Es gibt viele Punkte, an denen Mode und Möbel sich berühren. Ganz unmittelbar geschieht das über den Stoff. Auch wenn sich die Stoffindustrie in die Sparten „Bekleidungstextilien“ und „Polsterstoffe“ aufteilt und letztere per se zeitloser und haltbarer als Kleiderstoffe sein müssen, so gibt es doch Gemeinsamkeiten. So sind Stoffe in den vergangenen Jahren generell immer raffinierter geworden.
Im Möbelbereich bedeutet das: Nicht allein die Farbe eines Bezugs setzt einen Akzent, vielmehr sind es dessen unterschiedlichen materiellen oder haptischen Qualitäten, gleichviel ob der Stoff aus Naturmaterialien besteht oder in seiner Textur grob, samtig, fein, flauschig oder verfilzt erscheint. Was die Mode betrifft, so schwelgt diese seit einigen Saisons gar geradezu in einem Stoff- und Farbrausch. Außergewöhnliche, luxuriöse Garnmischungen, stark konturierte 3D-Strukturen bis hin zu High-Tech-Texturen bestimmen, ja erneuern geradezu das Bild der Mode.
Zwei Jahre Entwicklungszeit
Einer, der das modische Spiel mit Farben und Stoffen bestens beherrscht, ist der belgische Designer Raf Simons. Dass er jetzt mit dem dänischen Polsterstoff-Spezialisten Kvadrat seine Zusammenarbeit verkündet und gleichzeitig eine Kollektion vorstellt, trifft da voll ins Schwarze.
Einen ersten Kontakt zwischen Simons und Kvadrat gab es 2010. Simons war zu der Zeit „der“ Kopf hinter der Jil Sander-Kollektion und suchte nach dicken, standhaften Stoffen für seine Damenkollektion, die zahlreiche Anspielungen auf die Mode der Nachkriegszeit enthielt. Im Kvadrat-Showroom in Mailand wurde er fündig – und die Stoffe des dänischen Polsterstoffherstellers landeten erstmals auf dem Catwalk. Vor rund zwei Jahren wurde der Kontakt wieder aufgefrischt. Kurz zuvor war eine Designerin von Kvadrat, Fanny Aronsen, überraschend an Krebs gestorben und Kvadrat suchte nach neuen Impulsen. Peter Saville, der in London lebende Kreativ-Berater von Kvadrat, brachte seinen Freund Raf Simons ins Spiel.
Simons, gerade frisch zum modischen Leiter bei Christian Dior gekürt, schlug ein. Er liebt es, viele Dinge gleichzeitig zu tun – kooperiert auch mit Fred Perry, Eastpak und Adidas. Jetzt, nach zwei Jahren Entwicklungszeit, ist die erste Kollektion mit elf Stoffen fertig – und weitere sollen folgen.
Um die Kollektion zu verstehen, lohnt es sich, einen Blick auf den Modeschöpfer Raf Simons zu werfen. Der 46 Jahre alte Simons wurde in Belgien geboren. Das Studium des Industrie-Designs in Genk hatte er zugunsten einer Karriere in der Modebranche abgebrochen. Er ging nach Antwerpen, gründete dort 1995 sein eigenes Männermode-Label, dessen Sprache stark von der Musik der 1980er Jahre – Bands wie Joy Divison, Kaftwerk oder New Order – beeinflusst war. Mit seinen schlanken Anzügen, die er dünnen, blassen Jungs anzog, etablierte er einen neuen Stil. Seitdem ging es für Raf Simons stets bergauf: 2005 engagierte ihn der Prada-Konzern für die Marke Jil Sander. Und Simons zeigte, dass er auch Mode für Frauen machen kann. Abermals setzte er Zeichen: Mit seinem besonderen Gespür für Farben und Materialien läutete er – neben Prada – auch bei Jil Sander den starken Farbrausch in der Mode der vergangenen Saisons ein. 2011 verließ er Jil Sander, um für die Gründerin Platz zu machen, die wieder zu ihrem Label zurückkehrte. 2012 schließlich stieg Raf Simons in den Olymp der Mode auf: Er wurde Nachfolger von John Galliano beim Pariser Modehaus Christian Dior, wo er seitdem – trotz einer subtilen Anlehnung an Diors New Look – einen ganz eigenen, expressiven Auftritt von Saison zu Saison unter Beweis stellt.
Trotz seiner Popularität, seines Talents und seines Erfolgs, gehört Raf Simons nicht zur Spezies der publikums- und presseaffinen Modedesigner à la Karl Lagerfeld. Er scheut die Öffentlichkeit, von ihm gibt es so gut wie keine Porträtfotos. Dafür wird er als emsiger Arbeiter beschrieben, der gern über den eigenen Tellerrand hinausschaut. Er bewundert und sammelt zeitgenössische Kunst – etwa von Mike Kelley, Paul McCarthy, Cindy Sherman, Christopher Wool and Brian Calvin – und ist befreundet mit dem amerikanischen Künstler Sterling Ruby, mit dem er schon öfter zusammengearbeitet hat. So auch bei der letzten Raf Simons-Schau im Januar, als er die Models in Pullovern mit aufgenähten Stofffetzen oder in gesprenkelten Hemden und Hosen über den Catwalk schickte, als wären sie frisch vom Malern gekommen. Das hatte viel Nervosität, Dynamik, ja auch Punk. Womit Simons auch – wie so oft – auf gesellschaftlich drängende Themen reagiert, von der Wiederverwertung bis zur Rebellion einer Jugend ohne Chancen auf den Straßen Europas. Die Stofffetzen übrigens, und das ist charmant, stammen zum Teil von Kvadrat.
Vergangenem einen neuen „Twist“ geben
Vielleicht lässt sich das Verhältnis von Raf Simons und Kvadrat ja so beschreiben: Mit dem Modemacher und dem Textiliten verhält es sich etwa so wie bei Menschen, die eine Affäre haben, sich wieder aus den Augen verlieren, um schließlich in einer festen Beziehung ihre innige Liebe zueinander zu entdecken. Raf Simons erklärt: „Als ich für Jil Sander mit Kvadrat zu arbeiten begann, faszinierten mich die Stoffe sehr, die Farbgebung, die hohe Qualität und die gelungenen Melangen.“ Jetzt, da er mit den Dänen kontinuierlich zusammenarbeitet, schätzt er deren Sinn für „Geradlinigkeit, Zurückhaltung und Qualität“. Als Inspirationsquelle dienten Raf Simons auch diesmal die 1950er und 1960er Jahre, Möbeldesigner wie Hans Wegner, Jean Prouvé und Charlotte Perriand, sowie der französische Architekt Jean Royère. Simons bekennt: „Ich wollte keinen Schock-Effekt erzielen, sondern dieser Welt, die ich bewundere und respektiere, einen neuen Twist geben.“
In den Stoffen, die er für Kvadrat entworfen hat, ist sein modisches Gespür deutlich zu spüren. Von den elf Stoffen sind fünf Farb-Updates von Entwürfen Fanny Aronsens. Daneben gibt es eine kleine Accessoires-Linie aus Kissen und Couch-Decken aus den neuen Stoffen. Raf Simons: „Wir brachten viele Stoffe aus der Mode mit. Stoffe, die nicht verwendbar sind für Möbel aufgrund ihrer Webart – Bouclés und Tweeds und so weiter.“ Diese Stoffe, so erklärt Simons weiter, mussten komplett neu entwickelt werden, um den gleichen optischen Effekt erzielen, in ihrer Qualität aber für Möbel eingesetzt werden zu können.
Das Ergebnis ist erstaunlich: ein Feuerwerk an Farben, eine Vielfalt an fein differenzierten Texturen und Strukturen. Zu den auffälligsten, geradezu extravaganten Neu-Kreationen zählen „Argo“, ein fellähnlicher Stoff mit extralangem Flor aus schimmerndem Mohair, und „Astor“, dessen Textur an das dichte, glatte und glänzende Fell von Bibern erinnert. Mit „Pillar“ hat Simons einen kompakten, samtigen Velours entworfen, der durch die Brillanz von acht Farben besticht – und der unverkennbar seine Vorliebe für den Wohnstil der Fifties und Sixties belegt. Bewegung kommt bei „Pilot“, „Sonar 1“ und „Sonar 2“ ins Spiel: Bouclégarne, zum Teil aus Merinowolle, ergeben ein spannungsgeladenes Webbild, das bei allen dreien an raffinierte Stoffe für hochwertige Wollanzüge denken lässt.
Memphis-Reminiszenzen
Ein starkes Statement sind die Farben, insbesondere bei den Updates der Stoffe von Fanny Aronsen, bei „Balder“, „Haakon 2“, Harald 2“, „Sunniva 2“ und „Vidar 2“. Exzentrische Töne wie Pink, Orange und strahlendes, gleißendes Blau treffen auf Bordeaux, Schwarz oder Grau. Ungewöhnliche Farb-Kompositionen entstehen daraus, die bunte Welt von Memphis mit ihrer sehr speziellen Farb-Dialektik, sie scheint bei Raf Simons für Kvadrat ein Stück weit wieder aufzuleben. Gerade jetzt, da die Einrichtungen wieder farbenfroher und bunter werden, sind solch prägnante und zeitgemäße Farbkonzepte extrem gefragt.
Nach Kooperationen mit Alfredo Häberli, Olafur Eliasson, Patricia Urquiola und zuletzt den Gebrüdern Bouroullec, setzt Kvadrat mit der Wahl von Raf Simons ein deutliches Signal: Möbel und deren Bezug dürfen und sollen auch modische Facetten haben, nah am Zeitgefühl sein. Man darf gespannt sein, wie die Stoffe wirken, wenn sie Sessel und Sofas umspielen.
www.rafsimons.com
www.kvadrat.dk
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(1. November 2013)
Fotos © Giovanni Giovannoni