine halbtransparente Glaswand abgeteilt – um Tageslicht zu erhalten, aber vielleicht auch, um soviel Luxus ein wenig zur Schau zu stellen.
Überhaupt scheint sich beim Bad eine ähnliche Entwicklung wie bei der Küche anzudeuten: Es bleibt nicht länger ein isolierter Einzelraum, sondern wird mit anstoßenden Räumen zu einer Einheit. Bislang ist diese Tendenz hauptsächlich in Hotels zu beobachten. Werner Aisslinger trennt bei seinem 25hours Hotel "The Circle" in Köln das Bad nur noch mit einem Lamellengitter vom Schlafbereich. Allein die Toilette bleibt separat. Noch weiter gehen die Architekten beim soeben eröffneten Hotel Lindley Lindenberg in Frankfurt am Main. Hier ist die Toilette nur noch eine Kabine mit opaken Glasscheiben, die im Zimmer steht, während die Dusche Teil des Raumes ist.
Werden solche offenen Badgrundrisse auch in private Wohnungen einziehen? Ähnlich wie bei offenen Küchen erlauben sie schließlich auch bei beengten Platzverhältnissen einen großzügigen Raumeindruck und mehr Bewegungsfreiheit. Aber sind diese Lösungen mit dem Wunsch nach Intimsphäre im Bad vereinbar? Konstantin Grcic glaubt, dass auch in diesem Bereich die Berührungsängste schwinden und letztendlich die Vorteile überwiegen. Er verweist darauf, dass etwa die Trennung nach Geschlechtern bei Toiletten im öffentlichen Bereich zunehmend aufgegeben werde. Es wäre nur konsequent, wenn die Entwicklung des Bades von der Nasszelle zum Wohnraum dadurch fortgesetzt würde, dass die Grenze zu den anderen Wohnräumen – analog zur Küche – zunehmend schwindet. Voraussetzung hierfür wäre allerdings, dass die Feuchtigkeit kein Problem mehr darstellt. Auch die offene Küche konnte schließlich ihren Siegeszug erst in dem Moment antreten, als moderne Lüftungstechnik den Küchengerüchen wirklich wirkungsvoll zu Leibe rückte.
Auf Konzentration anstatt auf Öffnung setzt die Konzeptstudie "Saguaro", die von den Designstudenten Vitalij Krist und Florian Wagner im Rahmen der Workshopreihe "Burgbad lab" entwickelt wurde. Sie konzentrieren alle Zu- und Abflüsse für Toilette, Waschbecken und Dusche an einem Punkt. Die drei Funktionen sind radial um diesen zentralen Anschluss angeordnet. Stauelemente dienen als Raumteiler. Der Platzbedarf des Entwurfs ist minimal und dürfte unter zwei Quadratmetern liegen. Durch die Bündelung der Versorgungsleitungen entsteht zudem ein nur geringer Installationsaufwand. Noch ist "Saguaro" allerdings eine Studie, die ihre technische Umsetzbarkeit nicht unter Beweis stellen musste.
Einstweilen bleiben viele Lösungen beim technisch Bewährten: Das "Wohnglück-Smarthaus", ein mobiles "Tiny House" mit 25 Quadratmetern Grundfläche, das die Bausparkasse Schwäbisch Hall derzeit durch Deutschland touren lässt, verfügt über ein ganz konventionelles abgeschlossenes Kleinbad mit normalgroßem Waschtisch und Dusche. Hier wurde als besonderes Komfortmerkmal ein Dusch-WC des japanischen Herstellers Toto verbaut. Diese Technologie nimmt mittlerweile nicht mehr Platz als ein herkömmliches WC ein und ist deshalb auch für Mikrobäder geeignet.
Der Wannenspezialist Bette hat sich dagegen an eine der ältesten Methoden erinnert, im kleinen Bad Platz zu gewinnen: die Raumsparwanne. Diese Bauform, die am Fußende schmaler wird, kannte bereits das "Handbuch der Architektur" von 1902. Als Besonderheit ist "BetteSpace L" am Kopfende besonders breit, sodass zwei Badende nebeneinanderliegen können. Ein derart "unsittliches" Badevergnügen hätte man sich 1902 wohl nicht in den heimischen vier Wänden vorstellen können. Ob die Lösungen für die Zukunft des kleinen Bades also in der Vergangenheit liegen oder nicht, wird wohl ganz wesentlich von der Entwicklung des Zeitgeistes abhängen. Denn mehr als alle anderen Räume der Wohnung ist das Bad Spiegel unserer Vorstellungen von Privatheit. Unzweifelhaft sind die Menschen im Zuge der Urbanisierung bereit, die Privatsphäre zu reduzieren. Es wird spannend sein zu beobachten, wie weit sich dies auch bis in den intimsten aller Orte fortsetzt.