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Machtlos in Pool und Platte
von Clemens Bomsdorf
02.11.2014

Das Statens Museum for Kunst (SMK) in Kopenhagen, die dänische Nationalgalerie, möchte einladender werden. Also: Nieder mit den Mauern um den Park vor dem mächtigen Gebäude! Statt abzugrenzen, haben die Landschaftsarchitekten von Polyform das Museumsgelände mit runden, bepflanzten oder mit Wasser gefüllten Elementen zum Stadtzentrum hin geöffnet. Nun spaziert man ganz einfach ins Haus – und läuft hinter der Eingangstür geradewegs hinein in die Fassade eines Plattenbaus.

Durch dessen Fenster sind die Klischeevorstellungen vom Unterklasselebensstil zu sehen: ständig laufende Fernseher, ein Tisch mit geleerten Bierflaschen, jede Menge Zigarettenschachteln, an der Wand Porzellanteller mit Landschaftsmotiven. Kommt einem das bekannt vor? Kein Wunder, so stellt sich doch jeder vor, dass die Vielen unserer Gesellschaft, um die es wirtschaftlich nicht gerade zum Besten bestellt ist, leben.

Das vierstöckige Haus ist ein Werk des dänisch-norwegischen Künstlerduos Michael Elmgreen und Ingar Dragset ("The One & The Many", 2010). Es füllt das Foyer des SMK so vollständig aus, dass man sich in die Ecke gedrängt fühlt. Die Platzierung könnte besser nicht sein, um deutlich zu machen, wie erdrückend der graue Alltag sein und wie gründlich er einem jede Energie nehmen kann. „Biography“ heißt die Ausstellung. In einem Film, der im Museum läuft, unterstreicht Michael Elmgreen, der Titel laute nicht „Autobiography“ und es gehe mithin nicht um das Leben der beiden Künstler, sondern darum, wie wir alle in diesen Zeiten leben. Oder leben müssen?

Dennoch handelt es sich, die ausgestellten Werke belegen es, um eine Art Retrospektive. Gleich hinter dem Museumseingang links ergeben drei zusammenhängende Ausstellungsräume das „Rote Zimmer“. Eingerichtet ist es mit Designklassikern. Das entspricht in etwa dem Stil im Berliner Studio der beiden oder dem Environment in den Pavillons Dänemarks und der nordischen Länder, die sie 2009 für die Kunstbiennale von Venedig gestalteten. Oder eben dem Wohnzimmer einer durchschnittlichen, zahlungskräftigen und stilbewussten dänischen Mittelschichtsfamilie.

Statt, wie im Plattenbau, das Buch „Endlich Nichtraucher“, liegt im roten Zimmer eine Reihe von Katalogen von Ausstellungen der beiden Künstler auf dem „Coffeetable“. Diese Art von Lesestube scheint in der dänischen Museumswelt gerade modern zu sein, hat das Louisiana Museum in Humlebaek vor den Toren Kopenhagens für seine aktuelle Eliasson-Schau (News & Stories vom 25.08.2014) doch jenes Zimmer zur Eliasson-Bibliothek umgewidmet, in dem für gewöhnlich das Sprungbrett von Elmgreen und Dragset in Richtung Meer ragt. Im SMK hängen an der einen Wand etliche Plakate zu Ausstellungen der beiden – eine interessante Dokumentation. Dass in einer Vitrine davor Ausgaben von Art-Review und anderer Magazine mit Fotos der Künstler auf der Titelseite liegen, hat hingegen etwas von „show-off“. Schließlich sind die Texte selber nicht zu lesen. Als ironischer Kommentar passt das bestens, könnte aber ernst gemeint sein.

Der Raum daneben wurde in einen Gang verwandelt. Nichts in ihm erinnert an ein Museum. Die Decke ist mit Platten abgehängt, wie sie häufig auf den Gängen öffentlicher Verwaltungsgebäude zu sehen sind, die weiße Wand von Türen durchbrochen. Diese lassen sich jedoch nicht öffnen, sondern sind Werke aus der Serie „Powerless Structures“. Mal ist der Türgriff an der Wand montiert („Powerless Structures Fig. 131" , 2001), mal teilt ein Riss das Türblatt („Powerless Structures Fig. 136", 2002) und erinnert an den gespalteten Tisch, der im dänischen Pavillon in Venedig stand. Wer die ein oder andere Ausstellung der beiden gesehen hat, erkennt ohnehin einen großen Teil der Arbeiten wieder: Der Geldautomat mit dem vergessenen Baby davor (Modern Moses, 2006), die vermutlich für den Sex abgelegten Jeans mit Calvin Klein Unterhosen („Powerless Structures Fig. 19", 1998), die zwei Waschbecken, deren Abflussrohre, die sich zu einer Chromskulptur von verspielter Schönheit verbinden und ebenso dysfunktional geworden sind wie die Türen (Mariage, 2004). Die Präsentation macht diese nicht zu schlechteren Arbeiten, aber dieser Raum wirkt ein wenig wie ein Sammelsurium von Elmgreen und Dragset – und viele dieser Werke sagen letztlich fast das Gleiche.

Gegenüber betritt man sodann den „Dark Room“, der eine Halle ist. Hier ist es ziemlich dunkel. Wand, Decke und Boden sind dunkelgrau bis schwarz, und die Temperatur ist ein paar Grad niedriger als sonst. Mit Sex hat das aber nichts zu tun. Es geht wieder einmal um Illusionen. Vorne ein amerikanischer Wohnwagen, auf den ein riesiges Schild mit der Aufschrift „Welcome to fabulous Las Vegas“ gefallen ist (Welcome, 2014). Aus der Traum vom Eskapismus-Trip ins Spielerparadies! Rechts an der Wand eine Feuertreppe wie in New Yorker Hinterhöfen, darauf ein Junge in der Uniform der Underdogs: Kapuzenpulli (The Future, 2013). Das hintere Viertel des Raumes ist von einem mehr als mannshohen Maschendrahtzaun abgetrennt, an dessen Innenseite sich ein kräftiger Rottweiler bedrohlich aufbäumt (The Guardian, 2014). Er dient wohl dazu, das Grundstück zu bewachen, das durch den Pool weiter hinten deutlich als eines der Oberklasse identifiziert werden kann. Im Pool selbst treibt jener tote Mann, der es als mahnende Allegorie eines extravaganten Sammlerdasein und als Stellvertreter für Elmgreen und Dragsets Biennale-Beitrag schon 2009 in unglaublich viele Medien schaffte (Death of a Collector, 2009).

Der Junge auf der Feuertreppe symbolisiert „The Many“. Jene, die kaum eine Chance haben, ihrem Schicksal, einer wirtschaftlichen und sozialen Hoffnungslosigkeit, zu entkommen. „The One“ hingegen schirmen sich und ihren Reichtum ab – was ihnen, wie der tote Mann im Pool beweist, nicht unbedingt nutzt. Hier die Unterklasse, die allenfalls träumen kann, vom Aufstieg aber ausgeschlossen ist, dort die Reichen hinter von scharfen Hunden bewachten Zäunen – glücklicherweise sieht unsere Gesellschaft dann doch etwas vielschichtiger aus. Manchmal ist diese klischeehafte Darstellung von Elmgreen und Dragset dennoch ziemlich gut. Das war in Venedig ebenso der Fall wie in der Schau des Künstlerduos im Zentrum für Kunst und Medientechnologie (ZKM) in Karlsruhe. An beiden Orten wurde zugleich eine Geschichte erzählt, wodurch all die Objekte wie Requisiten einer einzigen Arbeit erschienen. Hier in Kopenhagen aber wirkt diese Holzhammermethode zu drastisch, auch weil zu viele Objekte gezeigt werden und der Eindruck entsteht, die beiden hätten unbedingt ihr riesiges Budget aufbrauchen wollen. Wirklich Neues schaffen sie damit nicht.

Für Museumsbesucher, die bisher wenig oder nichts von Elmgreen und Dragset gesehen haben, dürfte diese Ausstellung gleichwohl eine sehenswerte Einführung in deren Arbeit sein. Hätten Künstler und Museum für noch mehr Publikum sorgen wollen, hätten sie neben dem Toten im Pool einen zweiten in den Brunnen im neuen Museumspark legen sollen.

Elmgreen & Dragset
Biography
Statens Museum for Kunst, Kopenhagen,
bis 4. Januar 2015
www.smk.dk