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Marva Griffin

SALONE DEL MOBILE 2022 – PREVIEW
Aufhören liegt nicht in meiner DNA, aber man weiß ja nie...!

Marva Griffin hat 1998 den SaloneSatellite gegründet und seitdem über 13.000 jungen DesignerInnen ermöglicht ihre Arbeiten auf dem Salone del Mobile einem internationalen Publikum zu präsentieren. Was sie motiviert, wo ihre Liebe zum Design wurzelt und was ihre aktuellen Pläne sind, sagt sie uns im Interview.
04.04.2022

Anna Moldenhauer: Marva, durch dein Engagement für die Entwicklung und den Ausbau des SaloneSatellite hast du zahlreichen DesignerInnen, die heute etabliert sind, die Tür zu ihrer Karriere geöffnet. Paola Antonelli, Senior curator am MoMA in New York City, nannte dich einmal die "große Patin des Designs". Was war und ist deine Motivation, die Arbeit von jungen DesignerInnen sichtbar zu machen?

Marva Griffin: In erster Linie bin ich eine Mutter. Ich habe einen Sohn und komme aus einer sehr großen Familie mit Nichten und Neffen, sprich ich war immer von jungen Menschen umgeben. Die Idee zum SaloneSatellite entstand, während ich für die Zeitschriften Maison & Jardin und American House & Garden arbeitete. Es gab viele junge DesignerInnen, die ich in diesem Kontext kontaktierte. Parallel organisierte ich eine Ausstellung für den Salone del Mobile. Als die JungdesignerInnen das erfuhren, fragten sie mich: "Mrs. Griffin, können Sie uns in den Salone del Mobile hineinbringen"? Also sprach ich mit dem Management, mit Manlio Armellini, dem damaligen CEO, ob es dazu eine Möglichkeit gäbe. Die jungen DesignerInnen hätten es sich nie leisten können, einen Stand auf dem Messegelände zu buchen und wurden deshalb von den MöbelherstellerInnen oft übersehen. Der Salone del Mobile war zu dieser Zeit eine reine Plattform, die dem Verkauf und Export von italienischem Design dienen sollte. Eines Tages rief mich Armellini tatsächlich an und sagte: "Marva! Wir haben einen Raum, schau mal, was du tun kannst, um die Arbeiten der jungen DesignerInnen auf den Salone del Mobile zu zeigen. Ich habe ein Herz für junge Leute und wollte ihnen helfen. Das war und ist meine Motivation.

Du hast in Caracas Innenarchitektur studiert und dort auch begonnen Italienisch zu lernen. Anschließend bist du mit deinem Sohn Gustavo nach Perugia gezogen und hast dort eine Sprachuniversität für ausländische StudentInnen besucht. Mit dem Abschluss in der Tasche ging es dann nach Mailand und zu Piero Ambrogio Busnelli, dem CEO von C&B Italia, heute B&B Italia. Was hat dich damals an der Designszene in Italien gereizt?

Marva Griffin: Ich bin eines von acht Geschwistern und wir lebten in El Callao, Venezuela in einem großen Haus mit meiner Mutter, meiner Großmutter und meinem Vater. Meine Mutter war meistens in der Küche, kochte und backte und meine vier Schwestern halfen ihr. Ich hingegen weiß gar nicht wie man einen Kuchen backt, denn statt in der Küche zu sein habe ich mich der Dekoration des Hauses gewidmet. Als ich klein war, habe ich auch immer wieder die Möbel neu arrangiert. Zudem hatten wir zwei große Gärten – einen mit vielen Blumen, der andere mit Mangobäumen und Bananenstauden. Mit den wunderbaren Blumen habe ich das Haus geschmückt. Meine Geschwister fanden das übertrieben und haben über mich gelacht. Ich habe mich davon aber nicht beirren lassen und sogar mein Taschengeld ausgegeben, um im einzigen Laden der Kleinstadt das Magazin "House Beautiful" zu kaufen. Als ich viele Jahre später begann als freie Journalistin für eben diese Zeitschrift Artikel zu schreiben, konnte es meine Mutter kaum glauben. Mich hat Innenraumgestaltung immer angezogen und daher war Italien für mich das ideale Ziel. Einen Tag nach dem ich in Mailand ankam, hat mir eine Freundin von zwei freien Stellen erzählt, die sie in der Zeitung gesehen hatte, eine davon war für die PR-Kommunikation bei C&B Italia.

Wie ging es dann weiter?

Marva Griffin: Ich bekam den Job und ab da war es für mich, als würde ich nochmal zur Universität gehen. Ich habe unfassbar viel in dieser Zeit über Design gelernt. Statt mich in einem Vorzimmer zu platzieren, stellte Piero Ambrogio Busnelli einfach einen zweiten Schreibtisch in sein Büro. Ich war also stets mittendrin im Geschehen, es gab keine Geheimnisse. Zudem war ich für die Übersetzungen zuständig, denn Busnelli sprach kein Englisch und hatte zudem einen starken Dialekt. So traf ich alle DesignerInnen die mit C&B Italia arbeiteten wie Mario Bellini, Afra und Tobia Scarpa, Richard Sapper, Gaetano Pesce, den jungen Antonio Citterio und viele weitere. Ich bin über die Jahre mit Piero Ambrogio Busnelli und Caesare Cassina auf fünf Kontinente gereist und habe für sie übersetzt – das war eine unglaubliche Erfahrung!

Anna Moldenhauer, Redaktionsleitung des Stylepark Magazins, im Gespräch mit Marva Griffin, Gründerin und Kuratorin des SaloneSatellite

Du hast es bereits angesprochen: die Familie und das Kollektiv sind für dich von Anfang an wichtige Themen gewesen. Der SaloneSatellite ist auch eine Gemeinschaft, ein Netzwerk. Warum ist die Zusammengehörigkeit im Design so wichtig?

Marva Griffin: Die jungen DesignerInnen sehe ich als meine Schützlinge und behandle sie auch so. Ich denke, dass die Gemeinschaft im Design sehr wichtig ist. Gerade jetzt in diesen Zeiten, die uns so viel abverlangen. Wir müssen uns austauschen, unsere Gedanken, unsere Ideen. Denn nur die Kommunikation bewirkt, das Potenzial, was in einem steckt an die Oberfläche zu tragen. Wenn man nicht miteinander redet, bleibt es verborgen.

Welchen Rat gibst du den TeilnehmerInnen des SaloneSatellite mit auf den Weg?

Marva Griffin: Jede/r der gut 13.000 JungdesignerInnen, die ich bisher über den SaloneSatellite kennenlernen durfte, hatte eine eigene Art zu gestalten und zu denken. Man braucht ein Gefühl dafür, was man im Leben machen will und die Entwicklung findet im Laufe der Zeit statt. Die Digitalisierung hat zudem viel verändert. Ich rate ihnen immer viel zu lesen und viel unterwegs zu sein – sich unsere Welt anzuschauen. Geht ins Museum, besucht ein Kino, lest jede Zeitschrift, jedes Buch das ihr bekommt, denn aus allem lernt ihr, es bereichert euch und eure Perspektive.

Du sagst oft "Design ist die älteste Industrie der Welt", aber gleichzeitig wird dessen immense Bedeutung für unser Leben, für unseren Alltag von Außenstehenden der Branche oft unterschätzt. Warum ist das so?

Marva Griffin: Nicht jedem ist die Bedeutung von Design bewusst, aber im Grunde ist alles Design: Vom Glas aus dem wir trinken bis zu dem Bett, in dem wir schlafen. Es hängt oft davon ab, wie gut der Stellenwert von Design vermittelt wird und ob er Teil der jeweiligen Kultur ist. In Städten wie Helsinki merkt man zum Beispiel, dass die Menschen dort mit Design aufwachsen und deshalb ein Bewusstsein dafür haben. Es liegt an dem jeweiligen Land selbst, inwieweit es die Bevölkerung über die Bedeutung dieses Themas aufklären will.

Was ich für eine Person in deiner Position sehr schätze, ist deine Bodenständigkeit, deine Klarheit und Herzlichkeit. Du beurteilst Menschen nicht nach ihrem Titel oder nach ihrer Nützlichkeit für dich. Was erdet dich?

Marva Griffin: Anna, ich bin ein offenes Buch, un libro aperto. Ich beurteile Menschen nach dem, was sie mir geben – und für mich ist es ein Geben und Nehmen. Nach allem was ich erlebt und gesehen habe, beurteile ich die Menschen nur nach dem was sie tun, wie sie mit anderen Menschen umgehen. Titel sagen nicht alles. Ich muss mit dir reden um herauszufinden, wer du bist. Ich möchte nicht über eine Karriere lesen, ich möchte die Person treffen und sehen, wofür sie steht. Als ich jünger war, habe ich Menschen oft oberflächlich beurteilt, aber erst nach einem Gespräch habe ich festgestellt, wie diese Person in Wirklichkeit ist. Das hat mich gelehrt, es ruhig angehen zu lassen und keine zu schnellen Urteile zu fällen.

Jedes Jahr lädst du eine Gruppe von Persönlichkeiten aus der Designszene ein, um gemeinsam die jungen DesignerInnen auszuwählen, die ihre Arbeiten auf dem SaloneSatellite ausstellen dürfen. Kannst du schon sagen, wer in diesem Jahr zu der Jury gehören wird?

Marva Griffin: Das Auswahlkomitee wird Ende Oktober 2022 die BewerberInnen auswählen. Dafür schicken uns die DesignerInnen Fotografien Ihrer Arbeiten. Zu dem Komitee gehören immer ProduzentInnen, ArchitektInnen, DesignerInnen, ehemalige TeilnehmerInnen des SaloneSatellite und regionale wie internationale JournalistInnen. Darüber hinaus gibt es noch den SaloneSatellite Award. Dieser Preis wird von einer internationalen Jury an drei TeilnehmerInnen vergeben. Den Vorsitz hat seit der ersten Ausgabe Paola Antonelli (Senior Curator der Abteilung für Architektur und Design am MoMA und Kuratorin der XXII Triennale di Milano). Dieses Mal wird unter anderem Giulio Cappellini zu der Jury gehören.

Gibt es ein Projekt, das du in den nächsten Jahren verwirklichen möchten, wie zum Beispiel einen weiteren internationalen Standort des SaloneSatellite?

Marva Griffin: Das hängt nicht von mir ab, sondern von der Leitung des Salone del Mobile. Aktuell ist der SaloneSatellite in Shanghai und in Moskau wegen der Pandemie und des Krieges gestoppt. Wenn der Salone del Mobile zum Beispiel beschließt, einen Fokus auf Singapur oder jedes andere Land der Welt zu setzen, organisiere ich dort einen SaloneSatellite für die jungen DesignerInnen – sofern ich dann noch da bin!

Es wäre doch wunderbar, wenn ein SaloneSatellite in Venezuela möglich wäre. Siehst du da eine Chance?

Marva Griffin: In Venezuela gibt es sehr viel Kreativität und ein lebendiges Handwerk – das Potenzial ist unglaublich. Ein SaloneSatellite in meinem Heimatland wäre mein Traum, ist aber derzeit nicht möglich. Vor einiger Zeit hatte ich schon mal damit begonnen ein Design Wochenende in Caracas zu organisieren, aber ich musste das Projekt wegen der schwierigen politischen Situation wieder aufgeben. Trotzdem engagiere ich mich in dem möglichen Rahmen für die DesignerInnen dort, realisiere viele kleine Projekte oder motiviere sie, sich für den SaloneSatellite zu bewerben.

Bei meinen Recherchen für dieses Interview bin ich immer wieder auf einen Satz gestoßen: "Marva, wir brauchen dich". Nach allem was du mit dem SaloneSatellite aufgebaut hast, müsstest du diesem Ruf aber nicht mehr folgen. Was macht deine starke Bindung zum SaloneSatellite und dem Salone del Mobile aus?

Marva Griffin: Ich weiß nicht, wie ich die Frage beantworten soll. Ich bin sehr leidenschaftlich in allem was ich tue – so bin ich eben. Und neben meiner Arbeit für den Salone habe ich auch viele andere Projekte. Es gibt immer eine Menge Dinge, die mich beschäftigen. Aufhören liegt nicht in meiner DNA, aber man weiß ja nie. Eines Tages...!