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Mike Meiré ist Gründer und Geschäftsführer der Kommunikationsagentur Meiré und Meiré.

Stylepark Flötotto
Möglichkeitsobjekte

Über die Schwerkraft der Tradition, hybride Möbel und updatefähiges Design: Mike Meiré erklärt im Gespräch mit Thomas Wagner, worauf es ihm bei der Neupositionierung des Traditionsunternehmens Flötotto ankommt.
01.04.2017

Flötotto ist kein unbeschriebenes Blatt für Mike Meiré, Gründer und Geschäftsführer der Kommunikationsagentur Meiré und Meiré. Bereits in den 1980er Jahren hat der Designer für und mit Elmar Flötotto gearbeitet. Nun, fast 30 Jahre später, sind die beiden Familienunternehmungen wieder zusammengekommen: Frederik Flötotto, Sohn von Elmar Flötotto, hat Meiré und Meiré beauftragt, ein neues Erscheinungsbild samt Kommunikationsstrategie für die Marke zu entwickeln. Was soll sich also verändern – und wie geht man bei der Entwicklung vor? Mike Meiré gewährt im Interview mit Thomas Wagner eine Preview und erläutert seine Ideen für Flötotto.

Thomas Wagner: Mit Flötotto verbindet Sie bereits eine gemeinsame Zeit. Was reizt Sie an der erneuten Zusammenarbeit mit dem Unternehmen? 

Mike Meiré: Nun, allein die Frage: Wie geht man mit einem Unternehmen um, das bereits jetzt seine eigene Geschichte hat? Dass immer wieder unglaublich starke kommunikative "Peaks" hatte, gerade mit den tollen Sachen von Oliviero Toscani. Aber ich glaube, allein auf solch kommunikative "Peaks" zu setzen, funktioniert heute nicht mehr. Kommunikation heute braucht einen gewissen Flow, muss Beständigkeit und Substanz haben.

Oliviero Toscani entwickelte die bekannte Kampagne für "Pro".

Es geht in der Zusammenarbeit mit Flötotto also um eine gesamte Neuausrichtung im kommunikativen Bereich und nicht nur um ein visuelles Erscheinungsbild. Wo setzt man da an? 

Mike Meiré: Das Spannungsfeld, zwischen dem sich Flötotto bewegt, befindet sich zwischen Tradition und Innovation. Wie also geht man mit einer Marke um, deren Identität im 20. Jahrhundert definiert wurde – und mit ihrem "Estate", dem bisher Geschaffenen? Wie mit etablierten Märkten und neuen unternehmerischen Zielen? Ich bemerke, dass ich, der seit über 30 Jahren in der Kommunikationsbranche tätig ist, nun zu Jüngeren spreche. Und da stellt sich für mich die Frage: Inwieweit sind historische Referenzen von Flötotto für die Zielgruppen heute überhaupt noch abrufbar? Und wie kann man eine Marke, die eine gewisse Gravität hat, wieder "neu" erfahrbar machen? 

Sie wollen den Jungen das Alte für neu verkaufen?

Mike Meiré: Nein, natürlich nicht. Ich glaube sogar, wenn ich ehrlich sein darf, es gibt keinen Bedarf an weiteren Design-Marken in der Möbel-Branche. Und ich glaube nicht, auch wenn wir damit jeden Tag konfrontiert werden, dass man tatsächlich immer noch nach dem neuen Stuhl oder dem neuen Regalsystem sucht. Aber weil der Markt, die Branche und die Plattformen immerzu Content und immer das Neuste wollen, produzieren die Unternehmen natürlich wie verrückt. Und in so einer Zeit, in einer solchen Dynamik, eine Marke wie Flötotto noch mal anzuschauen und abzuwägen, zu hinterfragen: Was man braucht und was eventuell nicht mehr – das ist die eigentliche Aufgabe bei dieser Aufgabe. Denn es entstehen sehr wohl neue Bedürfnisse – und natürlich wollen die Menschen nach wie vor ein schickes Umfeld haben und darin gut aussehen. Aber die junge Generation will es möglicherweise gar nicht besitzen. Also geht es vielmehr darum, eine Haltung zu kommunizieren und nicht „nur“ ein Styling.

Seit 2008 wird das Familienunternehmen von Elmar Flötotto und seinem Sohn Frederik Flötotto geleitet.

Das betrifft sicherlich einige der Marken, die Sie betreuen. Was aber ist das Spezifische bei Flötotto, dass Sie herausarbeiten wollen?

Mike Meiré: Einerseits arbeiten wir an der Haltung, mit der Flötotto am Markt auftritt. Welche Position bezieht Flötotto als Supplier einer Wissensgesellschaft? Andererseits schauen wir konkret auf die Produkte des Unternehmens: Was ist die Klammer des recht heterogenen Portfolios? Was steckt im Profilsystem – das etwas aus der Zeit gefallen wirkt? Braucht es ein Update, bei dem man am Radius arbeitet, neue Oberflächen anbietet oder das Ganze einfach anders inszeniert? Und dann merkt man immer, das System ist gar nicht so tradiert, es ist eigentlich ziemlich cool.

Aber wir sind im Möbelbereich ja gerade seit ein paar Jahren in einer Schleife, wo die immerselben Geschichten aus dem Mid-Century Design regelmäßig upgedatet und renoviert werden. Ist das jetzt auch der Ansatz für Flötotto?

Mike Meiré: Unser Ansatz geht viel weiter! Denn wir verändern die Lesart der Systeme und Produkte. Nehmen wir beispielsweise "Add" von Werner Aisslinger. Es ist viel mehr als ein Regalsystem: Es ermöglicht durch seine Bauweise die Verwendung von unterschiedlichen Oberflächen. Und mit der Freiheit in der Oberflächengestaltung wird das Produkt zu einem Flat Design, zu einem "Interface", das entsprechend facettenreich bespielbar ist. Ganz gleich ob mit neuen Texturen, Materialien oder Prints, die ein bisschen abrücken von der klassischen Holzwelt. Diese Flexibilität ermöglicht Kollaboration mit Künstlern, neuen Talenten, Materialentwicklern, Unternehmen und so weiter. 

Ikone der Individualisierung: Das Profilsystem ist über 40 Jahre alt
Möbelsystem für die digitale Generation: "Add" von Werner Aisslinger.

Aber das heißt, Sie würden nicht nur in der Kommunikation, sondern auch weiter ins Unternehmen einwirken und solche Produkte sozusagen mit einem Zeitfaktor versehen?

Mike Meiré: Einige Produkte haben das Potenzial, anders kommuniziert zu werden, so dass ein Katalysator für die Marke entsteht. Eine Marke als Absender allein funktioniert nicht. Wenn die Marke aber die Produkte re-informiert oder neu informiert – beispielsweise als Limited Edition – und so "Möglichkeitsobjekte" in die Kanäle "hineinschiebt", entsteht eine andere Form von Kommunikationsverhalten. Mit diesen "Möglichkeitsobjekten" geht man als Möbler auf den digitalen Habitus der jungen Generation ein. Denn das Ziel muss ja sein, nicht mehr Produkte zu entwickeln, sondern die wenigen, die man hat, zu spezifizieren, zu klassifizieren und durch sie dem Nutzer ein Werkzeug anzubieten, mit dem er seine Bedürfnisse befriedigen kann. Es ist doch viel spannender! Man schaue einfach mal, was heute bereits bei den Sneakern passiert.

Neben den Systemmöbeln bietet Flötotto auch die "Pro"-Familie von Konstantin Grcic an. Wofür steht diese Ihrer Meinung nach und wie zahlt sie auf die Markenkommunikation ein, wenn sie nicht ein "Flat Design" ist wie "Add"?

Mike Meiré: So wie Konstantin Grcic "Pro" entwickelt hat, kann man deutlich erkennen, dass wir in hybriden Zeiten leben.  Es geht bei dem Stuhl um intelligente Performance: "Pro" muss in der Schulklasse performen, ebenso im Home-Office funktionieren – und dann drehe ich mich um und sitze auf dem „Pro“ am Dinner Table. Er ist ein absolutes "Hybrid Furniture". Und hier wird es für mich spannend: Natürlich braucht man starke Designs für eine Kommunikation. Aber diese Designs müssen die Haltung der Marke in unserer Zeit viel stärker reflektieren. Und das muss man viel extremer herausarbeiten. Wie "updatefähig" "Pro" ist, zeigt sich ja allein schon darin, wie die Familie seit 2012 gewachsen ist.

Was bedeutet die "Updatefähigkeit" der Produkte für die Marke Flötottoß

Mike Meiré: Wir möchten Flötotto als Solution Provider positionieren – und nicht mehr nur als reine Möbel- oder Designmarke kommunizieren. Flötotto unterstützt mit seinem Programm hybride Lebensstile, die sich immer wieder verändern. Uns bewegen Fragen wie: Kann man Systemregale als Meterware verstehen? Wie verändert sich das Leben in der Stadt? Wie gehen wir mit temporärer Behausung um? Und welche Rolle spielt eine Möbelmarke dabei?