Das „Soft House“ von KVA – Matx Architekten wurde im Rahmen der IBA Hamburg gebaut. In Vollholzbauweise erstellt, nutzt die dynamische Textilfassade des Baus das Sonnenlicht auf flexible und intelligente Weise. Jede der vier familienfreundlichen, dreigeschossigen Wohneinheiten hat einen eigenen Garten. Foto © Michael Moser
Brauchen nachhaltige Gebäudekonzepte mehr oder eher weniger Technik?
Sheila Kennedy: Das ist eine gute Frage, die natürlich davon abhängt, wie man „Technologie“ definiert. Wenn wir sie als Equipment, Maschinen und Technik betrachten, dann trifft es sicher zu, dass sehr viele Architekturen völlig „übertechnologisiert“ wurden. In den USA wurde „Nachhaltigkeit“ im letzten Jahrzehnt vorwiegend über „Energieeffizienz“ definiert – das heißt, es stand immer die Frage im Vordergrund, wie viel Geld oder Energie der Besitzer mit einem solchen Gebäude einsparen kann. Diese Diskussion dreht sich vor allem um Kennzahlen und nicht um den wünschenswerten Wandel der Konsumkultur. Das heißt, der Fokus wurde einzig auf die „Technologie“ in nachhaltigen Gebäuden gerichtet.
Bei Nachhaltigkeit geht es aber eher um eine Lebensweise; es braucht lediglich Vorstellungskraft und den Willen, alte Gewohnheiten zu hinterfragen und etwas Neues zu versuchen. In unserer Arbeit bei KVA Matx versuchen wir, die Beziehung zwischen Architektur, urbanem Charakter und Technologie neu zu definieren, insbesondere im Hinblick auf saubere Energietechnologie. In den kommenden Jahren werden wir einen Trend erleben, der Technologie mit Kultur auf sehr ungewöhnliche Weise verbindet. Um Probleme zu lösen, brauchen wir vielleicht gar keine neuen Technologien, vielmehr genügt es unter Umständen, sich auf altbewährte Entwicklungen zu besinnen, die nicht als „Technologie“ bezeichnet wurden – wie beispielsweise Materialien, Systeme und Techniken, die heute noch Sinn machen. Dazu gehört zum Beispiel auch Fahrrad fahren, in der Stadt frische Lebensmittel genießen oder auch die Maker-Bewegung.
Für unser „Soft House“-Projekt in Hamburg wurden wir beauftragt, ein neues Modell für eine CO2-arme, urbane Lebensform zu entwickeln. Das „Soft House“ verdeutlicht, wie die häusliche Infrastruktur tatsächlich „soft“ werden kann, nämlich durch eine Bauweise mit klimaneutralen Holzplanken, die von einem Bauunternehmen vor Ort stammen und die Nutzung sauberer Energie durch eine dynamische Textilfassade, die nach außen auch das Aushängeschild dieser Architektur ist. Durch die Verbindung und Neudefinition der im herkömmlichen Sinne „weichen“ und „harten“ Materialien und die Integration von Textilien in die Architektur sowie einer sauberen Energieinfrastruktur stellt das „Soft House“ eine grundlegende Weiterentwicklung des deutschen Passivhausmodells dar und bietet ein flexibleres Wohnerlebnis. Das Innovative ist in diesem Fall ein Mix aus Altem und Neuem, aus High-Tech und Low-Tech. Es unterstreicht die Bedeutung, die Geschichte und Erinnerung bei der Entwicklung einer zeitgenössischen Architektur haben, und mit der sich die Menschen auch identifizieren können.
Sie leisten sich die büroeigene Forschungsabteilung „MATx“. Wie fließen die Erkenntnisse und Ergebnisse aus den Forschungsprojekten in die Architekturprojekte mit ein? Können Sie Beispiele nennen?
Sheila Kennedy: Matx ist eng mit KVA verbunden – es gibt einen ständigen wechselseitigen Austausch. Die Matx-Projekte können wir beliebig bei der Entwicklung von Gebäudekomponenten, Möbeln, neuen Produktkonzepten oder bei der Anwendung eines neuen Materials einsetzen. Es gibt eine lange Tradition von Architekten, die Vorhänge, Möbel oder Leuchten entworfen haben. Wir nutzen diese Art von Design, um mit klimaneutralen Konstellationen von Lifestyle-Objekten zu experimentieren. Dies liefert uns wichtige Anregungen für die architektonischen Räume, die wir entwickeln. „Give Back Curtain“, „Zip Room“, der Hauptsitz der deutschen Firma Wall in Boston und das „Soft House“ sind Beispiele für den Forschungsaustausch zwischen Matx und KVA.
Welche Aspekte werden Ihrer Meinung nach im aktuellen Diskurs über nachhaltige Architektur nicht genügend berücksichtigt? Und welche Aspekte vermissen Sie bei der aktuellen Debatte zu nachhaltiger Architektur?
Sheila Kennedy: Die Debatte um „saubere Energien“ – das hatte ich bereits erwähnt – wurde bislang in der Architektur vor allem als eine Frage der Betriebskosten betrachtet, es ging hier vorwiegend um die Reduzierung von Kosten im fertigen Gebäude. Das ist zunächst nachvollziehbar, aber wenn wir uns die Energie anschauen, die für die Herstellung des Gebäudes aufgewendet wird und die „klimaneutrale“ Technologie, die Materialien, die Produktion, den globalen Transport und die Konstruktion, dann sehen wir, dass diese graue Energie von erheblicher Bedeutung ist. Für die nächste Generation architektonischer Projekte wird sie, ebenso wie eine lokale Materialbeschaffung und DIY-Produktion, eine große Rolle spielen. Das wird der nächste Schritt sein und das passiert gerade auch schon.
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