GESUNDHEIT
Heilende Architektur
In ihrem Film "The Hospital of the Future" beschäftigt sich OMA mit den Konventionen der Gesundheitsarchitektur. Darin analysiert ein Team des niederländischen Büros unter der Leitung von OMA-Partner Reinier de Graaf, wie Krankenhäuser gebaut werden und welche Rolle Krankheiten bei der Planung von Städten spielen. Der Film gibt spekulative Ausblicke auf die Zukunft der Krankenhausarchitektur und möchte eine Diskussion darüber anregen, wie eine anpassungsfähige Stadtplanung für Gesundheit und Pflege aussehen kann. Er wird auch auf der Biennale Architettura 2021 in Venedig zu sehen sein. Dort ist er Teil einer Szenografie aus überlebensgroßen Krankenhausvorhängen und Feldlazarettbetten, die von der italienischen Armee stammen.
Alexander Russ: Wie seid ihr auf das Thema Gesundheitsarchitektur aufmerksam geworden?
Hans Larsson: Das war zunächst einem praktischen Interesse geschuldet, weil wir an zwei Krankenhausprojekten gearbeitet haben. Zum einen an einer Ausschreibung für ein Klinikgelände in Katar und zum anderen für ein Krankenhaus in Paris. Dabei haben wir ein für uns unbekanntes Terrain erkundet.
Wie viel Erfahrung hattet ihr zu diesem Zeitpunkt mit dem Entwerfen von Krankenhäusern?
Hans Larsson: Keine. Das war aber auch genau der Grund, warum wir die beiden Projekte in Angriff genommen haben. Die Gesundheitsdienstleister, mit denen wir zusammengearbeitet haben, fanden es interessanterweise ganz gut, dass wir nicht mit den ganzen Konventionen des Gesundheitswesens belastet waren. Wir sind da zunächst ganz strategisch rangegangen, aber dann hat sich das Ganze verselbständigt und uns viel weitergetragen, als wir das ursprünglich vorhatten. Es gibt ja enorme Einschränkungen beim Entwerfen von Krankenhäusern – aber je mehr Einschränkungen es gab, desto tiefer wollten wir in das Ganze einsteigen.
Ihr habt auch einen Film gedreht, in der die Situation des Gesundheitswesens vor der Pandemie analysiert wird. Eine der Schlussfolgerungen ist, dass "Heilung eine Frage der Effizienz wurde". Was meint ihr damit?
Alex Retegan: In den letzten Jahrzehnten hat sich das Gesundheitswesen von einer öffentlichen Aufgabe immer mehr zu einer Art Businessmodell gewandelt. Als Folge wurde alles quantifiziert und nach seiner Effizienz bewertet – wobei Effizienz in diesem Fall eigentlich Rentabilität bedeutet. Die Folge ist ein weitgehend privatisierter Sektor, der versucht Kosten zu senken und alles loszuwerden, was kein Geld einbringt. Das lässt sich ganz gut an der Zahl der Krankenhausbetten ablesen. Seit den Nuller Jahren gab es in fast allen Ländern der Welt einen dramatischen Rückgang, vor allem in Europa und Nordamerika. In den Niederlanden sank die Zahl der Krankenhausbetten zwischen 1990 und 2018 um 45 Prozent, genauso wie in den USA. Dann kam die Pandemie und damit die Erkenntnis, dass es in Krankenhäusern zu wenig Platz für Patienten gibt.
Dem Gesundheitswesen liegt also ein verwundbares System zugrunde. Was hat sich seit der Pandemie geändert?
Hans Larsson: Es gibt ein größeres Bewusstsein über die Probleme, aber wenn man nach einem Jahr Pandemie mit Beratern im Gesundheitswesen spricht, ist es immer noch dieselbe Diskussion über die Kosten.
Was können Architekten beitragen, um dieses Problem zu lösen?
Hans Larsson: Geld und Architektur sind natürlich eng miteinander verbunden und als Architekt kann man nur mit dem Budget arbeiten, das man hat. Wir fanden es aber interessant herauszufinden, wie Geld in eine Infrastruktur übersetzt werden kann, die ein Patient in einem Krankenhaus benötigt. Wenn man sich zum Beispiel die Krankenhäuser ansieht, die vor hundert Jahren gebaut wurden, dann erkennt man, dass diese Anlagen nicht nur aus Gebäuden bestanden, sondern auch Agrarfläche und Wälder besaßen. In Paris zum Beispiel nutzte die AP-HP (Assistance Publique-Hôpitaux de Paris) ihren Besitz, um Brennholz und Nahrung für ihre Patienten zu produzieren. Dieser Ansatz, bei dem es nicht nur um ein Gebäude, sondern um ein ganzes System geht, hat uns sehr inspiriert. Man kann natürlich argumentieren, dass es ein nostalgischer Ansatz ist, aber in diesem Fall sind wir gerne nostalgisch.
Das Ganze ist ja ein sehr infrastruktureller Ansatz. Ihr habt aber gerade erwähnt, dass die Pandemie deutlich gemacht hat, dass es nicht genügend Platz in Krankenhäusern gibt. Es scheint also auch ein architektonisches Problem und ein Problem der räumlichen Flexibilität zu sein.
Alex Retegan: Die Idee der räumlichen Flexibilität gibt es schon seit Beginn der Krankenhausarchitektur. Die Frage ist natürlich, wie sie in das jeweilige Gebäude integriert wurde. Die meisten Krankenhäuser, die heute in Betrieb sind, stammen aus der späten Nachkriegszeit. Ihre räumliche Flexibilität beruht auf einer Turm-Sockel-Konfiguration. Alle klinischen Einrichtungen befanden sich im Sockel und konnten je nach Bedarf umgestaltet werden, während die Patientenzimmer im Turm untergebracht wurden. Aber die Standards für die Patientenstationen änderten sich, und beim Turm gab es wenig Anpassungsmöglichkeiten, da er nur vertikal erweiterbar war.
Was ist eure Lösung für eine größere räumliche Flexibilität?
Hans Larsson: Ich denke, dass jede spezifische Antwort zum Scheitern verurteilt ist, weil es unvorhergesehene Veränderungen in der Organisation gibt. Trotzdem glauben wir, dass es Lösungen gibt. Wie du bereits gesagt hast, ist unser Ansatz eher städtebaulicher Natur und mit der Idee verbunden, dass ein Krankenhaus Teil des städtischen Gefüges werden muss, wodurch sich in der Folge eine flexible Gesundheitsinfrastruktur ergibt. Eine Idee wäre zum Beispiel, den 3D-Druck zu nutzen, um einen Entwurf schneller anpassen zu können. In Kombination mit einer Typologie, die sich nicht vertikal, sondern horizontal erweitert, könnten wir uns Bereiche vorstellen, die in der Tat flexibler in ihrer Neukonfiguration sind.
Könnte das zu einem ephemeren Ansatz in der Krankenhausarchitektur führen?
Hans Larsson: Ja, genau. Temporäre Architektur wie das Cineroleum von Assemble in London, bei dem eine Tankstelle in ein Kino umgewandelt wurde, ist ein gutes Beispiel, aber auch Feldlazarette mit ihren schnell einsetzbaren Einheiten. Flexibilität bedeutet auch Mobilität. Während der Pandemie haben wir gesehen, wie wichtig es ist, diese Mobilität aufrechtzuerhalten, da ein Ort zu einem bestimmten Zeitpunkt stärker vom Virus betroffen ist als ein anderer.
Ein weiteres Zitat eures Films ist, dass "das Krankenhaus der Zukunft Bestellungen entgegennimmt – wie ein Logistikzentrum, das sortiert und versendet". Könnt ihr das genauer erläutern?
Alex Retegan: Niemand geht wirklich gerne ins Krankenhaus. Also haben wir uns die Frage gestellt, wie man es vermeiden kann, dass man überhaupt dorthin gehen muss. Vielleicht könnte das Krankenhaus stattdessen Dienstleistungen und Produkte bereitstellen und liefern. Das bedeutet aber wie gesagt auch, dass das Krankenhaus eine produktive Einheit sein müsste, die autarker arbeitet.
Hans Larsson: Wir alle wissen, dass Amazon aus verschiedenen Gründen problematisch ist. Aber wenn man das Modell von Amazon im Interesse des Gesundheitswesens nutzen würde, könnte man mit den sich daraus ergebenden Möglichkeiten die Gesundheitsversorgung schneller und einfacher abwickeln. Das soll nicht heißen, dass Amazon ein Gesundheitsdienstleister werden soll. Es soll heißen, dass Gesundheitsdienstleister von Amazon lernen können. In den USA hat Amazon einen Algorithmus, der den Warenbestand automatisch dem jeweiligen Klima zuordnet. Was wäre, wenn ein Krankenhausnetzwerk den gleichen algorithmischen Ansatz hätte und seine Medikamente dort platziert, wo sie am meisten gebraucht werden?
Alex Retegan: Die westliche Welt ist ja im Großen und Ganzen gut vernetzt. Hier gibt es eigentlich keinen Mangel an Medikamenten. Aber andere Teile der Welt sind nicht so gut an das globale Netzwerk angebunden. Dort ist es noch dringlicher, über logistische Abhängigkeiten nachzudenken.
Bei der Vorbereitung für dieses Interview wurde mir bewusst, dass Roboter mittlerweile ein Teil der Krankenhauslogistik sind. Ihr sprecht das auch in eurem Film an, indem ihr sagt, dass "das Krankenhaus der Zukunft der Maschine Platz macht, das Personal von seinen Routineaufgaben befreit und sie den Geräten überlässt."
Hans Larsson: Wenn man an ein Krankenhaus denkt, denkt man zunächst an einen Korridor. Es gibt dort jede Menge Platz für Transport und Logistik. Es ist ein bisschen wie ein Labyrinth. Mit Robotern oder Maschinen könnte man zwei infrastrukturelle Ebenen schaffen: eine mit einem stromlinienförmigen Kommunikationssystem, das von den Maschinen bewohnt wird, und eine mit einer lichtdurchfluteten und angenehmen Umgebung für den Menschen. In einigen dänischen Krankenhäusern wird dieser Ansatz schon integriert. Als typologische Idee könnte das Ganze aber noch viel weiter gehen.
Alex Retegan: Obwohl Roboter mittlerweile ein Teil des Krankenhauses sind, werden sie immer noch wie "Gäste" behandelt, weil sie in Räumen arbeiten, die nicht für sie entworfen wurden. Unsere Idee besteht darin, Roboter in die Auslobung für das Gebäude mit aufzunehmen. Es mag vielleicht ein unangenehmer Gedanke sein, ein Krankenhaus für Maschinen zu entwerfen, aber ironischerweise könnte das Ergebnis menschlichere Züge tragen.