ORIGINAL vs. PLAGIAT
Kommunizieren statt kopieren
Anna Moldenhauer: Luca, du hast auf der Businessplattform LinkedIn einen Post geteilt, indem du zwei aktuelle Produkte von Louis Vuitton ("Totem Lumineux", 2023) und Fendi ("Bottini Marble side table", 2022) mit früheren Designs ("Pyrae", 2017 und "Lato table", 2018) von dir gegenübergestellt hast, die Ähnlichkeit ist unverkennbar. In den Kommentaren unter dem Post wurde dein Beitrag "mutig" genannt. Warum erfordert es Mut auf die offensichtliche Ähnlichkeit dieser Produkte hinzuweisen?
Luca Nichetto: Nun, viele meiner KollegInnen wollen nicht über Plagiate sprechen, weil sie dann eventuell nie die Möglichkeit bekommen für das betreffende Unternehmen zu arbeiten oder generell als "schwierig" eingestuft werden. Diese Sorge verstehe ich nicht – wohl auch, weil ich in einer privilegierten Phase meiner Karriere bin, die es mir ermöglicht die Plagiate klar zu benennen. Für mich ist dieser vermeintliche "Filter" zudem großartig, denn ich arbeite gerne mit AuftraggeberInnen, die nichts zu verbergen haben und denen ich vertrauen kann. Ich möchte in der Gestaltung meine intellektuelle Freiheit behalten können. Ein Kommentar wie: "Danke Luca, dass du das mit uns teilst. Du bist sehr mutig" ist ein Symptom des Problems. Das Schweigen aus Sorge vor vermeintlichen persönlichen Nachteilen schützt diejenigen, die das größere Budget haben, und das ist nicht richtig. Das gilt auch für die Medien. Obwohl die Ähnlichkeit der Produkte offensichtlich ist, gab es kein Medium, das darauf öffentlich hingewiesen hat. Meine Vermutung ist, dass viele von der Werbung dieser Unternehmen abhängig sind und daher schweigen. Das System ist krank. Statt über Anwaltskanzleien sollten wir auf konstruktive Art und Weise miteinander reden können, um es das nächste Mal besser zu machen. Sollte ich im Gegenzug je auf den Gedanken kommen, die Produkte von großen Modemarken leicht abgewandelt zu verkaufen, würden diese sicher nicht schweigen. Ich bin nicht wütend, weder auf Louis Vuitton noch auf Fendi. Ich frage mich nur, warum zwei Unternehmen mit unglaublich tollen, kreativen Teams sich auf diesen Pfad begeben und damit versuchen in der Branche glaubwürdig sein?
Fehlt es an Respekt?
Luca Nichetto: Auch. Ich liebe meinen Beruf und dennoch finde ich, dass es eine Menge Respektlosigkeit gegenüber unserem Schaffen gibt. Es gibt viele Missverständnisse darüber, wer wir sind und was wir tun können. Aktuell finden zudem Vermischungen in der Sprache statt – StylistInnen, DekorateurInnen und InfluencerInnen sind plötzlich DesignerInnen. Da sollten wir schon bei den Berufsbezeichnungen genauer sein. Zudem gibt viele junge DesignerInnen, die um ihren Platz in der Branche kämpfen und dennoch entscheiden sich Unternehmen wie diese gegen ein kurzes Talentscouting und bitten stattdessen ihr eigenes Stilbüro ein bestehendes Design leicht abzuwandeln. Das finde ich respektlos. Das Kuriose ist auch der Preis: Die beiden genannten Kopien sind deutlich teurer als meine Originale. Als KundIn würde ich mich dahingehend gleich mehrfach getäuscht fühlen: Zum einen ist das Produkt eine Kopie, zum anderen ist es teurer als das Original. Die "Pyrae"-Leuchte, die wir 2017 für Salviati SRL entworfen haben, ist darüber hinaus ein Einzelstück, da sie als Teil der Decode/Recode Installation entworfen wurde.
Da stimme ich dir zu, auch wenn wir mittlerweile wohl fast ein wenig daran gewöhnt sind, dass es von nahezu jedem Design ein Plagiat gibt, sollten es gerade die Luxusmarken besser wissen. Sie haben die Mittel, um gemeinsam mit einem jungen Talent etwas Einzigartiges zu schaffen, das den weiteren Weg in der Gestaltung mitprägt. Stattdessen wandeln sie die Arbeit eines bekannten Designers ab. Was sind deiner Meinung nach hierfür die Gründe?
Luca Nichetto: In diesen Fällen mangelt es meiner Meinung nach an einer Vision sowie an dem Willen Energie in einen anderen Weg zu investieren. Die Größe des Unternehmens vermittelt eventuell auch intern ein Gefühl der Unantastbarkeit. Ein weiterer Punkt ist zudem die Nachhaltigkeit dieser Produkte, alle Disziplinen sprechen über nachhaltige Prozesse, aber was ist daran nachhaltig mit Kopien von bestehenden Designs eine Markenerweiterung zu schaffen, die keinen tieferen Sinn hat, sondern nur einem Trend folgt?
Ist es deiner Meinung nach ein Zufall, dass es sich in diesen Fällen um zwei Modeunternehmen handelt?
Luca Nichetto: Produktdesign ist für Fendi Casa und Louis Vuitton nicht das Hauptgeschäft, es ist eher eine Form der zusätzlichen Werbung. Daher arbeiten diese Unternehmen meist mit großen Namen der Designszene zusammen, um in jedem Fall eine entsprechende Aufmerksamkeit zu erreichen. Sie schaffen Produkte, die zu dem Lebenstil passen, den sie mit ihrer Mode promoten wollen. Die Möbel, Leuchten und Accessoires sind dann eher eine Art Sammlerstück und interessant für jene, die die jeweilige Marke als bedeutend ansehen. Dem gegenüber stehen erfreulichweise Marken wie Hermès, die mit der Herstellung von Möbeln und Objekten wirklich etwas Originelles schaffen. Interessant finde ich zudem, dass es viele Modemarken gibt, die in unser Feld springen – aber keine Interiordesignmarke, die plötzlich Mode entwirft.
Ist es in unserer Zeit noch möglich ein komplett neues Design zu kreieren?
Luca Nichetto: Alle GestalterInnen, mich natürlich eingeschlossen, entwerfen auf der Grundlage dessen, was zuvor entworfen wurde. Ein Stuhl braucht für die Stabilität meist vier Beine und auch der Aufbau meines "Lato" Tisches, den ich 2018 für &tradition entworfen habe, wird es in abgewandelter Weise zuvor schon einmal gegeben haben. Es geht darum den Archetyp zu respektieren und eine Weiterentwicklung der bestehenden Praxis zu finden, im Material, in der Farbgebung, in der Form. Als DesignerIn möchte man stets einen Schritt nach vorne setzen. Wenn das nicht geschieht, findet keine Entwicklung statt. Der US-amerikanische Mode- und Möbeldesigner Virgil Abloh hat einmal einen Vergleich zu einem DJ gezogen, der viele unterschiedliche Tracks zu einem neuen mischt. Daher bin ich nicht überrascht, dass sich Louis Vuitton, dessen Stardesigner er lange Zeit war, so verhält. Bei allem Respekt für ihn sollte man meiner Meinung nach die Prozesse in den Disziplinen nicht vermischen. Wenn wir unsere Kreativität nicht mehr nutzen und stattdessen nur das Bestehende neu interpretieren, gibt es keinen Bedarf mehr für DesignerInnen. Diese Aufgabe kann dann auch eine künstliche Intelligenz übernehmen. Ich liebe meinen Beruf und fände es sehr schade, wenn es keine Tradition mehr gäbe, die sich weiterentwickelt. Um das sicherzustellen, braucht es eine Förderung der jungen Talente.
Du sagst, du bist nicht wütend. Warum nicht?
Luca Nichetto: Kopiert zu werden ist auch in gewisser Weise schmeichelhaft. Es bedeutet, dass die eigene Arbeit gut ist. Mein Post ist dahingehend eher als ein Wink zu verstehen, dass wir GestalterInnen noch existieren. Man kann mit uns kommunizieren und kooperieren. Dann werden die Ergebnisse auch spannender als bei einer schlichten Kopie.
Auch mit Blick auf junge DesignerInnen, die wenig Mittel haben ihre Arbeiten zu schützen – macht es in solchen Fällen Sinn, einen Rechtsbeistand hinzuzuziehen?
Luca Nichetto: Die GestalterInnen lizensieren ihre UrheberInnenrechte meist an die Marke, die die Produkte herstellt. Bei einem Plagiat entsteht der wirkliche Schaden somit im Grunde nicht bei mir, sondern bei dem Unternehmen, das die Produkte verkauft, die ich entworfen habe. Wenn Produkte ohne neuen Ansatz kopiert werden, sieht man meist sehr schnell, ob es ein Einzelfall ist oder ein Muster, das sich wiederholt. Statt die Kommunikation dann über Anwaltskanzleien zu führen, würde ich mir allgemein wünschen, dass wir offener miteinander sind. Wir sollten nicht darauf warten, dass sich die Situation von alleine verändert oder eine Person vorangeht, damit man auch über seine eigenen Erfahrungen mit Plagiaten sprechen kann. Darüber hinaus finde ich es wichtig, dass man nicht aufsteht, um anderen zu schaden oder um das eigene Ego zu bedienen, sondern den Prozess an sich zu hinterfragen und zu verändern. Das gilt auch für den Umgang der GestalterInnen untereinander. Der einzige Weg gegen das Misstrauen ist die Kommunikation.