top
Mark Braun

Idealismus trifft Pragmatismus

Seit 2006 betreibt Mark Braun sein eigenes Designstudio in Berlin. Das Portfolio des Designers umfasst ausgewählte Projekte für Unternehmen wie Lobmeyr, Mono, Nomos Glashütte oder Thonet, aber auch individuelle Maßarbeiten wie für das Aura Karwendel.
06.12.2023

Gut möglich, dass ihm die Affinität zum Design in die Wiege gelegt wurde: Mark Braun stammt aus einer Familie, in der bereits die Großeltern ArchitektInnen und die Mutter Werklehrerin waren – beste Voraussetzungen also, um selbst in gestalterische Fußstapfen zu treten. Nach seiner Ausbildung zum Tischler und Industriedesigner in Berlin, Halle, Eindhoven und Potsdam bezog Mark Braun 2006 sein eigenes Studio mit Werkstatt in Berlin. Der Gastprofessur an verschiedenen Universitäten wie der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle oder der ECAL Lausanne folgte 2015 die Professur für Produkt- und Industriedesign an der HBK Saar.

Zu Gast in seinem Studio in einer ehemaligen Klavierfabrik in Berlin Alt-Treptow fällt zuerst die entspannte Stimmung im Team auf und nur einen Augenblick später das kunterbunte Durcheinander im Raum. Jede Menge Materialmuster, Kunstobjekte und Mockups machen sofort klar: hier ist etwas am Entstehen. Neben schönen wie nützlichen Alltagsgegenständen, von der Armbanduhr über den Füllfederhalter bis zum Besteck, entwirft Mark Braun mit seinem Team auch Schmuck, Möbel und Leuchten. Höchst erfolgreich, wie eine Vielzahl an Auszeichnungen beweisen. Bei den Studioprojekten spielen neben der Ästhetik und Funktion auch Themen wie Langlebigkeit, Nachhaltigkeit oder gendergerechtes Design eine wichtige Rolle.

Blick ins Studio Mark Braun

Im Gespräch mit Mark Braun

Linda Pezzei: Wie arbeitest du in deinem Studio generell?

Mark Braun: Meistens sind es vier Projekte, die wir gleichzeitig aktiv in Bearbeitung haben. Zusätzlich gibt es an die zehn Projekte, die wir nebenbei im Blick behalten. In diesem Sinne verstehe ich mich als Gestalter und kreativer Manager von Gestaltungsprojekten. Mit meinem Studio gehe ich hauptsächlich Partnerschaften mit inhaberInnengeführten Unternehmen ein – in größeren Konzernen erweist es sich oft als schwierig, die EntscheiderInnen auf direktem Wege zu greifen. Für etwa fünf Unternehmen entwerfen wir momentan Besteck, Uhren, Rasierer und Füller, für Fischer Messgeräte und Möbel für Echtstahl. Wir arbeiten gerne auch mit kleineren Labels oder traditionsreichen Manufakturen wie Lobmeyr zusammen. Mir liegt dabei besonders am Herzen, eine intensive Beziehung zu den InhaberInnen zu pflegen: statt einem One-Hit-Wonder ziehe ich es vor, ein gegenseitiges Commitment einzugehen. Dabei ist es besonders spannend, sich die jeweiligen Skills und Märkte der PartnerInnen zu erschließen, das kommt nicht von jetzt auf gleich, sondern peu à peu. Andere Aufträge ergeben sich wiederum, weil Marken einfach Autorendesign sammeln. Manchmal kann außerdem ein schönes schnelles Projekt sehr vitalisierend wirken.

Was machen so individuelle Projekte wie das Aura Karwendel für dich aus?

Mark Braun: Das Aura Karwendel, ein Gästehaus in Scharnitz in Tirol, war ein echter Schnellläufer und darum ein wirklich spezielles und cooles Projekt. Wir haben eine kleine Stückzahl an Produkten für einen besonderen Ort geschaffen. Generell kann aus solchen Projekten natürlich auch ein neues Serienprodukt entstehen, andererseits befreien uns derlei Aufträge aber auch von der Serie – denn das Margengeschäft erweist sich leider oft als schwere Hürde für das Design "Made in Germany". Gegenseitiger Respekt und das Vertrauen sind in meinen Augen wichtiger, als allein das große Geld zu verdienen. Dank meiner Tischlerlehre in Berlin habe ich noch zahlreiche Kontakte von früher – dazu zählen auch die Werkstätten Weißensee, das schon Projekte für Olafur Eliasson realisiert hat. Auch dem Auftraggeber Thomas Prantl war es wichtig, dass wir mit dem Kollektiv einen erfahrenen Partner ins Boot holen, um Qualitätsverluste in der Umsetzung zu vermeiden. Letztlich war Thomas so begeistert, dass in Folge mehrere Produkte – wie Gläser und Karaffen für Lobmeyr mit einer limitierten Gravuredition der Isarauen, die neue Möbelserie "KARL" und der Barstuhl von Northern – in das Aura Karwendel Einzug hielten. Ein insgesamt sehr vitales Projekt.

Lassen sich Produkte wie "KARL" vom Unikat zur Serie wandeln?

Mark Braun: Generell ja, wenn man einen interessierten Hersteller findet. Wir denken bei "KARL" aber eher an einen Direktvertrieb im Sinne von On-Demand-Bestellungen in Kooperation mit den Werkstätten Weißensee. Eine Händlermarge würde das Produkt im Zweifelsfall kaputt machen. Da das Design in dem Bestreben entstanden ist, vor Ort vorgefundenes Altholz als Material für die Möbel zu verwenden, könnte das künftig noch ein größeres Thema werden. Ein anderes spannendes Projekt war unser Entwurf für die Domotex 2023 in Hannover. Dort hatten wir die Möglichkeit, neben Sebastian Herkner und Studio Besau-Marguerre einen der fünf Mood Spaces unter dem Motto "Floored by Nature" zu gestalten. In unserem Mood Space wollten wir die Verbindung zwischen natürlichen und industriellen Prozessen hervorheben und zeigen, dass sie trotz Gegensätzen eine Einheit bilden können. Für die im Cyanotypie-Verfahren handgefärbten Vorhänge stellte uns unser Kooperationspartner Kvadrat die entsprechenden Stoffe zur Verfügung. So ist wieder ein neuer Kontakt entstanden, der letztlich zu einem Serienprodukt führen könnte.

Stuhl "KARL" des Studio Mark Braun

Du bist auch Professor an der HBK Saar. Was ist dir in der Gestaltung und Lehre besonders wichtig?

Mark Braun: Als Gestalter habe ich natürlich Ideale und frage mich, wie ich diese mit der Realität verknüpfen kann. Mir ist die Herkunft der Materialien sehr wichtig, daher sind Projekte rund um das Urban Mining zeitgemäße Themen für mich. Im Rahmen eines Drittmittelprojekts sammeln wir Wertstoffe aus der Industrie ein, um diese gemeinsam mit sozialen Werkstätten in Produkte wie Möbel für Kitas oder öffentliche Räume zu überführen. Ich nenne das Upcycling jenseits des Mainstreams. Das Schöne an der Hochschule ist ja, dass wir gesellschaftliche Themen mit Design verknüpfen können.

Die Zukunft der Gestaltung sehe ich aber durchaus auch in den Produkten, die es im Laden zu kaufen gibt. Mein Wunsch ist es, so auszubilden, dass der Gestalter oder die Gestalterin das mächtige Werkzeug Design positiv einsetzen kann. Wir müssen versuchen, Materialverschwendung vorzubeugen und nachhaltige, funktionale aber auch schöne Produkte zu schaffen, die den Fragestellungen unserer Zeit gerecht werden. Die Studierenden erlangen in meinen Kursen die Methoden und Fähigkeiten, sich mit diesem Ziel im Entwurfsprozess souverän zwischen Handwerk und Industrie, Innovation und Tradition zu bewegen. An unserer Kunsthochschule, der HBK Saar, gibt es dafür die ideale Infrastruktur mit motivierten Lehrenden und modernen Werkstätten. Im Moment bearbeiten meine StudentInnen zum Beispiel das Projekt "In Serie", eine Kooperation mit dem Magazin AW Architektur & Wohnen, und produzieren eigenständig Kleinserien, im Rahmen derer sie standardisierte Prozesse und Materialkreisläufe neu denken. Die Ergebnisse werden im kommenden Januar auf der Ambiente in Frankfurt in Main gezeigt, falls Interesse besteht. Ich selbst verstehe mich als bodenständigen Pragmatiker mit Idealen, denen ich aber nicht dogmatisch folge, da Ideale auch ausbremsen können.

Was braucht deutsches Design momentan in deinen Augen?

Mark Braun: Ich nehme da zwei Welten wahr: Eine Gruppe sehnt sich nach einer schönen Wohnumgebung, wo sie ihre Serien streamen kann. Eine andere Gruppe ist sehr engagiert, wenn es um Themen wie Nachhaltigkeit, Greenwashing und Co geht – sie wünscht sich Marken, denen man vertrauen kann. Das deutsche Design braucht in meinen Augen von beiden Welten etwas: Opulenz und Awareness. Es wird immer wichtiger sein, zirkuläre Wertschöpfungsketten zu schaffen. Dabei geht es mir weniger darum, den Moralapostel zu spielen, sondern vielmehr den Trend zu setzen, wenige hochwertige Produkte, als viele billige Produkte zu konsumieren. Auch das Thema der Reparierbarkeit sollte wieder mehr Anerkennung finden.

Davon abgesehen gibt es meiner Meinung nach zu viele Designhochschulen und in Folge zu viele GestalterInnen in Deutschland. Ich wäre durchaus dafür, dass einige nicht funktionierende Hochschulstandorte schließen sollten, auch wenn es meine eigene Profession in Frage stellt. Ungenutztes Potenzial sehe ich aber auch darin, dass der Designer oder die Designerin als Experte einer Schnittstellendisziplin zu wenig in interdisziplinäre Bereiche eindringt. Hier gilt es an der Vermittlung zu arbeiten, wie wir es mit der von mir mitinitiierten German Design Graduates Plattform des Rats für Formgebung verstärkt tun. Ich kann außerdem die Tendenz beobachten, dass viele junge Leute heute lieber die Welt retten anstatt konsumsteigernde, schöne Produkte entwerfen wollen. Design ist und bleibt divers.