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Zeitschriftenständer "Wackelkandidat"

JUNGE TALENTE
Glückliche Kombination

Lukas Heintschel entwirft Möbel, die konzeptionelle Ansätze mit einer praktischen, im Industriedesign verankerten Entwicklung verknüpfen. Trotz hoher funktionaler Ansprüche sollen sie angenehm wirken und Spaß machen. Einblicke in seine Arbeitsweise gibt er uns im Interview.
02.07.2024

Elisabeth Bohnet: Du hast vor kurzem die 3daysofdesign in Kopenhagen besucht. Was hat dich als jungen Designer dort dieses Jahr besonders beeindruckt?

Lukas Heintschel: Tatsächlich war ich das erste Mal bei den 3daysofdesign und das Format im öffentlichen Raum und an der frischen Luft entspricht mir sehr. Die Stimmung ist zugänglich und trubelig. Und es war schön zu sehen, dass es ein sehr ausgewogenes Nebeneinander aus den großen, etablierten Marken, die dort ausgestellt haben und vielen kleinen Labels, die ich teils noch nie gesehen hatte. Das war sehr inspirierend.

Deine Arbeit ist uns im Zusammenhang mit den "Echo"-Tischen von COR aufgefallen. Wie kam es zu der Zusammenarbeit?

Lukas Heintschel: Vor einiger Zeit habe ich mich über einen Kontakt im Vertrieb von COR bei der Geschäftsführung und der Produktentwicklung vorstellen können. Wir fanden unsere Arbeit gegenseitig sympathisch, jedoch hatte COR zu der Zeit kein konkretes Bedürfnis nach einem neuen Produkt. Sie haben mich aber herzlich eingeladen, für eine Werksbesichtigung vorbeizukommen. Falls ich eine Idee habe, dann könne daraus eventuell eine Zusammenarbeit entstehen. Nach dem Besuch und einer intensiven Auseinandersetzung mit der Marke war offensichtlich, dass COR über eine unglaubliche Expertise im Polsterhandwerk und im Umgang mit Textilien verfügt. Das ist die DNA des Unternehmens. Im zweiten Schritt ist mir dann aufgefallen, dass die Produktkategorie Beistelltische, diese DNA in keinster Weise spiegelt. Die Tische sind in der Regel aus Stahl, Glas, Naturstein oder Holz, sind oft kalte und in der Regel harte Materialien, die nicht diese Coziness und Gemütlichkeit aufnehmen. Mein Konzept für COR war es, die Textil- und Polsterkompetenz der Marke auf die Kategorie der Beistelltische zu übertragen und dort sichtbar zu machen. Damit stieß ich auf sehr offene Ohren. In enger Zusammenarbeit haben wir die Echo-Tische entwickelt, die diesen Markenkern von COR in einer Produktkategorie zeigen, wo bisher noch nie etwas mit Stoff oder Polster gemacht wurde.

"Echo" Beistelltische von Lukas Heintschel für COR

Entspringt die Form auch dem Wunsch, mehr Fläche für beziehbare Oberfläche zu generieren?

Lukas Heintschel: Wir haben viel experimentiert. Polstermöbel wirken oft sehr schwer. Wir wollten ein Möbel, das eine Leichtigkeit ausstrahlt. Es sollte auch in der Formgebung besonders sein, jedoch nicht zu laut. Ziel war auch, dass wirklich alle Stoffe darauf gut wirken, von einem neutralen grauen Stoff zu einem bunten, und diese im Vordergrund stehen. Die Form nimmt auch die Weichheit des Stoffes auf. Das Schöne ist: die Leute haben völlig unterschiedliche Assoziationen. Viele sehen ein Zelt, andere auch ein architektonisches Element wie eine Säule, oft werden auch organische Strukturen wie Bäume oder Pilze interpretiert. Das freut uns, denn wir wollten kein Möbel machen, das eine ganz klare Lesart hat, sondern vielmehr eine Resonanz mit den BetrachterInnen erzeugt.

Du hast an der Hochschule für angewandte Wissenschaften in München Produktdesign studiert. Welche Schwerpunkte hast du im Studium gesetzt?

Lukas Heintschel: Eigentlich komplett andere als das, was ich jetzt mache. Im Studium habe ich hauptsächlich klassisches Industrial Design gemacht. Ich habe viele Medizintechnikprojekte entworfen, mit User Experience gearbeitet oder User Interface Projekte durchgeführt, die sehr forschungsbasiert waren. Es ging darum: wie interagieren Menschen mit Produkten und Benutzungsoberflächen, zum Beispiel bei Anästhesiemaschinen, sowie in Produkten für Leute mit körperlichen Beeinträchtigungen. Dieses technische, klassische Industrial Design war hoch interessant und sehr lehrreich.

Ich bin auf Umwegen in die Interior-Branche geraten. Während des Studiums habe ich die Saugnapf-Akkuleuchte "Neozoon" entwickelt und dazu recht blauäugig eine Crowdfunding Kampagne gestartet. Ich wollte herausfinden, was passiert, und sehen, wie eigentlich die Schritte nach dem Studium in der Praxis aussehen werden. Tatsächlich war die Kampagne erfolgreich und ich habe daraus ein kleines Leuchten-Label gegründet, was ich immer noch betreibe. Damals bin ich mit Neozoon auf verschiedene Newcomer-Ausstellungen gegangen, vom Ambiente Talents Bereich bis zur Light & Building oder nach Mailand. Dabei habe ich erste Kontakte zur Interior-Branche geknüpft, woraus Zusammenarbeiten wie mit COR resultierten.

Lukas Heintschel

Woher beziehst du deine Inspiration? Ist München prägend für dein Design?

Lukas Heintschel: Ich glaube nicht, dass München oder Freising, wo mein Studio liegt, meine Auffassung von Design stark prägen. Die Kunstmuseen sind sicherlich eine Bereicherung. Meine Inspiration kommt eigentlich immer aus der Beschäftigung mit dem gewünschten Produkt und den Anforderungen, die es stellt. Der konzeptionelle Gedanke steht erstmal im Vordergrund. Dann überlege ich, wie ich diese Gedanken in einem Objekt materialisieren kann. Dabei möchte ich, dass die Entwürfe etwas Spielerisches, etwas Unerwartetes in sich tragen aber gleichzeitig eine Freundlichkeit, eine Zugänglichkeit ausstrahlen. Und sie sollen auch einfach Spaß machen beim Betrachten oder Nutzen. Dafür versuche ich oft, Dinge ein bisschen zu verdrehen, Konventionen zu brechen.

Am Beispiel der Blumenvase "Flumen" wird mein Prozess gut ersichtlich: Am Anfang stand der schlichte Gedanke, dass es bei Vasen ja eigentlich um die Blumen geht. Natürlich ist die Vase auch ein tolles Objekt an sich, aber primär ist sie Wasserversorgung und Präsentationsfläche für die Blumen. Ich wollte der Blume möglichst viel Raum geben und die Aufgabe der Vase nach außen kehren. Deswegen sind die Blumen sprichwörtlich nach außen gewandert und mit Gummibändern angebracht.
Für die Saugnapfleuchte habe ich bei der Analyse des Marktes festgestellt, dass alle großen Hersteller oft die klassischen Schirmleuchten machen, nur ohne Kabel. Dieser Archetyp kommt aus einer Zeit, als Glühbirnen State of the Art waren. Mit LEDs und Akkus sind eigentlich ganz andere Dinge möglich. Die Freiheit, die die Technik dem Produkt gibt, wollte ich nutzen und mit Interaktionsmöglichkeiten versehen.

"Flumen" Vase
"Neozoon" Leuchte
"twn" Leuchte

Für Carel Woodworks hast du Tisch, Stuhl und Sideboard entworfen.

Lukas Heintschel: Die "Heron"-Kollektion für Carel Woodworks ist aus Eiche gefertigt. Das Briefing des rumänischen Herstellers war recht konkret. Sie wollten etwas klassisches, das trotzdem eine gewisse Leichtigkeit und eine Konzentration auf Details mit sich bringt. Aus der Hohlkehle des Sideborads habe ich den Tisch entwickelt, der auf eine Art den Wangentisch zitiert. Die Wangen sind in den Bögen angedeutet. Und der Stuhl greift diese Bögen auch wieder auf. Es ist eine sehr architektonische Kollektion geworden, die mit den überspannten Bögen auch zur Architektur Rumäniens passt. Als Land zwischen Mittel- und Osteuropa, war es oft von den verschiedensten Nationen beherrscht, vom osmanischen und römischen Reich bis hin zur UDSSR. Die dadurch entstandenen Stilmixe in der Architektur dienten auch als Inspiration für die Kollektion.

"Heron" Sideboard von Lukas Heintschel für Carel Woodworks
"Heron" Tisch und Stuhl

Wie wählst du deine Kooperationspartner aus?

Lukas Heintschel: Mir ist wichtig, dass nicht nur die Entwürfe toll sind, sondern dass die Marken, mit denen ich zusammenarbeite, Wert auf gute Qualität und Handwerk legen. Und damit verbunden, dass die Produkte nicht nach zwei Jahren Benutzung kaputtgehen und auf dem Müll landen. Wie jetzt COR zum Beispiel, die wirklich par excellence alles durchdenken, wie Reparierbarkeit oder Trennbarkeit. Das Schöne bei einer solchen Zusammenarbeit ist, dass die jahrzehntelange Erfahrung mit Prozessen und Materialien der Marken auf meinen frischen Blick stoßen. Ich erachte diesen fruchtbaren Prozess als sehr wertvoll – und so entstehen tolle Dinge.

An was arbeitest du aktuell?

Lukas Heintschel: Ich arbeite gerade an einem Vollholzmöbel für Auerberg, die auch hier südlich von München angesiedelt sind. Es ist ein Beistelltisch mit einer Sonderfunktion, der in naher Zukunft rauskommen sollte. Eine Fliesenkollektion befindet sich gerade auf der Zielgeraden der Prozesssicherung. Wir wollten einen Prototyp für ein anderes Projekt machen und sind durch einen Fehler auf eine großartige Möglichkeit gestoßen, mit dem Material umzugehen. Weil wir so begeistert waren, haben wir das andere Projekt erstmal auf Eis gelegt. Mit dem Start-Up Recozy aus Bremen habe ich auch ein Projekt in Planung. Sie arbeiten mit Recyceltem Kunststoff und drucken Möbel, Leuchten sowie Wohnaccessoires in 3D.

Für meinen neuesten Hocker bin ich noch auf der Suche nach einem Kooperationspartner. Der Hocker ist für den Anwendungsbereich New Work gedacht, aber eigentlich ist er auch zu Hause super einsetzbar. Tatsächlich ist er vom alpenländischen Melkschemel inspiriert: aus Massivholz mit einem Griffloch und der breiten Sitzfläche. Auch die Art, wie die Kufen angelegt sind, interpretiert den Melkschemel als Ursprung des mobilen Arbeitshockers hier in Süddeutschland. Vielleicht bin ich also doch von München und der Region hier inspiriert? Der Clou: Er lässt sich leicht umstellen und unterstützt mit seinen Wippkufen und der konvexen Sitzfläche das aktive Sitzen. Man kann darauf normal sitzen oder ihn drehen und sich im Sattelsitz platzieren. Damit ist es ein Produkt, das wirklich eine starke Kombination aus Ergonomie und etwas Verspieltem aufweist – und damit einen Gesundheitsvorteil bietet. Ich habe ihn mit vielen Bekannten ausprobiert, um den Komfort für möglichst viele Körpertypen zu gewährleisten. Dieser Prozess basiert sicher auf meiner Ausbildung im klassischen Industrial Design, wo man zielführenderweise sehr nah an den NutzerInnen entwickelt.