Nina Reetzke: Herr Fukasawa, warum heißt Ihre neueste Leuchte „Verto“? Naoto Fukasawa: „Verto“ ist das lateinische Wort für Umkehren. Es geht dabei nicht nur um den physikalischen Aspekt, sondern genauso um die philosophische Sichtweise, im Sinne von „an eine andere Stelle schwingen“. Auch in der japanischen Sprache unterscheidet man an dieser Stelle zwischen physischer Präsenz und immateriellen Erscheinungen. Bei der Leuchte „Verto“, die von Belux produziert wird, befinden sich vier LEDs in einer Box, die an der unteren Spitze einer „V“-Form montiert ist. Von dort strahlt Licht nach oben, wo es von einem präzise berechneten Reflektor auf eine Fläche verteilt wird, die der Größe von zwei Arbeitsplätzen entspricht. Gleichzeitig ist der Reflektor transluzent, es gelangt Licht durch das Material und sorgt für Deckenlicht. Wenn man sich mit japanischem Lichtdesign beschäftigt, stößt man auf den Text „Lob des Schattens“ von Tanizaki Jun’ichirō. Fukasawa: Das ist ein sehr wichtiges Buch. Ich war ziemlich beeindruckt, als ich es gelesen habe. Wenn Menschen Licht betrachten, sehen sie das Licht und vergessen dabei die Schatten. Dabei rufen Schatten Gefühle hervor, stärker als Licht. Eines der Essays in dem Buch gefällt mir besonders gut: Jemand trinkt Suppe aus einer schwarz lackierten Schale. Die Suppe erscheint transparent. Der Raum wird nur durch eine Kerze beleuchtet. Es fällt kein Licht in die Schale. Da die Essenden die Suppe nicht sehen, wirkt der Geschmacksinn stärker. Kürzlich habe ich einen Artikel für eine japanische Zeitschrift geschrieben. Der Titel lautet „Der Unterschied zwischen Licht und Leuchte“. Die Leuchte wird von einem Designer entworfen, der dafür sorgt, das Licht in unser Leben integriert wird. Er macht die Zusammenhänge sichtbar. Dahingegen ist Licht einfach Licht. Wie Luft. Es ist verfügbar. Wenn man möchte, liegt eine Qualität darin, die Luft zu sehen, die sich zwischen Betrachter und Produkt befindet. Die „Akaris” von Isamu Noguchi machen Schatten sichtbar. Das Licht dringt nicht vollständig durch das Shōji-Papier. Fukasawa: Ja. Bei den „Akaris“ spielt das Licht-Schatten-Spiel eine wichtige Rolle. Ich schätze das Werk von Isamu Noguchi und habe selbst eine „Akari“ Zuhause. Die damit verbundenen Werte sind momentan in Japan jedoch weitestgehend in Vergessenheit geraten. Die Menschen schätzen Licht, helles Licht. Aber die Schatten sollten auch mit berücksichtigt werden. Dann machen Beleuchtungskonzepte Sinn. Wird die Wertschätzung für gestalterische Zwischenbereiche nicht zunehmend wiederentdeckt? Fukasawa: Genau darin liegt die Herausforderung. Funktionales und emotionales Licht müssen miteinander verbunden werden. Es geht um mehr als Ökobilanzen. Eine LED bietet die technischen Möglichkeiten für emotionales Licht, Architekturlicht, Designerlicht, … Was denken Sie über die Neuheiten der letzten Light+Building? Fukasawa: Viele Hersteller arbeiten daran, Produkte einfacher zu gestalten. Es ist zu begrüßen, wenn das Leben der Menschen dadurch leichter wird. Aus gestalterischer Sicht gehen dadurch jedoch im Ausdruck Charakter und Persönlichkeit verloren, alles sieht gleich aus. Es reicht nicht aus, wenn jeder Gegenstand geometrisch geformt ist. Es gilt, Funktion und Form gleichermaßen zu durchdenken, aus minimalistischer Sicht zu betrachten – und skulpturale Qualitäten dabei mit einzubeziehen. Der Betrachter sollte das Gefühl haben, etwas Neues vor sich zu haben. Wie sehen Sie Ihre eigene Rolle? Fukasawa: Es geht nicht um Design selbst oder um „Design by Naoto Fukasawa“. Aus meiner Sicht ist Design ein Ausdrucksmittel. Ich gehöre zu den Personen, welche die Aufgabe haben, Gegenstände zu entwerfen, die unser Leben verbessern. Wir müssen dabei vielerlei im Blick behalten – Zeit, Umwelt, Situation, Team, Kulturen, alles. Es ist wie Puzzle legen, bis es perfekt zusammen gebaut ist. Das ist meine Arbeit.
Licht ist einfach Licht
21.05.2012
Naoto Fukasawa, Foto © NF
Naoto Fukasawa, Foto © NF
An der unteren Spitze einer „V"-Form befinden sich vier LEDs, Foto © Belux
Das Licht trifft auf einen präzise berechneten Reflektor, Foto © Belux
Einfachheit mit Ausdruck, Foto © Belux
Es liegt eine Qualität darin, die Luft zu sehen, die sich zwischen Betrachter und Produkt befindet, Foto © Belux