Le Corbusiers Möbel und Interieurs
VON Nina Reetzke | 12.09.2012
Bekanntermaßen hat Le Corbusier ein umfassendes Werk hinterlassen. Das „Oeuvre Complète” von Willy Boesiger erhebt zwar den Anspruch auf Vollständigkeit, sein Schwerpunkt liegt jedoch auf der Architektur. Was Inneneinrichtungen angeht, liefert das Buch „Le Corbusier. Möbel und Interieurs 1905-1965“ jetzt nach, was man dort vermisst: einen umfassenden Überblick mit Werksverzeichnis und Essays. Über mehr als zehn Jahre hinweg hat Arthur Rüegg an dem Band gearbeitet, von 1998 an offiziell im Auftrag der Fondation Le Corbusier. Der immense Aufwand rechtfertigt auch den vergleichsweise hohen Preis der empfehlenswerten Publikation. Vorgestellt werden rund 340 Objekte, die teilweise in Zusammenarbeit mit Pierre Jeanneret und Charlotte Perriand entstanden sind. Einige davon sind noch heute bei Cassina in Produktion. Die frühen, von 1906 an entstandenen Entwürfe gelten als weniger bekannt. Rüegg bezeichnet sie als „Capriccios“, die Altes und Neues verbinden. Ein Beispiel ist der Schreibsekretär für Corbusiers Mutter Charlotte-Amélie, der Elemente klassischer Architektur, traditioneller Stilmöbel und zeitgenössischer Kubenformen miteinander kombiniert. Es folgen die inzwischen legendären Entwürfe aus den 1920er und 1930er Jahren, allen voran Stahlrohrmöbel wie der „LC2“ oder der „LC4“. Hier scheinen alle Anleihen an die dekorativen Künste zugunsten eines industriellen Rationalismus aufgegeben zu sein. Die späten Möbel nach 1940 präsentieren sich sodann auf ein Minimum reduziert wie der „Hocker“ in Form einer hölzernen Kiste, der erstmals für die „Cabanon“ in Roquebrune-Cap-Martin realisiert wurde. Zum besseren Verständnis der Möbel und Interieurs von Le Corbusier geht Arthur Rüegg auf einige grundlegende Begriffe genauer ein: Das Wort „Typenobjekt“ benennt Gegenstände, die Grundfunktionen erfüllen. Die Formen sollen kontinuierlich weiter entwickelt werden, wobei das Ziel darin liegt, traditionelle Möbeltypen durch frei einsetzbare Typenmöbel zu ersetzen. Der Ausdruck „Gesamtkunstwerk“ bezeichnet die Anordnung von Objekten zu einem Gesamtbild. Dabei handelt es sich nicht um ein einheitliches, bis ins Detail durchgestaltetes Ensemble, sondern um eine Collage aus eigenständigen Produkten. Somit können Einbaumöbel, Serienprodukte und Einzelstücke gleichermaßen nebeneinander stehen. Der Begriff „Grenzüberschreitungen“ beschreibt den Austausch zwischen verschiedenen Künsten. Die Anregungen können dabei ebenso von historischen Ornamenten wie aus Büro-, Krankenhaus- oder Militärbereichen stammen. Letzten Endes geht es darum, zeitlich, räumlich und inhaltlich neue Zusammenhänge herzustellen. Vor dem Hintergrund seiner gestalterischen Arbeit, lohnt auch ein Blick darauf, wie Le Corbusier selbst eingerichtet war. Eine Fotografie von George Brassaï zeigt eine Wohnung von Le Corbusier in einer Alltagssituation. Der berühmte ungarische Fotograf hat es um 1931 in der Pariser Rue Jacob 20 aufgenommen. Le Corbusier sitzt an einem Tisch und schreibt. Hinter ihm ist ein Durcheinander aus Büchern zu erkennen. Auf Möbeln und dem Kaminsims stehen allerlei Fundstücke, etwa die Skulptur einer Mutter mit Kind aus Benin. An den Wänden hängen Gemälde, darunter „Composition avec profil“ von Ferdinand Léger. Rüegg stellt einen Vergleich mit Walter Benjamins Begriff „Abdruck des Individuums“ an, nach dem eine Sammlung von Dingen für wichtige Momente in einer Biografie stehen. Im Fall von Le Corbusier kommt berufliches Forschen hinzu: „In der Tat“, so Rüegg, „hat Le Corbusier seine eigenen Wohnungen stets als Laboratorium für die Analyse, die Ordnung und die Inszenierung von heterogenen Objekten unterschiedlichster Provenienz genutzt.“ Le Corbusier. Möbel und Interieurs 1905-1965 |