von Thomas Wagner
Foto © Thomas Wagner, Stylepark
Salone 2: Einrichten ist angesagt, Gold und Sattelleder müssen offenbar sein, Farbe wird noch wichtiger – und einer dreht das ganz große Rad.
Eins /// Nostalgie braucht Luxus
Es lässt sich nur schwer belegen, doch der Eindruck drängt sich schon seit einiger Zeit auf: Einrichten ist irgendwie angesagt. Ablesen lässt sich das unter anderem daran, dass sich des Themas verstärkt die ohnehin erheblich an Umfang und Gewicht zunehmenden Seiten, Beilagen und Magazine von Tages-, Wochen- und Sonntagszeitungen annehmen, die auf so präzise wie prätentiöse Ressorttitel wie „Leben“, „Lifestyle“ oder einfach „Wohnen“ hören. Hier schaut sich der Zeitgeist selbst über die schicke Schulter und klopft sich dabei auch gern auf dieselbe. Irgendwie – also eher unbestimmt – bleiben Sache und Eindruck freilich schon deshalb, weil der individuelle Rahmen in dem und der gesellschaftliche Horizont vor dem das Sich-Einrichten geschieht, beide doch recht verschieden und weit erscheinen.
Falls der Eindruck aber nicht täuscht, so wird zumindest in den gentrifizierten Vierteln prosperierender westlicher und zunehmend auch östlicher Metropolen und Großstädte aufs frisch gewachste Parkett neben dem handgeknüpften Teppich gern eine Mischung aus allerneuestem Möbeldesign, Vintage-Exemplaren und einigen Erbstücken gesät. Obendrein wird dann noch eine recht bunte Schar symbolisch nicht immer ganz lupenrein bestimmbarer Accessoires hinzugefügt. Wo versierte Innenarchitekten gleich die ganze Einrichtung übernehmen, erscheint diese Collage aus stramm individualisierter Zeitgenossenschaft und einem mit einer Prise Nostalgie (wahlweise auch mit etwas Sentimentalität) gewürzten Willen zum Wohlfühlen sogar zum komplett durchgestylten Ensemble, das nicht allzu weit von jenen inszenierten Räumen entfernt liegt, wie sie in Mailand auf den diversen Messeständen der großen Hersteller präsentiert werden.
Zumindest in Sachen Material breitet sich dort wieder mehr oder weniger ungehemmt aus, was man geneigt ist nicht nur gut verarbeitet, sondern tatsächlich luxuriös zu nennen. Nicht, dass wir ein Problem mit Luxus hätten. Keineswegs. Die exotische Mischung aus ethnografischen Versatzstücken und neofeudaler Üppigkeit, wie sie seit langem bei Edra gepflegt wird, hat einen ganz eigenen Reiz. Nur, was ist das heutzutage, Luxus? Was könnte und was sollte das sein inmitten der gegenwärtigen gesellschaftlichen und sozialen Verhältnisse und Umbrüche? Gehört Luxus lediglich zum globalen Ignoranzmanagement der Wohlhabenden? Oder liegt in seiner Neudefinition möglicherweise eine Chance zu mehr Nachhaltigkeit und Verantwortung? Und was ist eigentlich geworden aus den Hoffnungen auf einen ganz anderen, mit asketischen Idealen verschwisterten Begriff von Luxus?
Beim diesjährigen Salone will man von solch bohrenden Fragen erkennbar wenig wissen. Viele Hersteller verstehen derzeit unter Luxus, was dieser im Grunde immer schon war: Mehr, besser und teurer. Zunächst sind das große Sitzlandschaften, bezogen mit sehr umsichtig gemachten und ansprechend gestalteten Stoffen beziehungsweise mit handschuhweichem Leder – und ebenfalls auf hohem Fertigungsniveau entwickelte exklusive Sideboards oder Regalsysteme, plus Teppiche und Vorhänge passend zu Geschmack und Stil. Man muss nicht gleich die Hochebenen des Luxus erklimmen, auf denen beispielsweise Hermès Maison seine Handwerkskunst als Uhrenschrank und Lupe präsentiert. Edelmetalle jeglicher Couleur – Kupfer und Messing, nun auch wieder ungeniert Gold, das sich problemlos mit dem ohnehin angesagten Mid-Century-Modernism, aber auch mit eher minimalistischen Neukreationen verträgt – findet man fast überall. Hinzu kommen der obligatorische Marmor und aktuell dickes Sattel- oder Kernleder, allesamt solide bis exquisit verarbeitet.
Eine gewichtige Rolle spielen hier sicher neue Fertigungsmethoden, nicht nur bei Holz, die Perfektion auch ohne allzu viel Handarbeit und zu vergleichsweise günstigen Preisen herzustellen erlauben. Der Rest ist Luxus in seiner konventionellen Bedeutung, sprich: teuer und deshalb exklusiv. Hinzu kommt: Offenbar lässt sich im Luxussegment mehr verdienen als mit Massenware. Ob der Trend dem Motto „Nach uns die Billigware“ folgt oder lediglich den dunklen Wolken am ökonomischen und ökologischen Horizont zu entkommen sucht, solange es geht, steht bis auf weiteres dahin. Das gilt auch für die Frage, ob solche Zwischenspiele überhaupt etwas und wenn ja, was, zu bedeuten haben für die Entwicklung eines nicht nur solchen Zwecken dienenden Möbeldesigns. Es wird sich in den kommenden Jahren erweisen müssen. Ettore, unser kleiner Begleiter, kann schließlich warten.
Foto © Thomas Wagner, Stylepark
Gleichwohl: Muss ein neuer Sessel, wie ihn beispielsweise Färg&Blanche bei BD Barcelona (wo man neuerdings ganz auf „Kunst und Design“ setzt) als „Couture Armchair“ geschneidert haben, tatsächlich viele wohlgeformte Holzschuppen auf dem Rücken tragen, so nobel das auch aussehen mag? Ist so etwas nur Neo-Biedermeier? Oder bedeutet es vielleicht nur dies: Wo das Schwelgen in Materialien zunimmt, vermisst man die klar und einfach gestalteten Dinge (die es ja auch noch gibt) einfach umso mehr.
Zwei /// Aufwertungsstrategien
Dass die Sache mit dem Luxus nicht einfach zu ergründen ist, zeigt beispielsweise Kartell – eine Firma, die viele noch immer zu Unrecht für den Hersteller billiger Plastikteile für den Haushalt halten und nur selten mit dem Begriff Luxus in Verbindung bringen. Dabei hat man sich hier, auch was Umsatz und Gewinn angeht, längst auf den Weg in andere Dimensionen gemacht. Dazu passt nicht nur, dass man schon viele Jahre mit den besten Designern der Zunft zusammenarbeitet und das verwendete Material konsequent aufwertet. Gemeinsam mit dem Agnelli-Erbe Lapo Elkann führte man diesmal unter dem Stichwort „Kartell + Lapo. It’s a wrap!“ im Flagship-Store in der Via Turati vor, was sich in Zusammenarbeit mit Lapo Elkann und Garage Italia Customs mit der Technik der Fahrzeugbeschichtung aus den Ikonen von Kartell machen lässt – und wie Aufwertungsstrategien heute funktionieren. Bekannte Möbel werden mittels Folien aus dem Automobilsport versehen und passen somit perfekt nicht nur ins Zimmer oder die Wohnung einer vom Konsum beschleunigten Jugend, sondern – in der zweiten, mit gemusterten Stoffen bezogenen Variante – auch ins aufgepeppte Bad, in den Flur oder sogar ins Ess- oder Wohnzimmer. Das muss einem nicht unbedingt gefallen, verströmt aber eine unwiderstehliche Frische. Doch damit und mit vielen anderen Neuheiten nicht genug: Mit dem „Organic“ präsentierte Kartell eben auch einen von Antonio Citterio entwickelten Stuhl aus nachwachsenden Naturfasern.
Und was meint ein Esel zu alldem? Ettore schaut etwas irritiert, der Esel Buridans aber hat ohnehin nicht nur ein Problem mit den Heuhaufen, er hat auch eines mit der Logik: Wie sich entscheiden, bei all der Fülle? Wie den Logikern, so hilft auch dem Möbelfreund, der zwischen scheinbar gleichwertigen Alternativen wählen soll, am Ende der Zufall aus der Patsche. Man muss kein Muli sein, um zu sehen, dass der Konkurrenzdruck in der Branche weiter wächst. Was das Buhlen um die letztlich wenigen innovativen Designer nicht einfacher macht. Passivität und Trägheit sind jedenfalls nirgendwo mehr vorgesehen. Der Esel muss auch ran.
Drei /// Wer dreht das große Rad?
Es gibt nicht sehr viele Aufsteiger in der Branche. Hay scheint, wenn nicht alles täuscht, zu den wenigen vielversprechenden Aspiranten zu gehören. Zumindest drehte man in Mailand schon mal das ganz große Rad. Nicht irgendwo, sondern in der Pelota Halle in der Via Palermo, wo einst Established&Sons mit illustren Namen und einem Feuerwerk von Neuheiten auftrumpften, es dann aber an profitablen Stückzahlen und realistischen Lieferfristen fehlen ließen, positionierte sich Hay als designaffiner Hersteller zwischen Ikea und den klassischen Companies. Konsequent setzt man dabei ebenfalls auf bewährte Gestalter und deren Kompetenz; aber auch das Argument in jeder Hinsicht durchentwickelter Produktlinien sollte nicht unterschätzt werden, wobei der Serien- bzw. Systemgedanke abermals eine wichtige Rolle spielt.
Aus farbigen Elementen des gleichermaßen universellen und soliden Aufbewahrungssystems „New Order“ von Stefan Diez, das in Haus oder Wohnung eine nicht minder gute Figur macht wie im Büro, wurde in der großen Halle ein vielfarbiger Turm gebaut, der über von oben einsehbare Räume wachte, in denen probehalber exemplarische Einrichtungsvorschläge auf den Besucher warteten. Wohnzimmer, Schlafraum, Büro, Apartment – alles ließ sich fast wie bei den Möbel-Elchen am Stadtrand unter die Lupe nehmen. Ergänzt wurde dieses Möbelhaus auf Zeit von der Leuchten-Kollektion „wrong.london“, einer Weiterentwicklung einer vorherigen Kooperation von Sebastian Wrong mit Hay, und einem „Mini Market“ für Taschen, Kissen, Vasen und Stiften bis hin zu Zahnbürsten und anderem Krimskrams. Betrieb herrschte im Shop immer.
Aus der Kollektion heraus stechen zwei Neuheiten der Gebrüder Bouroullec – eine clever gestaltete Sitzgruppe aus Ein-, Zwei- und Dreisitzer, die wahrscheinlich aufgrund des gelochten Blechs, das die Polster trägt, „Can“ genannt wird, sowie die komplette Outdoor-Kollektion „Palissade“. Beides ist durchdacht und gut gemacht. Hinzu kommt die Serie „Copenhague“ aus Holz, die von den Bouroullecs und Hay ursprünglich für die Universität Kopenhagen entwickelt wurde, sowie deren Erweiterung zu „Copenhague Deux“ mit Bänken sowie Ess- und Kaffeetischen in verschiedenen Größen.
Vier /// Feines Papier und eine Lektion in Prähistorie
Schön und gut, die Triennale ist nach 20 Jahren Pause zurück, nur weiß man nicht so genau, wozu das am Ende gut sein kann. Zumindest im Palazzo dell’Arte im Parco Sempione ist vieles wie bisher. Unter den diversen offiziellen Ausstellungen und Firmenpräsentationen, zwischen denen der Besucher dort wählen kann, trifft man zumindest auf zwei Leckerbissen.
„Subtle“ heißt die Schau des japanischen Papierherstellers Takeo, die Kenya Hara gestaltet hat. Und subtil, zart, feinsinnig sind denn auch die zahlreichen, zu bewundernden Arten, wie aus Papier etwas ebenso Einfaches wie Außergewöhnliches werden kann – von fragilen Papierblüten bis zu fliegenden Objekten oder allerfeinsten Krönchen für deliziöseste Pralinchen. Staunend muss man neidlos anerkennen: So etwas können nur Japaner.
Ebenfalls mit von der Partie ist Kenya Hara bei der Schau „Neo-Prehistory – 100 Verbs“, die er gemeinsam mit Andrea Branzi kuratiert hat. Was hier ausgebreitet wird, ist Menschheits- und Designgeschichte in einem, aufgehängt an Objekten und Begriffen und von der grauen Vorzeit bis in unsere Gegenwart. Selbst wenn das Ganze etwas zu sehr mit Höhlenmetaphorik aufgeladen im Dunkeln spielt, so wird hier doch wie nirgendwo sonst nicht weniger verhandelt als der menschliche Gestaltungswille selbst – mit all seinen Folgen, von dem was in der Natur da ist, dem einfachen Stein, auf den Steinaxt und Faustkeil, Mahlstein, Pfeilspitze und Fruchtbarkeitsidol folgen. Später, viel später, folgen unter dem Begriff „Herstellen“ dann Rad und Schiffsschraube, unter „Verzweiflung“ Little Boy, die Hiroshima-Bombe. Am vorläufigen Ende, unter Nummer 100, wird ein reproduziertes Herz dargestellt. Das Stichwort dazu lautet: Regenerate, was auch Verjüngen bedeutet.
Die ebenfalls im Palazzo dell’Arte gezeigte Ausstellung „W. – Frauen im italienischen Design“ hingegen bestätigt alte Vorurteile mehr als diese auszuräumen. Als habe es im Design nie eine Gender-Debatte gegeben, werden die Designerinnen im ersten Raum sogleich mit Handarbeiten, mit Stricken und Häkeln identifiziert. Von den „Stanze“ wird in einem anderen Kontext noch zu reden sein.
Fünf /// Willkommen im Mailänder Farbkreis
Wer angesichts unseres treuen und eigensinnigen Begleiters Ettore angenommen hatte (auch wenn er nicht all dessen fabelhafte Eigenschaften, die wir im ersten Teil ausgeführt haben, schätzen mag), Grau sei das neue Grün oder das neue Weiß, den müssen wir leider enttäuschen. (Wir vertreten trotzdem eisern weiter die Ansicht, dass es unter der Sonne kein feineres, samtigeres, sämigeres und flauschigeres Grau gibt als das des Fells eines entsprechenden Esels.)
Tatsache ist, auch wenn man es kaum für möglich hält: Farbe wird abermals wichtiger. Das zeigt sich nicht nur an aufgefrischten Klassikern, ob bei Thonet oder bei Cassina. Farbe ist eben nicht nur eine Zutat, die man auch weglassen könnte. Viele verschiedene, aufeinander abgestimmte Farben sind wichtig, wo es um Vielfalt, um die atmosphärische Gestaltung ganzer Interieurs oder eine Art von Mimikry an bestehende Ensembles, aber auch um Individualisierung geht. Nicht von ungefähr, das vergisst man leicht, hat die moderne Kunst bereits im Impressionismus und verwandten Strömungen den Boden für eine revolutionäre Verabsolutierung der Farbe bereitet. Selbst der Regenbogen als Symbol einer wohlwollenden Anwesenheit Gottes spielt hier mit hinein.
Fotos © Robert Volhard, Stylepark
Vitra hat schon vor Jahren als einer der ersten Hersteller in Zusammenarbeit mit Hella Jongerius damit begonnen, ein eigenes System aus aufeinander bezogenen und aufeinander abgestimmten Farben zu entwickeln. Nun wurde in einer CasaVitra nicht weit vom Corso Como die Rauminstallation „Colour Machine“ gezeigt, um nicht nur die komplette Farb- und Textilkollektion von Vitra, sondern auch die Erkenntnisse und Inspirationen von Hella Jongerius zu präsentieren – samt einer umfassenden Publikation, in der die Arbeit der niederländischen Designerin als Art Direktorin für Farben und Materialien von Vitra und die Entstehung der „Vitra Colour and Material Library“ dokumentiert ist. Für Händler ist es künftig ein Leichtes, Bezüge und anderes mehr farblich aufeinander abzustimmen und individuellen Wünschen gerecht zu werden.
Apropos Grün. Am Stand von Zanotta hatte das üppige Grün schon sehr überhand genommen. Und Dedon lockte weniger mit neuen Farben, hier ging es gleich ab in den Urlaubs-Dschungel. Was nicht mit der althergebrachten Losung „Zurück zur Natur“ verwechselt werden darf. Apropos Dschungel: Wir sind Esel, wer holt uns hier raus?
Ettore aber ruft ungerührt von alledem I-Ah, I-Ah, bleibt stehen und macht wieder Pause. Weiter geht’s im dritten Teil.
Eins /// Nostalgie braucht Luxus
Es lässt sich nur schwer belegen, doch der Eindruck drängt sich schon seit einiger Zeit auf: Einrichten ist irgendwie angesagt. Ablesen lässt sich das unter anderem daran, dass sich des Themas verstärkt die ohnehin erheblich an Umfang und Gewicht zunehmenden Seiten, Beilagen und Magazine von Tages-, Wochen- und Sonntagszeitungen annehmen, die auf so präzise wie prätentiöse Ressorttitel wie „Leben“, „Lifestyle“ oder einfach „Wohnen“ hören. Hier schaut sich der Zeitgeist selbst über die schicke Schulter und klopft sich dabei auch gern auf dieselbe. Irgendwie – also eher unbestimmt – bleiben Sache und Eindruck freilich schon deshalb, weil der individuelle Rahmen in dem und der gesellschaftliche Horizont vor dem das Sich-Einrichten geschieht, beide doch recht verschieden und weit erscheinen.
Falls der Eindruck aber nicht täuscht, so wird zumindest in den gentrifizierten Vierteln prosperierender westlicher und zunehmend auch östlicher Metropolen und Großstädte aufs frisch gewachste Parkett neben dem handgeknüpften Teppich gern eine Mischung aus allerneuestem Möbeldesign, Vintage-Exemplaren und einigen Erbstücken gesät. Obendrein wird dann noch eine recht bunte Schar symbolisch nicht immer ganz lupenrein bestimmbarer Accessoires hinzugefügt. Wo versierte Innenarchitekten gleich die ganze Einrichtung übernehmen, erscheint diese Collage aus stramm individualisierter Zeitgenossenschaft und einem mit einer Prise Nostalgie (wahlweise auch mit etwas Sentimentalität) gewürzten Willen zum Wohlfühlen sogar zum komplett durchgestylten Ensemble, das nicht allzu weit von jenen inszenierten Räumen entfernt liegt, wie sie in Mailand auf den diversen Messeständen der großen Hersteller präsentiert werden.
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