Vom Almheu bis zur Zukunftsstudie
„Einige der innovativen Produkte, die ich auf der Messe entdecken konnte, haben mich sehr überrascht. Obwohl diese längst ein international etabliertes Forum ist, hat sie ein großes Potenzial, sich weiter zu entwickeln,“ sagt der vielfach ausgezeichnete Designer Alfredo Häberli, Special Guest der DOMOTEX 2017, rückblickend. „Mich interessiert die Spannbreite, auf die man hier trifft. Sie reicht vom handwerklichen Unikat bis zum hoch industriell gefertigten Produkt.“ Über 1.400 Aussteller aus mehr als 60 Nationen waren vom 14. bis 17. Januar in Hannover vertreten. In zwölf Hallen präsentierten sie das weltweit größte Angebot an Messeneuheiten rund um den Boden. Dazu gehörten maschinell und handgefertigte Teppiche, textile und elastische Beläge, ebenso Parkett, Laminat und Holzfußböden sowie Verlege- und Anwendungstechniken. „Die DOMOTEX hat mit ihrer hohen Ausstellerbeteiligung und Innovationsdichte sowie einer einzigartigen Internationalität ihre Position als führender globaler Marktplatz für Bodenbeläge weiter ausgebaut“, so Dr. Andreas Gruchow, Mitglied des Vorstands der Deutschen Messe AG. Wegweisende Neuheiten der Aussteller wurden mit dem Format Innovations@DOMOTEX besonders hervorgehoben. Zudem zeigten erstmals fünf aufstrebende europäische Designstudios im Rahmen des „Young Designer Trendtable“ inspirierende Studien für die Bodengestaltung der Zukunft.
Der Bereich der elastischen Bodenbeläge und Teppichböden zeichnete sich durch viele neue Ansätze und kreative Ideen aus. Eine überzeugende Weiterentwicklung des niederländischen Ausstellers Forbo Flooring ist „Marmoleum Cocoa“. Zerkleinerte Schalen von Kakaobohnen geben dem Linoleumboden einen modernen Look und unterstreichen die nachhaltige Fertigung des Belags. Durch die Einstreuung des industriellen Abfallprodukts erhält der Boden zudem eine interessante Haptik. Eine weitere Messeneuheit des Herstellers ist „Sphera Element“, ein PVC-Boden, der völlig ohne gesundheitsschädliche Phthalate auskommt und umweltfreundlich hergestellt wird. Durch leuchtende Farben mit hohem Reflektionsgrad eignet er sich beispielsweise zur Markierung von Fluchtwegen.
Naturnahe Designböden
Amorim aus Portugal ist ein auf Korkprodukte spezialisiertes Unternehmen. Auch die drei neuen Kollektionen seiner Marke Wicanders beinhalten Kork als Trittschall reduzierendes Kernmaterial, darauf befindet sich eine bedruckte Vinylschicht. „Vintage Stones“ und „Fusion“ sind Bodenbeläge mit naturnah abgebildeten Holz- oder Steinmotiven. Zur dekorativen Wandverkleidung dient die Linie „Brick“ mit Klinkerdekor, das an die raue Ästhetik New Yorker Lofts erinnert. Am Stand des belgischen Unternehmens Floorify wurden die Materialeigenschaften der Vinyl Planken and Fliesen „Floorify Rigid” demonstriert. Alle Produkte des Programms haben eine erstaunlich naturidentische Optik und Haptik. Das Oberflächenmaterial sieht nicht nur aus wie echtes Holz, es fühlt sich auch so an. Die Beläge sind hochwertig verarbeitet, wasserfest, leicht zu reinigen, sehr stabil und auf jedem Untergrund zu verlegen.
Einfallsreiche Techniken
Dank einer neuen Tuftingtechnologie mit einer strukturierten mehrfarbigen Schlinge, die Fletco Carpets aus Dänemark entwickelt hat, können Muster mit bis zu vier Farbtönen ohne Druck angefertigt werden. So auch bei den „Stony Beach“-Teppichfliesen, die Steinstrukturen ähnlich sehen. Sie sind rapportfrei, deshalb gibt es wenig Verschnitt. Ihre spezielle Rückenausrüstung „TEXtiles“ kommt ohne PVC und Bitumen aus. Hergestellt werden sie aus mindestens 60 Prozent recyceltem Nylonmaterial, das in einem nachhaltigen, CO2-reduzierten Prozess mittels Windenergie verarbeitet wird.
Mit „Evolution Zero“ stellt Virag aus Italien einen starren Designvinylboden vor, der aufgrund seiner Stabilität schnell installiert werden kann. Er verfügt über eine sehr hohe Dimensionsstabilität, das heißt er dehnt sich selbst bei direkter Sonneneinstrahlung nicht aus. Auf Keramikfliesen oder anderen Unterböden kann Evolution Zero bei Unebenheiten eine Fugenbreite von bis zu einem Zentimeter überbrücken. Neu ist auch „Tack Dry“, ein Verlegesystem mit Mikro-Saugnäpfen auf der Rückseite der Planken. Bodenbeläge aus dieser Serie können im Handumdrehen sicher angebracht und ebenso schnell wieder unbeschädigt entfernt werden.
Feuer veredelt Holz
Durch ihre lebendige Musterung in kontrastierenden Farbnuancen und eine charakteristische Oberfläche, die bei zweifachem Abflämmen entsteht, entwickeln die Kiefernplanken „Shou Sugi Ban“ eine eigene gestalterische Sprache. Von vielen Besuchern interessiert betrachtet wurden sie am Messestand des britischen Anbieters Havwoods, der Produkte entwickelt und vertreibt, aber nicht selbst herstellt. Die traditionelle japanische Behandlung mit Feuer macht den Wandbelag, der für drinnen und draußen geeignet ist, besonders hart und widerstandsfähig. Anschließend werden die Dielen eingefärbt und mit Öl behandelt.
Für Aufsehen sorgte auch der Stand von Li & Co aus der Schweiz durch die neuen Bodenplatten „Lico Pur“, deren Oberbelag aus handgesenstem Tiroler Almheu besteht: Verpresste Pflanzenteile werden auf Kork und einer Trägerplatte aufkaschiert. Anschließend wird der Boden durch die sogenannte Hot-Coating-Technologie strapazierfähig und wasserdicht gemacht.
Der türkische Aussteller Kastamonu International zeigte neue Laminate seiner Marke „Floorpan“ in den fünf Programmen „Nova“, „Sun“, „Natural“, „Classic“ und „Register“ – letzteres mit einer Oberfläche, die kaum von echtem Holz zu unterscheiden ist. Installiert wird Floorpan mit dem patentierten Klicksystem „L2C“ von Unilin.
Von Meisterhand geknüpft
Manuell gefertigte Teppiche innovativer Labels haben eine kreative Handschrift mit Wiedererkennungswert. „Dresden“ ist eine ungewöhnliche Serie, die der Berliner Designer Hermann Weizenegger für Rug Star entworfen hat. Der dicht getuftete Flor aus Viskose und Wolle verleiht den Teppichen einen Hauch von Luxus. Die Garne sind in zwei Farben und verschiedenen Florhöhen zu einer Art textilem Relief verarbeitet, das an Formen des Art déco erinnert. Creative Matters aus Kanada zeigte in Hannover Teppiche, die in Indien und Nepal handgeknüpft werden. Die Unikate aus chinesischer Seide aus feinen Wollqualitäten haben stimmungsvolle Winterszenen als Motiv. In seiner „Shiraz“ Kollektion überträgt Hossein Rezvani den klassischen Perserteppich mit Medaillon durch Stilmittel des Used-Looks in die Moderne, ohne dessen kulturelle Wurzeln aus den Augen zu verlieren. Und von handgedruckten Entwürfen aus dem Textildesign inspiriert ist die „Pattern Mix Collection“. Das gestalterische Konzept von Galleria Battilossi basiert auf kleinteiligen grafischen Mustern, die zu abstrakten Collagen aus skizzenhaft wirkenden Stoffdessins zusammengesetzt werden.
Ein Blick in die Zukunft
Im Rahmen des neuen Konzepts „Young Designer Trendtable“ stellten fünf europäische Designbüros die gegenwärtige Fertigung von Bodenbelägen in Frage. Ein halbes Jahr lang experimentieren, recherchieren und gestalteten die aufstrebenden Talente; der Industriedesigner Stefan Diez begleitete und unterstützte sie dabei als Mentor. Auf einer Sonderfläche präsentierten die Jungdesigner ihre persönlichen Visionen für die Bodengestaltung von morgen.
Hanne Willmann aus Berlin betont eine neue Authentizität des Bodens und möchte die Wertschätzung für den handwerklichen Prozess stärken. Deshalb bezieht sie den Handwerker bei der Realisierung kreativer Lösungen mit ein. Bei ihrem Projekt „Vein“ sollen nach dem Verlegen schmale Teppichstreifen in einen rillenförmigen Holzboden eingefügt werden, um weiche Zonen zu schaffen, die Nutzungsbereiche durch Farbe und Form definieren. Der leicht hervorquellende Mörtel zwischen ihren „Notch“ Fliesen wird zum gestaltenden Element, seine Musterung dient zur besseren Haftung. Noch deutlicher wird die Idee der Designerin bei „Lamina“, denn hier ist der kreative Anteil des Handwerkers am größten: Nach dem Verlegen fräst er unterschiedlich tiefe Linien in ein vielschichtiges Holz. Da die einzelnen Schichten verschieden eingefärbt sind, entsteht durch die Bearbeitung ein mehrfarbiges Muster.
Der Nutzer macht den Boden
Der Niederländer Klaas Kuiken sieht die Zukunft des Bodens in einer stetigen Veränderung der Oberfläche durch den Nutzer. Er ist fasziniert von den Spuren, die Menschen hinterlassen, wenn sie sich zu Fuß bewegen – in der Natur oder in Räumen. Um dies zu verdeutlichen, verlegt er fünfeckige MDF-Fliesen, die mit Hochdrucklaminat beklebt sind, auf Schaumstoffstreifen. Betritt man die Fläche, neigen sich die Elemente ein wenig zur Seite, so dass ein darunter installiertes LED-Licht kurz sichtbar wird. Ergänzend zeigt Kuiken in seiner Ausstellung Fotos menschlicher Spuren und Videos mit biologischen Bewegungsabläufen.
Spiel mit Kontrasten
Bilge Nur Saltik, die in Istanbul und London lebt, kombiniert harte und weiche, industriell und handwerklich gefertigte Beläge. Als Verbindungstechnik dienen ihr Aussparungen am Ende einer Materialstrecke, die mit passenden Formen an der nächsten Bahn kleberlos verzahnt werden. So schafft die Designerin interessante Übergänge zwischen Parkett und Vinylboden, Steinfliesen und Teppich, die sie als gestalterisches Element herausstellt. Ihr Bodenbelag für multifunktionale Räume hat eine einzigartige Haptik, die man beim Betreten spürt. Durch die kleberlose Verlegung ist auch eine temporäre Nutzung möglich.
Die Fuge setzt Akzente
Einen neuen Look für den Steinboden entwickelte Victoria Wilmotte aus Paris. Sie interpretiert die traditionellen Materialien Stein und Marmor auf ihre Weise, indem sie einzelne Stücke durch den Einsatz von Kunstharz zu neuartigen Bodenplatten verarbeitet. Als Vorbild dienten ihr historische Steinböden aus dem Louvre. Die bisher eher störenden Fugen rückt sie als verbindendes Element in den Fokus und betont sie zusätzlich durch kräftige Farben, die einen reizvollen Kontrast zum Stein bilden.
Vom Merzbau inspiriert
Die Installation, die Jane Briggs und Christy Cole auf der DOMOTEX zeigten, ist durch den Merzbau von Kurt Schwitters in Hannover inspiriert, bei dem sich eine raumgreifende Installation über Boden, Wände und Decke erstreckte. Daher soll sich auch das Fischgrät-Parkett des Glasgower Duos für alle Flächen im Raum eignen. Es ist mit dreidimensional wirkenden Grafiken im Digitaldruck versehen, die an Ausschnitte des Merzbaus erinnern und kann nach individuellen Vorstellungen eines Auftraggebers weiterentwickelt werden. In der Ausstellung ragte eine dreidimensional gestaltete Bahn aus geometrischen Elementen in den Raum, die ein abwechslungsreiches Spiel von Licht und Schatten erzeugen. Papp-Collagen wie diese dienten als Fotomotiv für den Parkettboden. In einem realen Raum könnten die 3D-Elemente aus lackiertem Stahl bestehen und sich wie bei Schwitters an allen vier Wänden und an der Decke ausbreiten – und damit ein spezielles Raumgefühl erzeugen. Verschiedenste Ausdrucksformen sind denkbar.