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Cosmit existiert nicht mehr: Der italienische Möbelgesamtverband „Federlegno Arredo“ (FLA) hat den Veranstalter der Saloni aufgelöst und an seine Stelle die FLA Eventi gesetzt. Foto © Salone del Mobile
Mailand baut um
von Thomas Edelmann
03.01.2015

Same procedure as every year? Als die Mailänder Möbelmesse sich kürzlich im Hamburger Hotel Vier Jahreszeiten präsentierte, war Vieles wie immer und Manches überraschend. Neben langen Ansprachen, Präsentationen von besonderen Schwerpunkten und Aktivitäten rund um den kommenden Salone del Mobile 2015, wurden einige Veränderungen deutlich, die sich in Mailand bereits Mitte des Jahres ereignet hatten. Der durchsetzungsstarke Claudio Luti, Eigner der Firma Kartell, der erst 2012 zum Präsidenten des Messeveranstalters Cosmit gewählt wurde, trägt keine Verantwortung mehr für die Messe. Sein Nachfolger ist der Unternehmer Roberto Snaidero. Doch der steht nicht an der Spitze von Cosmit (Comitato Organizzatore del Salone del Mobile Italiano), die immerhin seit 1961 für die Durchführung der Messen verantwortlich war, denn Cosmit existiert nicht mehr. Der italienische Möbelgesamtverband „Federlegno Arredo“ (FLA) hat es kurzerhand aufgelöst und an seine Stelle eine neue Struktur gesetzt. Aus Cosmit wurde FLA Eventi.

Der 66-jährige Snaidero ist nun in Personalunion Präsident von Federlegno Arredo und von FLA Eventi und somit Chef der Mailänder Möbelmesse. Von „Synergieeffekten“ des Umbaus war in Hamburg die Rede. Auslöser der Umstrukturierung war wohl die italienische Steuergesetzgebung mit ihren drei Mehrwertsteuersätzen: dem seit Juni 2013 erhöhten Regelsatz von 22 Prozent, dem ermäßigten Satz von 10 Prozent für kulturelle Veranstaltungen und Personenbeförderung und Hotels, sowie dem stark ermäßigten von 4 Prozent für Bücher, Zeitschriften und Lebensmittel. Durch Auflösung von Cosmit und die Neugründung lassen sich in nennenswertem Umfang Steuern und somit Kosten sparen, hieß es am Rande der Präsentation. FLA gliedert sich in 15 Teilverbände, die sich auf die Sparten Einrichtung (Arredo) und Holz (Legno) aufteilen. Der größte der Verbände ist Assarredo, derzeit unter der Präsidentschaft von Giovanni Anzani (Poliform) mit 800 Mitgliedsunternehmen, der in Hamburg durch Fiam-Chef Vittorio Livi vertreten war.

Zwischen Jahrmarkt und Autobahnkreuz

Neuigkeiten auch bei den im zweijährigen Turnus stattfindenden Messen: Die Präsentation der Büromöbel erfolgt 2015 unter dem Titel „Workspace 3.0“. Michele De Lucchi hat dafür einen neuen Rahmen gestaltet, der zumindest auf ersten Skizzen wie eine Mischung aus Jahrmarkt und Autobahnkreuz aussieht. Die Messe Euroluce findet im „Internationalen Jahr des Lichts“ der Unesco statt und wird von Events in der Stadt begleitet. Und da ab 1. Mai die Expo in Mailand ihre Tore öffnet, soll es zur Vorschau eine begehbare Installation auf dem Domplatz geben.

„Wenn alles bleiben soll, wie es ist, muss sich alles ändern“, lässt im Roman „Der Gattopardo“ Giuseppe Tomasi di Lampedusa seinen jungen Helden Tancredi sagen. Wenn in Europa über die Wettbewerbsfähigkeit Italiens diskutiert wird, dann hat dies auch Einfluss auf die flexible und erfindungsreiche Designindustrie. Wird ihre Organisationform des „distretto“, des Distrikts, in dem sich kleine und mittlere Unternehmen ansiedeln, die als Zulieferer für größere Marken tätig sind, Bestand haben? Welchen Einfluss wird die Finanzindustrie auf die Marken nehmen? Werden sie ihre Eigenständigkeit und Bekanntheit ausbauen?
Dramatisch sind die Zahlen die in Hamburg bekannt wurden: Während die italienische Möbelindustrie 2009 noch einen Umsatz von rund 21 Milliarden Euro erreichte, waren es 2013 nur noch rund 18 Milliarden, also ein Sechstel weniger. Im gleichen Zeitraum stieg der Exportanteil von 45 auf 61 Prozent. Die Auswirkungen auf den inländischen Möbelmarkt sind also weit dramatischer. Italiener können sich Möbel ihrer heimischen Hersteller immer weniger leisten. Eine komplizierte Steuerförderung, bei der unter bestimmten Bedingungen Möbelanschaffungen von 10.000 Euro einmalig steuerlich begünstigt und über 10 Jahre mit Freibeträgen à 500 Euro abgeschrieben werden können, gilt als Rettung in der Not. Die Verbände fordern bereits weitere Maßnahmen. Wie bei Subventionen üblich, kommt nur ein Teil dessen, was dem Staat entgeht, bei den Möbelherstellern an.

Auf der anderen Seite beflügeln italienische Möbelmarken noch immer die Fantasie der Investoren. So erwarb die amerikanische Büromöbelfirma Haworth Anfang 2014 vom Charme-Investmentfond die Poltrona Frau-Gruppe, zu der die Marken Poltrona Frau, Cassina und Cappellini gehören. Haworth ist ein weltweit operierendes Familienunternehmen. Mit Franco Bianchi steht zudem ein gebürtiger Italiener als Präsident und CEO an der Spitze. Das Unternehmen erreicht mit 6.000 Mitarbeitern rund eine Milliarde Dollar Umsatz.

Neustart in Sicht

Zeitweilig gehörte der kleine, extravagante Möbelhersteller Baleri Italia zum Modeunternehmen Cerruti. Doch während der Möbelmesse 2013 blieb der traditionelle Showroom plötzlich geschlossen. Auch die innovative Marke Skitsch, die mit jungen Designern und in Kooperation mit verschiedenen Herstellern einen Internetvertrieb auf die Beine stellte, verschwand nach ersten internationalen Messepräsentationen wieder von der Bildfläche. Beide gehören nun zu Hub-Design, einem Unternehmen das der Privat Equity-Gruppe Asset Value Management gehört. Neustart oder endgültiger Untergang? Für Januar 2015 jedenfalls ist die Präsentation der überarbeiten Marken samt neuer Produkte angekündigt.

Auch Driade, 1968 von Enrico Astori gegründet und eines der ersten Unternehmen, die regelmäßig mit Philippe Starck zusammenarbeiteten, war pleite, musste seine weitläufigen Verkaufsräume in der Mailänder Via Manzoni gegenüber dem Armani-Megastore schließen. Das überschuldete Unternehmen der Familie Astori holte die Italian Creation Group als Geldgeber ins Boot, die 7 Millionen Euro investierte und 80 Prozent der Anteile übernahm. Am 12. Dezember eröffnete in der Mailänder Via Borgogona 8 der neue dreigeschossige, 500 Quadratmeter große Showroom. Gestaltet hat ihn David Chipperfield, der künftig auch als Art Director der Marke tätig sein wird. Nicht nur als Laden, sondern auch als Kunstgalerie versteht sich die neue Firmenpräsenz.

Eine der treibenden Kräfte hinter Skitsch war der Unternehmer Renato Preti, der rechtzeitig ausstieg und der Firma Discipline gründete. Discipline steht mit Produkten junger und erfahrener Designer von Lars Beller Fjetland, Nendo, Pauline Deltour über Ding 3000, Max Lamb und Lievore Altherr Molina für eine anregende Mischung von kleinen und mittleren Produkten, die allesamt einem eher skandinavischen Gesamtbild entsprechen, als italienischem Design. Die Produktion allerdings erfolgt überwiegend in Italien, der Vertrieb über Händler und im eigenen Webshop. Auf die gestalterische Nähe seiner Kollektion zu nordischen Ländern angesprochen, kritisierte Gründer Preti unlängst die geringe Innovationsfähigkeit der italienischen Industrie: „Um die 80 Prozent der italienischen Designprodukte, die heute verkauft werden, wurden vor über 25 Jahren entworfen.“ Die nordischen Länder hält er da, auch was das Marketing angeht, für innovativer als die traditionellen italienischen Firmen. Ein weiterer Kritikpunkt hängt mit der starken Konkurrenzsituation zusammen: Das Profil vieler Marken verschwimmt, weil immer mehr Designer zugleich für konkurrierende Firmen arbeiten. Hat einer mit einem größeren Innovationsschritt Erfolg, so sind ihm andere auf den Fersen, um die Idee ins eigene Portfolio zu holen.

Flirten mit China

Daneben entstanden kleine, spezialisierte Neugründungen wie Internoitaliano, die Accessoires und Möbel übers Internet vertreiben. Die Marke wurde von Giulio Iacchetti ins Leben gerufen und verbreitet Entwürfe verschiedener Designer, die von elf spezialisierten Handwerksbetrieben hergestellt, international angeboten werden. So klein die neuen Marken sind, so hoch sind die Erwartungen der Kunden, was Qualität, Service und Flexibilität angehen.

Während große und bekannte Marken wöchentlich Meldung machen von Showrooms in Asien – B&B Italia, Lema und Molteni in Peking, Agape in Taipeh, Moroso in Singapur, Porro in Jakarta – , plant FLA Eventi für 2016 bereits eine Möbelmesse in China. Zur Popularisierung von „Made in Italy“ in China wurden bereits 600 Millionen Euro investiert.

Anderswo nutzen italienische Firmen ihre Chance, die zwar über eine gewisse Tradition, bislang aber über keinen Stammplatz in der ersten Liga der Hersteller verfügen. Eine davon ist Pedrali, die in Bergamo und Udine mit hoher Fertigungstiefe ein breites Möbelprogramm für Objekt und Wohnen anbietet. Die bislang in Deutschland kaum bekannte Marke Calligaris startete mit der Eröffnung ihres Showrooms in Düsseldorf eine neue Offensive. Noch allerdings schielen die Neuankömmlinge zu oft auf das, was andere schon erfunden haben.

Dass eint sie mit manchen Nachwuchsdesignern, die ihr Können gelegentlich durch Imitation des längst Bekannten dokumentieren. Dennoch: Dass die italienische Möbelszenerie trotz Krise im Aufbruch ist, verdankt sie den internationalen Foren und Marktplätzen wie dem SaloneSatellite, der 1998 von Marva Griffin konzipiert und von ihr bis heute betreut wird. In Hamburg trat der junge deutsche Designer Sebastian Herkner als Kronzeuge auf, der belegte wie viel davon abhängt, mitten in Mailand in der Masse der Kreativen auffallen zu können. Und so werden sich alle vom 14. bis 19. April in Mailand 2015 treffen, um auszuprobieren, was Fantasie und Markt hergeben.

www.salonemilano.it
www.poltronafraugroup.com
www.hub-design.eu
www.discipline.eu
www.internoitaliano.com
www.pedrali.it

Roberto Snaidero ist Präsident von Federlegno Arredo und FLA Eventi. Foto © Salone del Mobile
„Workspace 3.0“ für Büromöbel, gestaltet von Michele De Lucchi. Foto © Michele De Lucchi
Der Salone früher: Werbeplakat aus dem Jahr 1974. Foto © Salone del Mobile
Von Ikonen wie Gaetano Pesces „Sessantuna“ für Cassina zehrt die italienische Möbelindustrie. Foto © Cassina
Eins der italienischen Flagschiffe wurde von Haworth Anfang 2014 erworben: die Poltrona Frau-Gruppe (Poltrona Frau, Cassina, Cappellini). Foto © Poltrona Frau
Driade war pleite, eröffnete aber dieser Tage in Mailand einen neuen Showroom, gestaltet vom neuen Art Director David Chipperfield. Foto © Driade
Auf den Spuren von Marc O’Polo: B&B Italia-Geschäftseröffnung in Peking. Foto © B&B Italia