Barockes Beziehungsgeflecht
Es war auch ein Zeichen wiedererlangten Wohlstandes nach Jahrzehnten der Krise: die "Maison de Wadgasse" – ein großer Spätbarockbau, den das Kloster Wadgassen im Jahre 1740 als Wirtschaftshof auf seinen Besitztümern direkt an der Saar bei Kanzem errichten ließ. 1695 konnte Abt Petrus Marx nach den Wirren des Dreißigjährigen Krieges und der Flucht seines Konventes ins Exil die Mittel aufbringen, einen großen Weinberg des Klosters neu anzulegen und zu befestigen. Ein Kruzifix erinnert daran. Nun, vierzig Jahre später, baute man ein stattliches sogenanntes Quereinhaus zur Verwaltung und Bewirtschaftung des Besitzes. Quereinhäuser sind eine typische Bauform an der Saar, bei der Wohnräume und Scheune unter einem Dach vereint werden. Die ehemalige Zweiteilung ist noch heute deutlich an der Fassade des Baus ablesbar. Sie besteht aus annähernd symmetrischen Hälften, jede mit einem eigenen großen Eingangsportal.
Solitär mit Flankenbauten
Das Kloster ging in der Französischen Revolution unter, das Gutshaus kam an das bischöfliche Priesterseminar in Trier, wurde immer wieder umgebaut und den jeweiligen Erfordernissen angepasst. 2007 erwarb den Bau ein Privatmann, der es als Vinothek und Gästehaus nutzen wollte. Mit der Bitte, die notwendigen Umbauten zu planen und durchzuführen, wandte er sich an das Architekturbüro Max Dudler. Vorbedingung war: Die erhaltene spätbarocke Bausubstanz sollte unangetastet bleiben – sowohl am Außenbau als auch in den Innenräumen.
Um einerseits eine zeitgemäße Nutzung zu ermöglichen und das notwendige Raumprogramm verwirklichen zu können, andererseits den Altbau in seiner Wirkung nicht zu beeinträchtigen, errichteten die Architekten zwei neue Baukörper, die das Bestandsgebäude unter Wahrung eines Respektabstandes seitlich flankieren. Beide zeigen die gleiche archetypische Hausform mit flach geneigtem Dach. (Erinnerungen an Oswald M. Ungers Haus in Glashütte werden wach.) Beide sind aus den gleichen Materialien errichtet: Stampfbeton für die Mauerflächen, baubronzefarben lackiertes Metall für Türen und Fensterelemente. In ihrer Anmutung könnten sie jedoch gegensätzlicher nicht sein.
Ein Monolith aus Stampfbeton
Der größere der beiden Neubauten entstand im Osten des Hauptbaus und nimmt im Hochparterre einen Großteil der Haustechnik des Anwesens auf. Im Stockwerk darüber sind zwei Gästezimmer und eine kleine Küche untergebracht. Die geschlossene, ja verschlossene Anmutung des Baus erzielen die Architekten dadurch, dass alle Außenwände und auch die Dachflächen als plane, schmucklose Flächen aus Stampfbeton ausgeführt sind, aus denen die wenigen Fenster- und Türöffnungen als gleichförmige, hochrechteckige Felder ausgestanzt werden. Bewegtheit entwickelt der Bau allein durch das besondere Farbspiel des Stampfbetons. Bei dieser alten und seit dem Siegeszug des Stahlbetons im 20. Jahrhundert fast völlig vergessenen Technik wird ein Gemisch aus Naturstein und Zement in Schichten aufgebracht und verdichtet. Diese Schichtung bildet sich anschließend in der Wand ab. Im Zusammenspiel mit groben Zuschlagsstoffen entsteht so ein Erscheinungsbild, das an natürliche Gesteinsformationen erinnert. Das Büro Max Dudler ist mittlerweile zu einem Spezialisten für diese Bautechnik geworden und hat sie bereits etwa beim Besucherzentrum Sparrenburg in Bielefeld angewandt. Hier nun hat man erstmals auch die Dachfläche aus Stampfbeton erstellt und dadurch einen fast monolithischen Eindruck erzielt. Als Remise sprechen die Architekten den Bau an und signalisieren dadurch, dass sie ihren Neubau typologisch als landwirtschaftliches Nebengebäude verstanden wissen wollen.
Ein Glashaus als Gegenpol
In vielerlei Hinsicht als Gegenpol schufen sie den zweiten neuen Baukörper südlich des Altbaus: eine lichte Orangerie, ein Haus ganz aus Glas, nur umgrenzt von einem kaum kniehohen Stampfbetonsockel. Als Antipode zur Remise verkörpert dieser kleine Bau, der im Sommer für Veranstaltungen und Vorträge genutzt wird, den herrschaftlichen Charakter des Ensembles. Der Spätbarockbau war eben nicht nur ein profanes landwirtschaftliches Gebäude, sondern diente ebenso der Repräsentation einer reichen und mächtigen Abtei.
Die Architekten beziehen sich aber auch noch in anderer Hinsicht auf die Anlage des Haupthauses, nämlich indem sie die Nebenbauten auf der vom Firstverlauf des Altbaus definierten Achse platzieren. Allerdings ist diese Symmetrie von Haupthaus und Nebengebäuden nur genauso ungefähr wie jene der Fassade des Barockgebäudes. Auch die Unverbissenheit in der Anwendung der Regeln übertragen die Architekten vom Alten auf das Neue.