Wenn der letzte Salone del Mobile in Mailand eines bewies, dann wohl die Tatsache, dass die Luxusindustrie - nachdem sie die wichtigsten Firmen, die im Kern immer Familienunternehmen waren aufgekauft hat - die Designwelt nun nach ihren eigenen unternehmerischen Gesetzmäßigkeiten umbaut. Dies bewirkt im Ergebnis eine grundlegende Veränderung, bei der das Anonyme an die Stelle des Persönlichen tritt und die Lobpreisung der Oberfläche die Suche nach Tiefe ersetzt. Im Jahr 2007 ist Design nur noch Dekoration, wenn auch mit viel Glanz und Glamour, während die einzigen Neuheiten in einer neuen Kategorie zu finden sind, die der Haute Couture in der Mode gleichkommt: limitierte Editionen und Unikate, die sich an Museen und Sammler richten. Die zahllosen Hotels in Mailand waren mehr denn je ausgebucht und der massive Andrang von asiatischen Besuchern war im Stadtzentrum, das als Plattform für Hunderte von Begleitveranstaltungen diente, kaum zu übersehen. Eine der wirklich großartigen Neuheiten waren die ersten arabischen Schleier, die japanischen Besucher stürmten derweil das Superstudio Più in der Zona Tortona. Was neben einem gigantischen und ziemlich symbolträchtigen Modell von Tokio in diesem riesigen Industriekomplex und den angrenzenden Lagerhäusern gezeigt wurde, hatte nur wenig mit der kribbelnden und trashigen Atmosphäre der letzten Jahre zu tun, die einen veranlasst hatte, diesen Ort nach dem Messebesuch sofort aufzusuchen. Besucher des Möbelsalons von 2007 sahen sich lediglich sehr luxuriösen Ständen gegenüber oder vielleicht besser gesagt einer weiteren Messe neben der Messe. Nachdem letztes Jahr die eigentliche Fiera aus dem alten Messekomplex im Stadtzentrum an ihren neuen Bestimmungsort im entlegenen Rho in der Nähe des Malpensa Flughafens in einen spektakulären neuen von Massimiliano Fuksas entworfenen "Kristallpalast" umgezogen war, prognostizierte man, dass diese Trennung der Messe von den unzähligen Events in der Innenstadt für beide desaströs sein könnte. Diese Befürchtung stellte sich als falsch heraus. Die Mailänder Designwoche, die zuvor bereits als die weltweit wichtigste Veranstaltung in Sachen Möbeln und Design galt, hatte dieses Jahr eine Anziehungskraft entwickelt, die das Ereignis in ganz neue Dimensionen voller Glanz und Glamour, Pracht und Pomp emporhob, wobei das herausragende Stilmerkmal der vorherrschenden Formsprache die Vergrößerung zu sein schien. Dekadenz war das Wort, das in den Kommentaren immer wieder fiel. Man konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass sich Italien offensichtlich entschieden hatte, das Römische Reich wiederzubeleben. Der dafür verantwortliche Mann ist Marquis Luca Cordero Montezemolo, er ist Vorsitzender von Fiat, Präsident von Ferrari, sowie von der italienischen Unternehmerlobby Cofindustria und der FIEG, der italienischen Vereinigung der Herausgeber von Tageszeitungen, zudem ist er der frühere Präsident von Maserati, Vize-Präsident des Fußballclubs Bologna und trotz der Tatsache, dass er relativ unbekannt ist, gilt er für viele als der mächtigste Mann Italiens. Zusammen mit verschiedenen Geschäftspartnern hat er 2002 die Charme Group als Investitionsinstrument für die Luxusindustrie gegründet und bislang ist der größte Teil dieser Investitionen in einen Bereich geflossen, der noch relativ unentdeckt ist, nämlich die Möbelindustrie. Nachdem Charme Poltrona Frau - den weltweit führenden eher klassisch orientierten Hersteller von Lederpolstern für Möbel und Autos - gekauft hatte, erwarb das Unternehmen eine Firma, die mehr als jede andere als Symbol für experimentelles Möbeldesign stand und die das Studio Più mit seinen Einzelausstellungen zu dem In-Ort schlechthin machte: Cappellini. Im Juni 2005 kaufte die Gruppe schließlich 80 Prozent von Cassina auf und wurde somit zugleich Eigentümer von Thonet Wien, Gufram und Alias. Aufgrund dieser sorgfältig kalkulierten strategischen Vorgehensweise, wurde Charme in kürzester Zeit nicht nur im Bereich High-End-Möbel weltweit führend, sondern auch in den verschiedensten Kategorien, vom klassischen Design (Poltrona Frau) über modernes (Cassina) bis zu Avantgarde-Design und vom Konsumenten bis zum Projekt und Objektmarkt. Weitere Möbelfirmen sind in der Zwischenzeit Teil des Portfolios des Luxuskonzerns geworden, wie B&B und die führende niederländische Marke Moooi, die von Bulgari betrieben wird und es ist nur eine Frage der Zeit, wann die wenigen übrig gebliebenen Topmarken so wie Edra und Molteni folgen werden. Bis vor kurzem war die Welt der Designmöbel noch von typischen Familienunternehmen geprägt mit einer großen Mehrheit von kleinen und mittelständischen Firmen, aber die Globalisierung des Marktes und die rasante Verschiebung des Epizentrums nach Moskau, Asien und Saudi-Arabien führt zu einem derart unerbittlichen Wettbewerb, dass oftmals nur zusätzliches Kapital helfen kann, um am Ball zu bleiben. Luca Montezemolo hielt sein Versprechen, dass die von Charme erworbenen Firmen jede mit ihrer eigenen Identität weiterhin existieren würden und somit eine gewisse Vielfältigkeit gewährleistet sein würde. Aber das hat ihn nicht davon abgehalten, die Firmen intern aus dem Kern heraus umzustrukturieren, wobei eine der augenfälligsten Maßnahmen die Kündigungen einer großen Anzahl der langjährigen Vertreter kurz vor der Messe waren, die eigentlich als Freunde der Familie angesehen waren und die dann durch typische Vertriebsmenschen ausgetauscht wurden, während bei der Messe zahlreiche andere Vorkehrungen nur allzu deutlich werden ließen, dass die Unternehmensphilosophie der Luxusindustrie endgültig die gesellige und oftmals von Leidenschaft geprägte Familienatmosphäre ersetzt hatte. Im Meer der angebotenen Objekte ließ sich außerdem die generelle Tendenz erkennen, dass die größte Neuheit wie auch in der Mode die Einführung der Haute Couture Collection war, was in Unikaten und limitierten Editionen zum Ausdruck kam. Dieser Trend erreichte mit der 'Personal Editions' Show von Marcel Wanders in Spazio ex Ansaldo seinen absoluten Gipfel, wo nicht weniger als 300 Unikate und limitierte Auflagen des niederländischen Designers in einer gigantischen und museumsähnlichen Ausstellung mit viel Pomp präsentiert wurden. Der Glanz und die Pracht wurden lediglich von Swarowskis Kristallpalast in der Via Savona übertroffen, für den 19 führende Designer und Architekten jeder einen ausladenden Kronleuchter entworfen hatten und dem ebenso gigantischen Pinocchio in schwarzen, weißen und goldenen Mosaiken, die von Jaime Hayon für Bisazza kreiert wurden und die im Superstudio Più ausgestellt waren sowie den völlig überdimensionierten Tellern und Bechern vom belgischen Duo Job Smeets und Nynke Tynaegel von Studio Job. Der Mindestpreis für den Traumfänger von Arne Quinze, ein weiterer Belgier, der sich im Mittelpunkt der Swarowski Ausstellung befand, betrug 1 Million Euro. Der Hang zu Glanz und Glamour in Verbindung mit stilvollem Schwarz-Weiß sowie schimmernden Metall- und Spiegelflächen gab auch in den meisten der regulären Kollektionen den Ton an und ließ insgesamt den Eindruck entstehen, dass hier eher der Oberfläche und dem Oberflächlichen gehuldigt wurde als irgendwelchen tiefer gehenden Aspekten. Es ist wohl kaum ein Zufall, dass der beliebteste Designer im Moment Patricia Urquiola ist, während die auffälligste Präsentation die von Paola Lenti im Superstudio Più war. Beide widmen sich nicht so sehr neuen Typologien oder Techniken, sondern der Oberflächenbehandlung und der Verwendung von Textilien. Design ist zur Dekoration geworden oder zur auf Möbeln übertragenen Mode.
Lobpreisung der Oberfläche
von Max Borka | 29.05.2007