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Team des Designkulturen Institut für Angewandte Designforschung (dci): Prof. Dr. Eileen Mandir, Prof. Markus Frenzl, Dr. Silke Konsorski-Lang, Katrin Laville, M.A. (v.l.n.r.)

Muster transformieren

Markus Frenzl ist Professor für Design- und Medientheorie an der Fakultät für Design der Hochschule München. Parallel forscht er im Rahmen der Hightech Agenda Bayern (HTA) zum Thema Design- und Innovationskulturen. Eine zentrale Maßnahme seiner Forschungsprofessur ist die Gründung des Designkulturen Institut für Angewandte Designforschung (dci).
14.03.2024

Anna Moldenhauer: Was genau ist die Hightech Agenda Bayern?

Prof. Markus Frenzl: Eine Technologieoffensive und Förderinitiative, mit der Bayern insgesamt rund 5,5 Milliarden Euro in Technologie, KI, Hochschulinnovationen und Transformation investiert. Als Fakultät für Design der Hochschule München haben wir vier Anträge für Forschungsprofessuren gestellt und alle wurden genehmigt, was uns wirklich überrascht hat. Das hilft uns in Bezug auf die Weiterentwicklung der Designlehre im Kontext von Transformationsthemen und vor allem für den Ausbau der Designforschung sehr!

Im Rahmen der Forschungsprofessur wirst du die soziokulturellen Aspekte von Transformation und Innovationsprozessen sowie Design als Kulturproduktion erforschen. Was bedeutet das?

Prof. Markus Frenzl: Dank zusätzlicher Unterstützungsmittel des bayerischen Landtags für die Designforschung kann ich nun im Rahmen meiner Hightech Agenda-Professur ein Institut für angewandte Designforschung gründen. Mein Schwerpunkt liegt im Bereich Designkulturen und Innovationskulturen. Dazu kommt meine Kollegin Prof. Dr. Eileen Mandir, die im Rahmen der Hightech Agenda auf die neu geschaffene Professur für Systemisches Design berufen wurde. Sie hat technische Kybernetik studiert, war im Bereich der Mobilitätsforschung tätig und bringt so als Quereinsteigerin in die Branche ganz neue Perspektiven ein. Zwei wissenschaftliche Mitarbeiterinnen, Katrin Laville und Dr. Silke Konsorski-Lang, sind ebenfalls Teil des Kernteams. Bei unserem Institut geht es vor allem um die Rolle, die Design für neue kulturelle Muster bei Transformationsthemen spielt. Wilhelm Vossenkuhl sagt: "Kulturen sind Weisen, eine Welt herzustellen." Das ist spannend, da wir mit Kulturen natürlich einen umfassenderen Kulturwandel durch Design und nicht das Thema Hochkultur meinen und da wir speziell in Deutschland Design nicht unbedingt unter dem Begriff Kultur verorten.

Stimmt, leider oft unter "Stil", was der Vielfalt des Themas Gestaltung nicht im Ansatz gerecht wird.

Prof. Markus Frenzl: Designförderung ist in Deutschland immer bei den Wirtschaftsministerien angesiedelt. Das ist in vielen anderen Ländern nicht der Fall. Ich glaube, dass vielen in Öffentlichkeit und Politik die kultur- und identitätsstiftende Funktion des Designs kaum bewusst ist. Dieser Wert bleibt ungesehen, wenn nur ein möglicher finanzieller Gewinn abgefragt wird. Im Grunde ist das Verständnis der gesellschaftlichen Relevanz des Designs eine der großen verpassten Chancen in Deutschland, denn mit unserer Designhistorie, dem Bauhaus und der HfG Ulm – den bedeutendsten Designschulen des 20. Jahrhunderts – sollten wir eigentlich eine Nation sein, die das größte Verständnis von Design als kulturprägender Disziplin hat. Stattdessen ist Design eher in Frankreich, Italien oder Skandinavien ein Kulturthema. Dort gibt es ein umfassenderes Designverständnis und die Bevölkerung ist stolz auf ihre Designer:innen und ihre Designgeschichte. Dass die HfG Ulm ein neuer demokratischer Anfang nach Kriegsende sein sollte, dass sie über Gestaltung zu Demokratie und einer neuen Gesellschaft beitragen sollte, ist heute nur wenigen bekannt. Aktuell ist die Demokratie erneut gefährdet, aber würde man aus diesem Grund heute eine Gestaltungshochschule gründen? Wohl kaum.

Vor ein paar Jahren hatte ich ein Forschungssemester zum Thema "Öffentliche Designrezeption" und habe die These entwickelt, dass das Design der 80er-Jahre und die Funktionalismuskritik die Wahrnehmung von Design in Deutschland extrem geprägt haben und diese Bilder immer noch nachwirken. In diesem Kontext habe ich ein längeres Gespräch mit dem Architekten und Designer Volker Albus geführt, einem der wichtigsten Protagonist:innen des Neuen Deutschen Designs. Ich habe dadurch viel besser verstanden, wie wichtig den Designer:innen in den 80er-Jahren Subjektivität als Gegenbewegung zum Funktionalismus war. Sie wollten mit den bewusst andersartigen, provokativen und manchmal auch schrillen Entwürfen ihre eigene Erlebenswelt darstellen und damit Subjektivität und Emotionalität ins Design zurückbringen. Ich denke, dass die Funktionalismuskritik, die durch dieses subjektive Design zum Ausdruck gebracht werden sollte, in der Öffentlichkeit kaum angekommen ist, sondern die Entwürfe oft nur als Skurrilitäten oder Provokationen wahrgenommen wurden. Statt die gesellschaftliche Relevanz zu erkennen, wird Design noch heute oft als Spielerei, Ästhetisierungsmaßnahme oder Verkaufsförderung missverstanden. Und dieses Muster wird in den Medien verstärkt, denn dort findet kaum eine kulturelle Reflexion über Design statt. Interessanterweise werden andere Elemente der Populärkultur wie Musik durchaus im Feuilleton diskutiert. Bei Design geschieht das entweder gar nicht oder nur aus einer sehr distanzierten, oft spöttelnden Haltung heraus. Das finde ich sehr schade.

Die Disziplin wird mitunter auf eine oberflächliche Produktgestaltung für eine vermögende Zielgruppe reduziert – obwohl jedes Objekt, mit dem wir leben gestaltet ist. Wie wollt ihr die hohe Bedeutung von Design für unsere Gesellschaft über das Institut vermitteln?

Prof. Markus Frenzl: Ein Kernthema sind die "cultural patterns", also die kulturellen Muster im Kontext Entrepreneurship, Transformation, Gesellschaft, Digitalisierung, Innovation. Was sind bestehende kulturelle Muster? Wo gibt es Potenziale, sie zu transformieren und wie kann man neue kulturelle Muster schaffen oder anstoßen und dabei die Historie berücksichtigen? Design steht sehr stark in der Tradition der Moderne mit ihrem Grundgedanken, das Bestehende beiseitezuschieben, alles neu zu gestalten und damit auch die Gesellschaft neu zu entwickeln. Dabei steht jeder Entwurf in historischen Kontexten. Wenn den Menschen nur eine radikale Transformation vor die Nase gesetzt wird, ohne ihnen den Bezug zum Vertrauten aufzuzeigen, führt das zu Ablehnung – auch das hat uns die Geschichte der Moderne gezeigt.

Prof. Markus Frenzl

Beschränkung wird als Bedrohung wahrgenommen.

Prof. Markus Frenzl: Ja. Und an der Stelle ist es wichtig zu kommunizieren, dass wir, gerade vor dem Hintergrund von Globalisierung und Digitalisierung, auch Bewährtes aufgreifen können. Man könnte auch sagen: "Was ist schön, bewährt oder erhaltenswert? Lass uns dieses kulturelle Muster herausgreifen und schauen, wie man es transformieren und zukunftsfähig machen kann!" Das ist die Metaebene, die über dem Designkulturen Institut steht – existierende kulturelle Muster zu erforschen, um sie zu neuen kulturellen Mustern weiterzuentwickeln. In der Lehre möchten wir Design, Design Futuring, Designtheorie und Entrepreneurship zusammenbringen. Die angewandte Designforschung soll in Form des Instituts an der Hochschule München verankert werden, wir wollen aber auch erreichen, dass sie im Freistaat Bayern insgesamt größere Relevanz erhält. Im Rahmen der letztjährigen mcbw (Munich Creative Business Week) haben wir an der Fakultät für Design beispielsweise gemeinsam mit den anderen bayerischen Designfakultäten aufgezeigt, wieviel Designforschung in Bayern bereits stattfindet, auch wenn diese Vielfalt bislang noch nicht unter dem übergreifenden Begriff der Designforschung kommuniziert wurde.

Wie sieht das Angebot aktuell aus?

Prof. Markus Frenzl: Es gibt fünf eigenständige bayerische Designfakultäten mit einer großen Bandbreite an Schwerpunktsetzungen, Vertiefungs- und Forschungsbereichen und auch einzelnen Forschungsinstituten. Normalerweise stehen Designausbildungsstätten auch innerhalb eines Bundeslandes im Wettbewerb. Die Vernetzung der bayerischen Designfakultäten war deshalb für uns ein enorm wichtiger Schritt, durch den wir, allein schon mit Blick auf die hohe gemeinsame Anzahl von Studierenden und Lehrenden, eine andere Schlagkraft und ein stärkeres Selbstbewusstsein entwickelt haben. Zudem war es interessant intern abzugleichen, was Forschung für andere Hochschulen oder Fakultäten bedeutet.

Generell wird zwischen Forschung für Design, Forschung über Design, Forschung durch Design und Forschung von Design unterschieden. Als Fakultät an einer Hochschule für angewandte Wissenschaften liegt unser Fokus vor allem auf der Forschung durch Design. In diesem Sinne haben wir auch im Namen des dci bewusst den Begriff der Angewandten Designforschung gewählt. Auch unseren Masterstudiengang an der Hochschule München, dessen Studiengangsleiter ich bin, haben wir vor kurzem umbenannt, um mit der Bezeichnung den Fokus auf die Angewandte Designforschung zu verdeutlichen.

Designforschung bedeutet nicht praxisferne akademische Theorieproduktion. Zudem möchten wir zeigen, dass Design ein kultureller Motor bei Transformationsthemen ist und sinnstiftend sein kann. Es ist wichtig, das auch in die Wirtschaft zu vermitteln. Ein Zitat vom Designtheoretiker, Dozent und Designer Gui Bonsiepe von 1994 gefällt mir in diesem Zusammenhang besonders gut: "Während die Arbeit des Wissenschaftlers auf kognitive Innovation und die Arbeit des Ingenieurs auf operationelle Innovation abzielt, steht im Zentrum der Arbeit des Designers die soziokulturelle Innovation. Design bindet das Fremde und Befremdliche der Technologie in die gesellschaftliche Alltagssituation mittels der sozialen Institution genannt Unternehmen". Soziokulturelle Innovation - das finde ich toll! Es geht um Innovation in Kultur, Unternehmen und Gesellschaft – das steht im Zentrum gestalterischer Arbeit.

Der Mensch steht im Mittelpunkt des Designs.

Prof. Markus Frenzl: Die Vorteile der Designforschung für die Gesellschaft werden noch zu wenig wahrgenommen. Unser Berufstand muss sich häufig rechtfertigen. Seid ihr überhaupt richtige Wissenschaftler:innen? Seid ihr richtige Ingenieur:innen? – Nein, wir sind richtige Designer:innen! Wir haben eine eigenständige Art der Forschung, und die ist nicht schlechter oder besser, sondern einfach nur anders. So ist das in jeder Disziplin. Die angewandte Designforschung ist vor allem Forschung durch den Entwurf. In unserer Designdisziplin wird Wissen über den Ablauf Forschung – Experiment – Prototyping generiert. Das kann viel mehr Iterationen, viel mehr Verwerfen und Neubeginnen beinhalten. Das ist in anderen Disziplinen nicht so, in denen der Forschungsbegriff stärker auf das Erforschen von unumstößlichen Erkenntnissen ausgerichtet ist. Claudia Mareis, Professorin für Gestaltung und Wissensgeschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin, bezeichnet Design als eigenständige Wissenskultur, als eigene epistemische Praxis. Sprich: Schon durch das Entwerfen und Erfahrbar-Machen wird Wissen generiert, das die Disziplin jedes Mal ein Stück weiterbringt.

Fakultät für Design der Hochschule München

Was ist das Ziel des neuen Instituts?

Prof. Markus Frenzl: Um es mit unserem Mission Statement auszudrücken: "Das Designkulturen Institut für Angewandte Designforschung / design cultures institute for applied design research (dci) begreift Design als identitäts- und kulturstiftende Praxis mit eigener Wissens- und Forschungskultur. Es erforscht Wahrnehmungs-, Wissens-, Handlungs-, Innovations- oder Unternehmenskulturen durch Design. Es identifiziert vertraute kulturelle Muster, adaptiert sie und entwickelt sie weiter, um sie kulturell anschlussfähig zu machen und Impulse für soziale, ökologische, technologische oder unternehmerische Zukünfte zu geben."

Unsere Methodenfelder liegen in den Culture and Design Studies, der Kulturanthropologie oder dem Design Futuring. Unsere Formate sind vor allem partizipative Formate, Interventionen, spekulative Projekte, aber auch Vermittlungs- und Transferformate wie Symposien, Workshops, Ausstellungen oder Experimente. Dabei geht es auch um den kreativen Umgang mit Zielkonflikten verschiedener Systemlogiken, die Kultur entstehen lassen: Politik, Recht, Wirtschaft, Demokratie, Wissenschaft oder Zivilgesellschaft. Auch Impulse für das Entrepreneurship können daraus entstehen. Die inhaltlichen Felder, die wir bislang für das dci definiert haben, sind: Urbanität und Mobilität, Digitalität und Digitalkulturen, Handwerk und Handwerkskulturen, Gesundheit und Wellbeing sowie Transformation und Partizipation.

Das sind jeweils sehr große Themenbereiche.

Prof. Markus Frenzl: Das sind Riesenfelder und man könnte zu jedem ein eigenes Institut gründen, um sich darauf inhaltlich zu spezialisieren. Uns geht es im dci aber darum, in unterschiedlichen Feldern kulturelle Muster zu identifizieren und für ihre Weiterentwicklung von verschiedenen inhaltlichen Perspektiven zu profitieren. Das ist die spezifische Expertise, die wir in unserem Institut, an der Fakultät und an der Hochschule insgesamt haben. Ebenso können wir dank unseres Netzwerks gemeinsame Projekte realisieren, etwa in Zusammenarbeit mit dem Strascheg Center for Entrepreneurship (SCE), dem international renommierten Entrepreneurship Center der Hochschule München. Wir betreuen Dissertationen im Bereich digitale Ethik oder zum Thema "Autofreie Quartiere". Für HM:UniverCity, dem Innovationsnetzwerk unserer Hochschule, das sehr aktiv im Bereich Co-Creation, bei Partizipations- und Urbanitätsthemen ist, haben wir Begleitforschungsimpulse zum Thema Urbanität und Teilhabe für das New European Bauhaus-Projekt "Creating NEBourhoods Together" beigesteuert. Zu Themen wie "KI in der Röntgendiagnostik" oder "Partizipation im Kontext Demokratie" laufen aktuelle Forschungsanträge.

Gibt es noch weitere Forschungsthemen?

Prof. Markus Frenzl: Inhaltlich fände ich etwa eine spannende Herausforderung, neue kulturelle Muster für die Möbelindustrie zu erforschen. Viele Hersteller befassen sich mit Nachhaltigkeit, zirkulären Produkten oder recyclierbaren Materialien. Aber noch immer basiert das Geschäftsmodell meist auf größeren Stückzahlen und immer mehr Produkten. Noch immer werden die Umweltprobleme, die damit einhergehen, auf die nächste Generation verlagert. BMW hat vor vielen Jahren den Leitsatz kommuniziert "Wir verkaufen keine Autos, sondern Mobilität." Natürlich verkauft BMW noch immer Autos, aber sie haben eine Perspektive für die Zukunft formuliert, die den Fokus von den Produkten auf die Gesamtperspektive verlagert und die Frage stellt, worum es tatsächlich in der Nutzung geht. Im Grunde müssten die Möbelhersteller dementsprechend sagen "Wir verkaufen keine Stühle, sondern Wohnen und Wohnkultur". Daraus ergeben sich interessante Forschungsfragen: Was könnte Suffizienz für die Hersteller hier wirklich bedeuten? Wie könnten unter dieser Prämisse neue kulturelle Muster für Möbelunternehmen aussehen? Wie könnte ein Unternehmen damit wirtschaftlich bleiben?

Ein besonders spannendes Thema ist für mich zudem die Erforschung der Potenziale noch vorhandener bayerischer Handwerkskulturen. Ich finde es falsch, dass wir in Deutschland das traditionelle Handwerk nicht unterstützen, wenn es sich gerade ökonomisch nicht mehr trägt. In Japan beispielsweise wird dieses Wissen als "National Treasure", als Staatsschatz, geschützt und herausragende HandwerkerInnen werden als "Living National Treasures" finanziert, um jahrhundertealte Handwerkskulturen, Material- und Verarbeitungskompentenzen für nachfolgende Generationen am Leben zu erhalten.

Es wird als Teil der Kultur wertgeschätzt.

Prof. Markus Frenzl: Genau. Wenn ein Handwerk hierzulande verschwindet, bedeutet das immer auch, dass wir Wissen verlieren und zu einem späteren Zeitpunkt womöglich wieder von vorne beginnen müssen. Ein Beispiel: Schon vor 2000 Jahren wurde im antiken Rom ein langlebiger Beton eingesetzt, der sich bei Feuchtigkeit verdichtet, während der Bewehrungsstahl im modernen Beton bei Feuchtigkeit Zeit rostet. Das Wissen über dieses Material war bereits vorhanden und ist dann verlorengegangen. Was zur Folge hatte, dass WissenschaftlerInnen erst wieder erforschen mussten, dass gebrannter Kalk und Puzzolane dem antiken Beton diese Eigenschaft verleihen. Wer hat vor ein paar hundert Jahren entschieden, dass dieses Wissen nicht mehr gebraucht wird?

Gerade im Bezug auf Nachhaltigkeit geht es um Material- und um Verarbeitungskompetenzen, die wir nicht verlieren sollten, selbst wenn uns ihr Wert aktuell noch nicht klar ist: Lassen sich beispielsweise Elemente aus der traditionellen Herstellung von Zäunen in einen neuen Kontext transferieren, etwa für eine nachhaltige Wandverkleidung? Könnten handwerkliche Kompetenzen aus der Glasmalerei vielleicht eine Rolle für Flüssigkristall- oder Solartechnologie oder bei digitalen Themen spielen? Wir wissen heute noch nicht, welche Kompetenzen von gestern wir morgen brauchen werden. Letztlich ist das auch das Dilemma der Moderne: In einer Disziplin, die die Zukunft erfindet und gestaltet, fällt uns die Verknüpfung zur Vergangenheit schwer. Dem Design kommt seit der Digitalisierung aber auch die neue Rolle zu, die Kultur des Gegenständlichen zu bewahren. Wir möchten bestehende kulturelle Muster in neue Bereiche übertragen, in denen sie einen Nutzen haben können. Denn diese Transferleistung ist eine besondere Stärke von GestalterInnen.

Fakultät für Design der Hochschule München

Mit was befasst ihr euch noch?

Prof. Markus Frenzl: Mit Partizipation, Co-Kreation und Zukunftskompetenz im Kontext der Mobilität: Welche Kompetenzen muss man bei BürgerInnen fördern, damit sie ihr Mobilitätsverhalten verändern, welche Formate sollte man hierzu entwickeln? – Es gab in München kürzlich ein Projekt im Rahmen des MCube-Clusters zum Thema autofreie Quartiere. Dabei wurden auf ein paar Straßen für wenige Wochen alternative Nutzungen für Parkplätze ausprobiert. Diese Aktion hat in der Stadt zu hitzigen Diskussionen geführt: Viele Leute waren skeptisch, ob die Aktionen wirklich temporär sind und ob da nicht die Politik irgendwas durchsetzen will. Auf den Begriff "Reallabor", der im Forschungskontext eine gängige Bezeichnung ist, erwiderten AnwohnerInnen, dass sie keine Laborratten sein wollen. – Daran lässt sich erkennen, dass das Experiment, das für die Designbranche ein ganz selbstverständliches Werkzeug ist, in der Gesellschaft nicht immer willkommen ist und unsere Kultur nicht per se experimentierfreudig ist. Vor allem nicht, wenn es um das Thema Mobilität oder das Auto geht. Ein erfreuliches Experiment und Ausnahme war die temporäre Einführung des Neun-Euro-Tickets.

Eine Transformation kann man nicht vorab zu Ende denken, man muss sie im Experiment ausprobieren. Wir müssen also auch den Wert des Experiments gesellschaftlich neu vermitteln. Das erstreckt sich bei Projekten auch auf die Kommunikation: Für jedes Projekt müssen im Austausch mit den Beteiligten individuelle Begriffe für das Vorgehen gefunden werden, die positiv besetzt sind. Denn ein Reallabor beschreibt idealerweise ein gemeinsames Zukunftsexperiment, es geht um Partizipation und Co-Kreation. Das funktioniert nur, wenn die Bevölkerung auf Augenhöhe miteinbezogen wird.

Was sind eure weiteren Ziele?

Prof. Markus Frenzl: Die Forschungsmöglichkeiten im Rahmen der HTA-Forschungsprofessuren sind zunächst auf fünf Jahre angelegt, aber natürlich denken wir mit dem Designkulturen Institut (dci) langfristiger. Uns geht es darum, das Institut zu verstetigen und darum, dass die Projektergebnisse nicht in der Hochschulwelt verpuffen. Beim dci geht es um kulturelle Muster für große Transformationsthemen – Design ist dafür die ideale Schnittstelle – als Transfer- und auch Vermittlungsdisziplin in die Gesellschaft mit partizipativen Formaten, Symposien, Dokumentationen oder Buchpublikationen.

Veränderung birgt Chancen. Wir als Gesellschaft haben während der Pandemie gelernt, dass unser Verständnis, wie Dinge funktionieren, auch von heute auf morgen weg sein kann und wir einen neuen Ansatz finden müssen. Dass es einer Veränderung bedarf und diese dringlich ist. Vielleicht hilft diese Erkenntnis auch der Gestaltungsarbeit und Designforschung. Unsere Aufgabe ist es aufzuzeigen, dass diese Transformation jede und jeden betrifft und dafür zu sorgen, dass diese nicht nur "von oben herab" geschieht, sondern auch jede Person der Gesellschaft mit ihren Entscheidungen mit dazu beiträgt.

Du arbeitest seit vielen Jahren in der Lehre als Professor für Design- und Medientheorie, als Prodekan der Fakultät für Design an der Hochschule München, als Studiengangsleiter für euren Masterstudiengang. Kannst du die Fragen der Studierenden im Institut aufgreifen?

Prof. Markus Frenzl: Die Studierenden haben sofort verstanden, was "Angewandte Designforschung" für den Masterstudiengang bedeutet und dass damit der Fokus des Studiengangs klarer vermittelt wird. Dass es um anwendungsbezogenes Forschen geht, statt um ein praxisfernes Forschen, das nicht in Alltagsphänomenen kontextualisiert ist. Und dass es beispielsweise auch um soziale Bewegungen gehen kann, von der Aneignung des öffentlichen Raums bis hin zu neuen Mobilitätsformen. Es muss nicht immer um die Gestaltung eines Objekts gehen. Viele der Studierenden haben einen hohen sozialen und nachhaltigen Anspruch an ihre Arbeit. Transformation, Veränderung des Bestehenden, Teilhabe, Gleichberechtigung sind auch im Design Kernthemen für jüngere Generationen.

Auch auf Sinnsuche?

Prof. Markus Frenzl: Ja. Auch wenn es meiner Meinung nach dafür unverzichtbar ist, sich mit der Historie zu befassen. Denn die Sinnsuche beginnt nicht erst heute. Viele Bewegungen, wie das Streben nach mehr Nachhaltigkeit und Gleichberechtigung, haben ihre Wurzeln in früheren Generationen. Natürlich hat eine neue Generation den Antrieb alles anders zu machen, statt an die Historie anzuknüpfen. Aber es ist hilfreich, wenn man weiß, was es bereits gab und worauf aufgebaut werden kann, denn so steigen auch die Chancen für die Akzeptanz einer Idee in der Gesellschaft. Man kann keine unspezifische Forschungsfrage, wie etwa "Wie retten wir die Welt"?, beantworten. Aber wir können einen kleinen Bestandteil des Gefüges verbessern, der dann zu einem größeren Wandel beiträgt. Viele Masterarbeiten drehen sich aktuell um gesellschaftsrelevante Fragestellungen, um Aspekte der Transformation, um neue Nutzungen und Handlungsveränderungen, befassen sich mit Visualitäten von Geschlechteridentitäten oder Identitätsaspekten im Digitalen. Ich finde es super, dass sich angehende DesignerInnen damit befassen und nicht nur sagen: "Ich will eine coole Leuchte gestalten".

Fakultät für Design der Hochschule München