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Ins Wasser geschrieben

Mark Wallinger hat an historischer Stelle ein beeindruckendes Kunstwerk geschaffen, das zur bewussten Auseinandersetzung mit dem geschichtlichen Erbe anregen will.
von Fabian Peters | 04.07.2018

Im Jahr 1215 wurde Johann Ohneland, König von England, in den Themseniederungen von Runnymede bei Windsor von seinen Baronen gezwungen, die "Magna Charta Libertatum" zu unterzeichnen. Den aufständischen Adligen ging es hauptsächlich darum, vom König nicht länger übermäßige Steuerlasten aufgebürdet zu bekommen und in ihrer Handlungsfreiheit nicht durch die Ministerialen der Krone eingeengt zu werden. Die Wirkung, die das Dokument in den nachfolgenden 800 Jahren entwickeln sollte, nicht zuletzt dadurch, dass amerikanischen Verfassung nach seinem Vorbild entworfen wurde, konnten sie nicht erahnen. Es wurde zum Grundstein des Rechtsstaates und der konstitutionellen Monarchie in England. 

In den letzten zwei Jahrhunderten hat man den Ort der Unterzeichnung (dessen Lokalisierung allerdings nicht völlig unumstritten ist) mit allerlei Gedenkarchitektur versehen. Jetzt hat der National Trust, der einen Großteil des Geländes betreut, den Künstler Mark Wallinger beauftragt, sich mit der Magna Charta auseinanderzusetzen. "Writ in Water" ist ein großer Rundpavillon aus mit lokalem Gestein versetzten Stampfbeton. Wallinger hat ihn gemeinsam mit dem Londoner Architekturbüro Studio Octopi errichtet. Der fensterlose Bau wird im Inneren durch ein großes Opaion erhellt, dessen Form ein rundes Wasserbecken am Boden wiederholt. Der innere Beckenrand ist mit einer auf dem Kopf stehenden Inschrift versehen, so dass der Betrachter im Wasserspiegel den Text lesen kann. Es handelt sich um den berühmten Artikel 39 der Magna Charta, der jeden "freien Mann" vor willkürlicher Verhaftung und Verurteilung durch den König schützt.

Wallinger hat den Titel "Writ in Water" der Grabinschrift des Dichters John Keats entliehen – "Here lies one whose name was writ in water." Er stellt damit die Verbindung zu den Versen Keats her, die, so der Künstler, nur durch die stete Wiederholung im kollektiven Gedächtnis bleiben können. Ebenso muss der Text der Magna Charta von jeder Generation erneut mit Sinn gefüllt werden. (fap)