initiiert von Evoline
Tom Geister
28.09.2013
Adeline Seidel: Die Räume, in denen wir arbeiten, haben sich in den letzten Jahrzehnten von Grund auf gewandelt – vom Chefbüro mit Vorzimmer, über das Zellenbüro und das Großraumbüro bis hin zu Funktionslandschaften. Wie hat diese Transformation die Architektur von Bürobauten verändert?
Tom Geister: Man könnte tatsächlich den Eindruck gewinnen – denn darüber wird gerne berichtet –, dass es eine Entwicklung in den vergangen 10 bis 15 Jahre vom Zellenbüro zur offenen Bürostruktur bis hin zu Großstrukturen gegeben hat. Aus unserer Erfahrung aber können wir sagen: In Wirklichkeit ist das nur bedingt der Fall. Betrachtet man das Hin und Her und das Vor und Zurück der Ausbauwünsche, die von den Nutzern formuliert werden, dann kommt man eigentlich zu einer Architektur, die bei allen Bürostrukturen ihren Dienst tut – unabhängig ob es sich um Zellen-, Kombi- oder Großraumbüros handelt. Das hat für unsere Planung die Konsequenz, dass wir Strukturen der „ewigen Flexibilität“ schaffen. Was bedeutet, dass wir verstärkt die „konsistenteren“ Bauteile unserer Architektur genauer betrachten. Das sind beispielsweise Fassade, Konferenzräume, Flurräume und Aufzugslobbys, also all das, was zum Schluss als der „Fels in der Brandung“ konstant bleibt.
Die Gestaltung der Büroarchitektur fällt in Abhängigkeit von jeweiligen Bauherr aber doch unterschiedliche aus – beispielsweise im Vergleich zwischen einem Umweltbundesamt, einer ADAC-Hauptverwaltung und einem Investorenbau mit unbekannten Nutzern?
Tom Geister: Es gibt durchaus – zumindest augenscheinlich – Gemeinsamkeiten. Beispielsweise der Wunsch, offen für alle Büro- und Arbeitsstrukturen zu sein und felxibel auf veränderte Anforderungen reagieren zu können. Räumliche Unterschiede bilden sich nur im Detail aus – auch bedingt durch den baulichen und arbeitssoziologischen Kontext. So ergeben sich etwa unterschiedliche Bürotiefen und -größen, die in einem Ministerium abhängig vom Rang des jeweiligen Mitarbeiters sind. Es besteht aber ein signifikanter Unterschied zwischen einem Investorenbauherrn und einem konkreten Nutzer: Bei einem Investorenprojekt bleibt die finale Ausstattung der Büroräume offen. Um den nur schwer prognostizierbaren Bedürfnissen der zukünftigen Nutzer möglichst weit entgegenkommen zu können, wünschte sich zum Beispiel der Investor des Bürohauses „Cologne Oval Office“ auf sämtlichen Etagen vielseitige, flexible Nutzungsmöglichkeiten innerhalb der Geschoßgrundrisse. Deswegen entschieden wir uns für drei Kerne. Zwischen jedem Kern ist der Grundriss jeweils einmal optimiert für ein Zellenbüro, einmal für eine Kombi-Lösung und einmal für ein Großraumbüro. Für diese flexiblen Bürohaustypologien ist es besonders wichtig, das jeder Eingang – hier: jeder Kern – seine eigene Identität besitzt und eine klare „Adresse“ ausbildet. Nicht nur zwecks Repräsentation und Orientierung, sondern auch, um den Mitarbeitern einen eigenen, individuellen Zugang zu ihrem Arbeitstag zu ermöglichen und damit eine Form von Identifikation zu schaffen.
Bei dieser Form von Bürogebäuden mag der Zugang als konsistentes Element eine wichtige Rolle spielen. Aber ein Bauherr, der später den Bürokomplex selber nutzen wird, gibt sich doch nicht nur mit einem „guten“ Eingang zufrieden, um einen angenehmen Arbeitsalltag zu bieten?
Tom Geister: Das Bauen für einen solchen Bauherr bietet ganz andere Möglichkeiten der Raumgestaltung, neben der schon fast „normalen“ Forderung nach „ewiger Flexibilität“ in der Büronutzung. Ein Beispiel: Die ADAC-Hauptverwaltung in München. Hier handelt es sich um einen großen Komplex von ca. 130.000 qm Bruttogeschossfläche. Aber jeder Mitarbeiter betritt das Gebäude – zwecks Sicherheitskontrolle – an einem bestimmten Punkt: über die zentrale Halle. Von dieser Halle aus erreicht man über einen großen Rundgang den entsprechenden Aufzug- und Treppenkern zur jeweiligen Abteilung. Diese Eingangshalle ist allerdings nicht nur aufgrund der Sicherheitsbestimmungen ein wichtiger Bestandteil der Firmenkultur, sondern sie ist der Dreh- und Angelpunkt des Hauses.
Die Entscheidung, hier die Gastronomie anzugliedern, macht die Halle für jeden Mitarbeiter zu einem Alltagsort, zu einem Markplatz, der mehrfach täglich überquert und aufgesucht wird. Die Halle ist somit zwar auch ein Ort der Arbeit, doch in einer anderen Form. Hier finden informelle Meetings statt, hier trifft man zufällig auf Kollegen oder führt ein privates Gespräch am Telefon. Auch das sind Tätigkeiten und Bestandteile, die einen Arbeitsalltag bestimmen, aber nicht einfach in Bürotypologien gepresst werden können.
Mit welchen Mitteln schafft man eine Atmosphäre, in der sich der Büroarbeiter wohlfühlt und die Zeit, die er in der Firma verbringt – unabhängig von seiner Tätigkeit –, als angenehm empfindet?
Tom Geister: Indem man den Menschen, aller Gebäudetechnik und aller Energiekonzepte zum Trotz, wieder individuelle Eingriffsmöglichkeiten verschafft, um räumliche Situationen mit einfachen Handgriffen zu verändern. Er kann Fenster öffnen und den Sonnenschutz steuern – unabhängig davon, ob es für die Energiebilanz sinnvoll ist. Bei der „KfW“, der „Kreditanstalt für Wiederaufbau“, haben wir zusammen mit den Ingenieuren ein Gesamtkonzept entwickelt, welches die Tageslichtausbeute maximiert, Lüftungs- Heiz- und Kühlenergie minimert aber gleichzeitig auch den natürlichen Zugriff der Nutzer auf die Bauteile erlaubt. Wir haben hohe Fenster, damit möglichst kein Kunstlicht angeschaltet werden muss. Gleichzeitig wird über einen aussen liegenden Sonnenschutz mit Lichtlenkung der Hitzeeintrag minimiert. Die Doppelfassade wird durch motorische Klappen so eingeregelt, dass bei manueller Öffnung der Fenster keine Zugerscheinungen auftreten und signifikante Wärmeverluste im Winter vermieden werden. Zwar ist automatitisiert, aber gleichzeitig auch individuell übersteuerbar. Automatisierung von Gebäuden ist notwendig, aber die Nutzerakzeptanz ist nur da, wenn Einflussnahme gestattet wird. Denn es ist nun mal sehr wichtig für den Nutzer, „ob man diesen blöden Knopf“ drehen kann oder nicht. An solchen Details wird oft die Liebe oder der Hass zur Architektur festgemacht. Und was die Arbeitsplatzausstattung angeht: Hier versuchen wir wieder mehr Einfluss zu gewinnen – indem wir beispielweise selbst Möbel entwickeln. Es ist ja oft schwierig, diejenigen Produkte zu finden, die unseren Gestaltungs- und Nutzungsansprüchen genügen. Gerade auch wenn es sich um die Gestaltung der Sonderzonen handelt, also um architektonisch konsistente Elemente wie Foyers, Teeküchen und Konferenzräume.
Der Innovationszyklus technischer Einrichtungen ist um ein vielfaches kürzer als der von Architektur. Es hat gerade einmal 40 Jahre gedauert, dass wir die Schreibmaschine gegen den Computer und gegen Laptop und iPad eingetauscht haben, und den Overheadprojektor gegen den Beamer und diesen gegen ein Smartboard. Wir arbeiten aber in vielen Fällen in Gebäuden, die älter als 40 Jahre sind. Wie geht man bei heutigen Planungen mit der „Updatefähigkeit“ von Arbeitsplätzen um?
Tom Geister: Auch wenn das Ihre Frage nicht direkt beantwortet – ich würde als Architekt gerne die Technik-Hardware selber entwerfen, weil sie unsere Architektur schlussendlich in hohem Maße bestimmt. Man muss sich nur einmal kurz vor Augen führen, dass wir ein Büro heutzutage kühlen müssen – nicht nur weil die Sonne hinein scheint, sondern weil dort auf engstem Raum Menschen zusammensitzen und deren Rechner, Bildschirme und Drucker den Raum permanent aufheizen. Das wiederum führt zu mehr Gebäudetechnik. Eigentlich müsste man Computer entwerfen, die kühlen, anstatt zu heizen. Würde die Hardware in dieser Hinsicht „besser“ funktionieren würde, so könnte ich in meiner Architektur immense Investitions- und Betriebskosten sparen. Und ich würde auch gerne die Art und Weise gestalten, wie die Andockpunkte oder Kabel am Gerät angeordnet sind, wo sie platziert werden und wie sie aussehen. Dafür, dass wir so abhängig von elektrischem Strom sind, wird diesen funktionellen Teilen nur wenig gestalterische Aufmerksamkeit geschenkt.
Doch zurück zu Ihrer Frage. Wir haben immer geglaubt, es würde zukünfig weniger Kabel geben. Und was ist passiert? Es gibt immer mehr und wir tragen sie sogar mit uns herum, um in unserer mobilisierten Arbeitswelt überall und jederzeit mit dem Laptop oder Smartphone einsatzfähig zu bleiben. Kabelkanäle beziehungsweise Hohlböden werden also ein Bestandteil der Architektur bleiben und wir halten besser ausreichend Platz dafür vor. Ich könnte mir gut vorstellen - gerade in der derzeitigen Debatte über die Spionagemöglichkeiten in Netzen und Wolken - dass Unternehmen aus Sicherheitsgründen zukünftig größeren Wert auf interne Netze legen werden – gleichsam als eine Art „Anti-Wolke“ oder eine Art „Netzinsel“.
Wie verändert sich die Nutzung von Räumen durch die Möglichkeit, flexibel an verschiedenen Orten arbeiten zu können?
Tom Geister: Idealerweise sucht man als Nutzer jene Licht- und Raumverhältnisse auf, die man für das, was man erledigen möchte, am geeignetsten empfindet. Manchmal braucht man Tageslicht, manchmal ist konstantes Kunstlicht sinnvoll. In dunklen Räumen mit einer Leselampe kann man sich möglicherweise besser fokussieren, manchmal benötigt man aber für eine konzentrierte Arbeit viel Helligkeit. Und hin und wieder verlangt das persönliche Wohlbefinden nach einem Ausblick ins Grüne und man begibt sich ans Fenster – dann wieder sucht man Abgeschiedenheit und bevorzugt einen fensterlosen Raum. Diese unterschiedlichen Bedürfnisse können nicht automatisiert in jedem Büroraum erzeugt werden. Daraus ergibt sich – für das ideale Arbeitsumfeld - eine gewisse Angebotsbreite an verschiedenartigen Räumen. Architektur lässt sich schließlich nicht hundertprozentig auf Knopfdruck verändern. Das erfordert vom Nutzer eine gewisse Aktivität – und durch mobile Endgeräte und neue Arbeitskulturen ist es auch wieder möglich, Architektur aktiv zu nutzen.
Wie verhält sich das bei Ihnen persönlich: Was hat sich an Ihrem Arbeitsplatz verändert?
Tom Geister: Ich betrachte meine physischen Arbeitsbereiche vermehrt als Territorien. Früher beschränkte sich das physische Territorium – abgesehen von Ausnahmen wie Besprechungen – auf mein Bürozimmer. Heutzutage finden unsere Besprechungen manchmal in der Eisdiele nebenan oder im Taxi zum Bahnhof statt. Mein persönlicher Favorit für Besprechungen ist unsere Bibliothek. Natürlich kommt immer mal wieder jemand in den Raum, um ein Buch zu holen – man ist also nicht vollkommen ungestört, aber so geheimnisvoll ist das Besprochene nun auch wieder nicht. Rückblickend auf unser Gespräch würde ich nicht sagen, dass die Bibliothek der Logik der unspezifischen und damit flexiblen Räume entspricht. Sie hat zwar vordergründig eine ganz spezielle Funktion, ist aber in ihrer realen Benutzung vielleicht gerade dadurch hochflexibel. Dasselbe gilt auch für andere Orte: Der Zug ist nicht dafür gedacht, dass ich dort arbeite. Der Platz ist eigentlich viel zu klein, permanent läuft jemand vorbei, es ist laut. Aber ich bin ganz froh, dort in einer „Offline-Welt“ zu sein, mir Kopfhörer aufzusetzen und meine angesammelten Datenberge abarbeiten zu können. Diese sehr spezifischen Orte, die einstmals in ihrer funktionellen Gestaltung auf die Spitze getrieben wurden – wie der Platz im Zugabteil und die Bibliothek –, werden durch unsere Arbeitswelt wieder unterwandert, und damit gleichzeitig auch gestärkt. Es ist ganz wunderbar, im Zug zu fahren, zu arbeiten und vorm Fenster die Landschaft mit 250 Stundenkilometern vorbeisausen zu sehen. Und es ist ganz wunderbar, in der Bibliothek von Wissen umringt zu sein, in das man gerne nochmals reinkriechen möchte, auch wenn man gerade mit einem anderen Thema beschäftigt ist. Diese Orte haben eine bestimmte Aura, die sich – das entspricht zumindest meiner Beobachtung – positiv auf die inhaltliche Arbeit auswirkt.
Das Büro, das Sie gestalten würden, wäre also ein Verbund aus sehr spezifischen Orten, aus Orten mit Charakter?
Tom Geister: Ja, aber nicht nur. Manchmal ist es auch sehr erholsam, an einem unspezifischen Büroarbeitsplatz zu sein, bei dem Luft und Licht stimmen, der Kaffee gut ist und ich einfach nur am Rechner sitzen kann, ohne mich vorher irgendwie einrichten zu müssen. Nur darf es keine Hürde darstellen, Orte für ein Zwiegespräch zu finden, räumliche Situationen aufzusuchen, die zu informellen Begegnungen anregen, oder besondere Räume wie eine Bibliothek. In all diesen Räumen spielt die Architektur und die konkrete Ausformulierung von räumlichen Situationen eine wichtige Rolle: Sie muss Nähe schaffen und eine räumliche Verbindung herstellen. Was ist das denn für ein Leben, wenn ich abends nur sagen kann, ich habe den ganzen Tag nur auf meinen Bildschirm gestarrt und meine Zelle nicht verlassen?
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