Kunst auf dem Hügel
Insgesamt 48 Natur- und Kulturerbestätten sind in Deutschland in die UNESCO-Welterbeliste eingeschrieben. Dazu gehört seit neuestem die Mathildenhöhe in Darmstadt, die neben den drei Kurorten Baden-Baden, Bad-Ems und Bad Kissingen zum Welterbe ernannt wurde. Die UNESCO zeichnet dabei Kulturlandschaften, Parks, Naturgebiete, Zeugnisse gesellschaftlicher und technologischer Entwicklungen sowie künstlerische und architektonische Meisterwerke aus. Zu Letzterem zählt nun auch das Ensemble im Osten von Darmstadt: "Die Mathildenhöhe ist ein weltweit herausragendes Beispiel visionärer Gestaltungskunst", begründet Maria Böhmer, Präsidentin der Deutschen UNESCO-Kommission, die Entscheidung.
Die Bedeutung der Mathildenhöhe misst sich unter anderem an ihrer Vorreiterrolle für das Bauhaus. Hier kamen Einflüsse der Arts-and-Crafts-Bewegung und der Wiener Secession zusammen, die zu einer neuen gestalterischen Haltung führten, an der sich der Aufbruchsgeist des jungen 20. Jahrhunderts exemplarisch ablesen lässt. Zwischen 1899 und 1914 war sie eines der wichtigsten Zentren moderner Kunst und Architektur in Europa, wo sich Künstler und Architekten wie Peter Behrens, Rudolf Bosselt, Paul Bürck, Hans Christiansen, Ludwig Habich, Patriz Huber und Joseph Maria Olbrich zur sogenannten "Darmstädter Künstlerkolonie" zusammenschlossen, um Architektur, Kunst und Design auf neue Weise zusammenzuführen. Das auf einem Plateau oberhalb der Altstadt gelegene Ensemble, das auf die Initiative des Großherzogs Ernst Ludwig von Hessen und bei Rhein entstand, sollte dabei das Ideal einer neuen Stadt widerspiegeln. Dafür wurden unter anderem mehrere Künstlerhäuser und ein Ausstellungsgebäude errichtet. Als markante Landmarke bildet der sogenannte Hochzeitsturm ein zentrales Element der Anlage, der sich zusammen mit den Freiflächen und den anderen baulichen Elementen als Gesamtkunstwerk über Darmstadt erhebt.
In insgesamt vier Ausstellungen präsentierten die jeweiligen Künstler der Kolonie ihre Arbeiten, bevor die Aktivitäten mit Beginn des ersten Weltkriegs ein jähes Ende fanden und das Ensemble in der Folge weitgehend in Vergessenheit geriet. Nach dem Zweiten Weltkrieg siedelten sich zahlreiche Kultureinrichtungen wie der Deutsche Werkbund, die Akademie für Sprache und Dichtung, das Deutsche PEN-Zentrum, der Rat für Formgebung, das Institut für Neue Technische Form, Hessen-Design sowie der Fachbereich Gestaltung der Hochschule Darmstadt dort an. Mit der Retrospektive "Ein Dokument Deutscher Kunst 1901-1976" über die Arbeiten der Darmstädter Künstlerkolonie rückte die Mathildenhöhe wieder stärker in das kulturelle Bewusstsein – ein Prozess, der mit ihrer Ernennung zum Welterbe einen vorläufigen Höhepunkt erreicht hat.