NACHHALTIGKEIT
Die Umwelt im Fokus
Anna Moldenhauer: Herr Prof. Braungart, was hat Sie gereizt an der Jury des Deutschen Nachhaltigkeitspreis Design teilzunehmen?
Prof. Michael Braungart: Mir gefällt der Idealismus des ganzen Teams. Wenn man Pioniere nicht feiert, dann hat man auch keine. Ich denke, dass wir unsere Kräfte jetzt bündeln müssen, um Änderungen zu erreichen. Da kommt eine junge Generation nach, die auf sich stolz sein will, die die Dinge nicht nur aufhübschen möchte. Es gibt einen riesengroßen Gestaltungswillen, gerade im Design. Das etwa die Hälfte der gesamten Einsendungen sich auf Cradle to Cradle bezieht, hat zudem mein Ego gestreichelt. (lacht)
Gab es einen Aspekt, der Sie überrascht hat?
Prof. Michael Braungart: Viele sehen die eigentliche Innovationschance nicht, sondern denken die Produkte eher als Zusatznutzen. Das Geschäftsmodell wird noch nicht mitgedacht. Aber sie sind auf einem guten Weg und es gibt auch seitens der Industrie einige Ansätze, die den Prozess beschleunigen – sei es BMW, die angekündigt haben, ihre Fahrzeuge zukünftig nach den Cradle to Cradle Prinzipien herstellen zu wollen oder Porsche, die einen eigenen synthetischen, klimaneutralen Kraftstoff produzieren möchten, für den CO2 aus der Luft recycelt wird. Die Innovationswelle ist angekommen und ich bin auf die nächste Preisverleihung des Deutschen Nachhaltigkeitspreis Design gespannt.
Warum würden Sie sagen, sind DesignerInnen zentral für die Umsetzung der Nachhaltigkeit?
Prof. Michael Braungart: Weil sie die Umweltauswirkungen beeinflussen können, die durch das Design entstehen. Das setzt aber voraus, dass sie sich als GestalterInnen im eigentlichen Sinne verstehen. Es kommt jetzt eine Generation DesignerInnen nach, die wirklich bestimmend sein wollen. Es geht um ein umfassendes Qualitätsverständnis. Ein Produkt, das für die Umwelt giftig ist, ist ein Qualitätsproblem. Das ist Design für den Sondermüll.
Also braucht es ein nachhaltiges Selbstverständnis auf beiden Seiten.
Prof. Michael Braungart: Und beim Kunden. Das traditionelle Nachhaltigkeitsverständnis macht die Kunden zum Feind, denn es vermittelt das Verzicht der beste Weg wäre. Dabei sollten die Kunden die "Change Agents" sein, die mit ihrem Kauf dazu beitragen Unternehmen auf dem Weg zur Nachhaltigkeit unterstützen.
Welche Aufgabe sollte der Deutschen Nachhaltigkeitspreis Design Ihrer Meinung nach in diesem Kontext zukünftig übernehmen?
Prof. Michael Braungart: Ich finde Stefan Schulze-Hausmann, der den Deutschen Nachhaltigkeitspreis ins Leben gerufen hat, und seinem Team kann man erstmal ein riesiges Dankeschön aussprechen für das Durchhaltevermögen in diesen Zeiten. Das ist eine große Leistung. Jetzt sind sie im Zentrum des Geschehens und das kann man auch ein wenig feiern. Dann kann man schauen, wie man das Konzept weiterentwickelt, eventuell ein bleibendes Innovationslabor kreiert, das die Preisträger im Anschluss begleitet, sie coacht, Investoren sucht und ihnen hilft ihre brillanten Ideen umzusetzen. Die Umsetzung einer Idee in der Realität braucht Geduld. Man könnte ein Kollektiv aufzubauen, was sich gegenseitig unterstützt, Praktika und Stipendien vergibt.
Sie haben 1987 die EPEA GmbH mit dem Ziel gegründet, das Cradle to Cradle Designprinzip für die Circular Economy in allen Industriebranchen zu etablieren. Kein einfaches Vorhaben – an welcher Stufe der Umsetzung einer funktionierenden Kreislaufwirtschaft stehen wir aktuell?
Prof. Michael Braungart: Das Problem ist, dass man aktuell die miesesten Dinge als Kreislaufwirtschaft ausgibt, wie die Untermischung von PET-Flaschen in Radwege oder die Integration von Flugasche in Bausteine. Es gibt es dutzende Beispiele und die sind ziemlich verheerend. Da fallen wir zurück in eine Diskussion der Achtziger Jahre, in denen man mit dem bestehenden Mist irgendwelche Parkbänke oder Lärmschutzwände gebaut hat. Das ist schade. Es geht darum zu verstehen, dass weniger schlecht nicht automatisch gut ist. Wir wissen genau was zu tun ist, aber wir sind zu langsam. Wir müssen unseren Fokus mehr darauf setzen, diesen Planeten zu erhalten. Das Ziel den globalen Temperaturanstieg auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen reicht nicht, es verschiebt nur die Zerstörung um zwei weitere Generationen. Dennoch bin ich auch optimistisch, denn die Umsetzung des Cradle to Cradle Prinzip geht aktuell schnell voran, viel schneller als ich gedacht hätte. Südlich von Peking enstehen beispielsweise zwei Cradle to Cradle Modellstädte und unser Buch "Cradle to Cradle: Einfach intelligent produzieren" ist in die Riege der wichtigsten Wissenschaftsbücher der Welt aufgenommen worden. Angesichts des Paradigmenwechsels sind wir ungeheuer schnell.
Wie können wir uns Ihrer Meinung nach vor dem Greenwashing schützen?
Prof. Michael Braungart: Wenn etwas schnell geändert wird, gibt es immer Qualitätsmängel. Viele Cradle to Cradle Produkte erfüllen aktuell nur formell die Zertifizierung. Aber je mehr Cradle to Cradle Produkte es gibt, umso größer wird die Community, die aufeinander aufpasst und die Probleme aufzeigt. Die Gemeinschaft ist selbstkontrollierend und selbstunterstützend. Ein wenig "Knödel to Knödel" stört dann nicht sonderlich. (lacht)
Das Wichtigste ist die Transparenz, die man immer einfordern sollte. Wo kommt das Produkt her, wie wird es hergestellt? Über das Greenwashing brauchen wir uns dann nicht zu ärgern, das disqualifiziert sich von selbst. Wenn Unternehmen sich für diesen Weg entscheiden, verlieren sie ihre besten MitarbeiterInnen. Die heutige Generation will stolz auf sich sein und auf Greenwashing kann niemand stolz sein. Ich bin da optimistisch und freue mich darüber, dass die Dinge in Bewegung sind. Der Deutsche Nachhaltigskeitspreis Design ist ein ganz wichtiger Katalysator und wir das auch in Zukunft sein.
Vor der Gründung der EPEA GmbH waren Sie Leiter der Chemiesektion bei Greenpeace – was motiviert Sie Ihre Arbeit komplett dem Umweltschutz zu widmen?
Prof. Michael Braungart: Ich habe nie etwas anderes gemacht. Mit 16 Jahren hielt ich meinen ersten Vortrag, damals zum Thema "Umweltschutz aus christlicher Verantwortung". Ich habe als Jugendlicher im Rahmen eines Wettbewerbs einen Fernseher auseinandergebaut und 4360 Chemikalien gefunden. Meine Frage war dann, ob man fernsehen oder 4360 Chemikalien besitzen möchte. Das hat dazu geführt, dass ich als "Öko-Kommunist" bezeichnet und ausgeschlossen wurde. (lacht)
Für das Chemiestudium bin ich an jede Universität in Europa gegangen die dazu Inhalte anbot, 15 insgesamt. In diesem Kontext kam ich dann auch mit Greenpeace in Kontakt. Zu protestieren ist gut, aber die Dinge zu ändern, systematisch Lösungen zu entwickeln, ist noch schöner. Ich bin ja auch mit Herz und Seele Verfahrenstechniker und Chemiker. So ist EPEA entstanden. Viele von meinen Vorschlägen wurden früher als utopisch kritisiert. Heute sind sie gängige Verfahren. Die bestehende Chemie ist allerdings noch primitiv im Gegensatz zu dem was die Menschheit wirklich braucht. Das fängt schon damit an, dass es erlaubt ist Aperol Spritz zu trinken, obwohl es zwei Chemikalien enthält, E110 und E124, die nachgewiesen als Azofarbstoffe stark krebserzeugend sind. Im Baubereich hat man in den Sechziger Jahren gutes Handwerk mit schlechter Chemie ersetzt, die Gebäude versiegelt und gasdicht gemacht. Da gibt es nun Gegenbewegungen für ein gesundes Raumklima. Wenn es wieder möglich ist, würde ich gerne mit Stefan Schulze-Hausmann in die Schulen gehen, um die Jugend für die Chemie zu begeistern.
Sie haben in Ihrer Laufbahn selbst an diversen Hochschulen gelehrt, welchen Rat würden Sie der jungen Generation DesignerInnen mit auf den Weg geben?
Prof. Michael Braungart: Ich würde ihnen raten die Mittelmäßigkeit zu feiern, statt eine perfekte Selbstoptimierung in allen Lebensbereichen anzustreben und dabei ständig Sorge zu haben etwas zu verpassen. Es ist wichtig sich selbst zu fragen was man wirklich gerne macht, für welches Thema man eine Leidenschaft hat. Zu akzeptieren, dass man zu 95 Prozent mittelmäßig ist, aber führend in den fünf Prozent, in die man fokussiert seine Energie investiert.
Welche Fragestellung beschäftigt Sie aktuell im Kontext der Nachhaltigkeit?
Prof. Michael Braungart: Ich arbeite an biologischen Lösungen, die klimapositiv sind, statt klimaneutral. Die den Menschen und seine Stoffwechselprodukte miteinbezieht. Zum anderen beschäftigt mich wie Kohlenstoffdioxid aus der Atmosphäre zurückgewonnen und für sinnvolle Produkte eingesetzt werden kann, sei es für Treibstoffe, Kunststoffe oder technische Anwendungen. Das sind meine Hauptschwerpunkte im Moment.