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Kosmos mit Robotzki oder Licht in jeder Ecke
von Thomas Wagner | 19.04.2010

So viel Licht war nie! Nicht etwa, weil auf einer „Weltleitmesse" wie der „Light+Building 2010" in den Hallen der Frankfurter Messe mit aktuell 2.177 Hersteller eine kaum zu überschauende Anzahl von Tisch- und Stehlampen, Wand- und Einbauleuchten, Kronleuchtern und Straßenlaternen, Schaltern und Installationsmaterialien präsentiert wird, sondern weil es niemals zuvor eine derartige Vielfalt an technischen und ästhetischen Lösungen dafür gegeben hat, das Dunkel mit all seinen Gespenstern und Gefahren in eine helle, jederzeit überschaubare und saubere Welt zu verwandeln. Beim Rundgang durch ein Dutzend von Hallen und über hunderte von Ständen beschleicht einen deshalb ein ums andere Mal das Gefühl, erst jetzt sei die Entmythologisierung vollendet und wir träten ganz ein in das Zeitalter der Aufklärung - die im englischen ja nicht ohne Grund „Enlightenment" heißt. Wo sich die allgemeine Erhellung derart breit macht und das Licht der Vernunft zu einer Frage der Technik und des Designs geworden ist, befindet sich die berühmte „Tagnachtlampe" des Dichters Christian Morgenstern weiter von der Wirklichkeit entfernt als je zuvor. Schließlich beruht sie auf dem Faktum, „daß gedachte Lampe, in der Tat, wenn angedreht, selbst den hellsten Tag in Nacht verwandelt." Umgekehrt wird heutzutage überall eine Lampe draus, die angedreht, alles in lichten Tag verwandelt.

Der Renner heißt LED

Zumindest in den Städten und den komfortablen Gehäusen ihrer Bewohner ist es immer taghell. Wobei Plafond und Himmel, ganz gleich ob drinnen oder draußen, nicht voller Geigen, sondern voller LEDs hängen. Die kleinen, Strom sparenden Leuchtdioden, sind ohne jeden Zweifel, der Renner der diesjährigen Messe. Im Gegensatz zu den so genannten OLEDs, der auf organischen Materialien basierenden Variante, die sich noch immer in der Erprobungsphase befindet, bietet die LED fast jeder Hersteller in der einen oder anderen Form an. Allein Ingo Maurer blickt mit der Tischleuchte „Double T. Future" und der hängenden Variante „Double C. Future" auch weiterhin in die Zukunft. Und da beginnt auch schon das Problem. Denn seit die gute alte Glühbirne von den Brüsseler EU-Bürokraten auf den Index gesetzt wurde, leuchten die kleinen LED-Lämpchen auch noch die letzte Ecke aus. Alles soll erleuchtet werden und nichts im Dunkeln bleiben. Kein Tisch und keine Kante, kein Nischchen und Treppchen. Und so muss der Planet Erde, gerade, weil doch jedes Lämpchen angeblich Energie spart, vom Weltraum aus betrachtet, eigentlich immer heller werden.

Faktum ist: Trotz großer Anstrengungen, das Spektrum des Lichts, das LEDs emittieren, dem warmen Farbton einer Glühbirne anzugleichen, wirkt deren Licht in den meisten fällen noch immer kalt und technisch. Und auch wenn es die eine oder andere ästhetisch überzeugende Lösung gibt, so bleibt doch noch viel zu tun. Viel zu oft meint man, es statt mit Lampen mit Duschköpfen zu tun zu haben, aus denen es statt Wasser Licht regnet. Die Werbung indes spricht derweil weiter ungerührt von „Technologie", „Eleganz" und „Effizienz".

Es gibt nichts, was es nicht gibt

Jenseits solcher Lichtbadeanstalten mit Spareffekt lässt sich so ziemlich jede Form und jeder Stil finden - auch wenn mancher wichtige Hersteller seine Novitäten dann doch erst in Mailand präsentiert oder gar nicht nach Frankfurt gekommen ist. Gleichwohl: Wie das Scheinwerferdesign im Automobilbau, so wird das Licht auch in der Wohnung, im Büro und im öffentlichen Raum zunehmend variabel und dynamisch - in und jenseits aller Gehäuse und Erscheinungsformen. Schließlich kann man mit Licht heute so gut wie alles machen. Indirekt beleuchten, Stimmungen erzeugen, jede Art von Nippes direkt anstrahlen oder einen Raum partiell oder komplett erleuchten, ohne dass man die dazu nötige Lichtquelle erkennen kann. Und mit Hilfe von Leuchten kann jeder - seit bei deren Design die Form der Atmosphäre folgt, die sie erzeugen soll - seine Sehnsucht nach einer barocken Existenz durch riesige Kronleuchter oder Kaskaden aus Glitzersteinchen ebenso befriedigen wie sich den Luxus des Verzichts leisten oder seiner ökologischen Gesinnung dadurch Ausdruck verleihen, dass er auf biomorphe, verästelte und verzweigte Formen zurückgreift. Diese sehen mal wie Bäumchen mit leuchtenden Blättern oder Blüten, mal wie üppige Dolden oder Korallen aus. Selbst „Led Net Line" und „Led Net Circle" von Michele de Lucchi und Alberto Nason für Artemide weisen in diese Richtung. Auch Tropfenförmiges wird immer wieder gern gesehen, seit sich die Ökologie mit der Hochtechnologie verbündet hat.

Im Grunde lassen sich zwei Extreme unterscheiden, wie gegenwärtig mit Licht auf ästhetische Weise umgegangen wird, wobei dazwischen jede Menge Mischformen existieren. Extrem eins setzt nicht auf die Qualität des Lichts allein, sondern vor allem auf edles, üppiges Dekor, auf glitzernde, funkelnde Materialien, immer größere, immer weiter ausladende Schirme und Kalotten oder im Maßstab vergrößerte, überdimensionale Leuchten. Wie das aussieht, kann man sehen, wenn etwa Hani Rashid für Zumtobel dem Sonnenkönig Louis Quartorze seine Reverenz erweist und die Üppigkeit eines Kronleuchters in unsere Zeit übersetzt oder serien.lighting die Tischleuchte „Slant" auch als XL-Modell anbietet. Vergleichbares gab es schon in den vergangenen Jahren. Man muss diese neue dekorative Üppigkeit schon sehr mögen, um sie gut zu finden, wie überhaupt die ganze Tendenz zu funkelndem Glas, poliertem Metall und allerlei schimmernden Wolkengebilden.

Bei Extrem zwei hingegen dreht sich alles um das Licht selbst und darum, das, was man Lampe nennt, in Form und Material möglichst reduziert erscheinen zu lassen oder gleich ganz zum Verschwinden zu bringen, damit nur das reine, oft farbige Leuchten übrig bleibt. Hier wird man einerseits bei den in ihrer Zahl kaum mehr zu überschauenden Einbauleuchten fündig, oder bei Herstellern wie tossB - mit Anklängen an die fünfziger Jahre, bei IP44 - mit einer Portion Purismus, oder - im Verbund von Leuchtkörper und sensorgesteuertem Sockel, bei senses. Gelegentlich wundert man sich, wie frisch so mancher Klassiker - etwa bei Tecnolumen - angesichts der Übermacht des Dekorativen schon wieder wirkt.

Auf dem weiten Feld der Mischformen, das sich zwischen den Extremen auftut, finden sich auffällig viele Leuchten aus textilen Materialien oder Papier, ganz so, als erlebe die japanische Akari-Leuchte aus der Studentenzeit - in High-Tech-Varianten, versteht sich ¬- eine Renaissance. Ob Licht und Beleuchtung durch all die Vielfalt freilich „besser" oder lediglich „dekorativer" geworden sind - ich weiß es nicht.

Kopernikanische Lichtwende

Dafür wird Licht immer raffinierter als Stimmungsmacher inszeniert. Wobei inmitten der gleichsam kopernikanische Wende der Branche hin zur Sparlampe auffällt, dass, was diese an elektrischer Energie einspart, nicht selten als Überschwang in Sachen Dekoration ästhetisch zurückerstattet wird. „Inszenierung durch Licht" beschreibt dabei nur die eine Seite der Medaille. Auf der anderen steht die „Inszenierung des Lichts" in Gestalt der Leuchte. Besonders attraktiv scheint hier eine Art von Sphärenlicht zu sein, das in jedem Teil des Komforttreibhauses einsetzbar ist und für jede gewünschte Atmosphäre sorgt. Die italienische Firma Album nimmt das Sphärische allzu wörtlich und bietet gleich ein ganzes „Universum LED" an, eine kosmische Reihe aus Leuchten, die „Komet" und „Pluto", „Erde", „Mars" und „Neptun" heißen und aus winzige Leuchtpunkte umhüllenden Himmelskörpern bestehen, die leider nur eines sind: Edelkitsch. Seit die Zukunft der Erde fraglich geworden ist, hat man es zuhause offenbar gern kosmisch. Immerhin bietet Artemide mit „Copernico suspension" eine aus ellipsoiden Leuchtbahnen bestehendes Sphärenmodell von Carlotta de Bevilacqua und Paolo Dell'Ellce an, und Tecnolumen hat die Pendelleuchten „Trabant", 2008 von Joachim Manz gestaltet, im Programm, deren mit Lufteinschlüssen überzogene Betonkugeln wie Mondmodelle wirken. Das Bewusstsein, Teil des Kosmos zu sein, hängt also immer öfter über dem Esszimmertisch, zumal die Art kosmischer Strahlung, die emittiert wird, völlig harmlos ist.

Wieder einmal ist es Ingo Maurer, der Innovation überzeugend mit Witz und originellen Lösungen zu verbinden weiß. Mit „WoonderLux", von Ingo Mauerer und Axel Schmid, einer Niedervolt-LED-Birne, erweist der Altmeister der Glühbirne abermals auf ebenso unverwechselbare wie raffinierte Weise seine Reverenz. „Radarrr", zusammen mit Tobias Reischle entwickelt, funktioniert nach dem umgekehrten Prinzip eines Sonnenofens, und „Looksoflat" macht seinem Namen augenscheinlich alle Ehre: Von der Seite betrachtet eine klassische Büroleuchte mit Gelenkarm, erweist sich deren Schirm bei genauerem Hinsehen als bloße, mit LEDs bestückte Silhouette. Den ultimativen Kommentar zum allgemeinen Steuerungs- und Fernbedienungswahn - Matteo Thun hat für Zumtobel mit der „Bedienstelle" „Luxmate Ciria" zum Beispiel eine Steuereinheit nach Art des IPod mit Click-Weel entworfen - gibt am Ende eine von Benedikt Achatz für Ingo Maurer entwickelte Gelenkleuchte ab. Sie hört auf den schönen Namen „Robotzki" und man weiß nicht so recht, wann sie einem ihre leuchtenden Augen zuwendet. Vielleicht kommen ja demnächst die Licht-Roboter. Einer immerhin ist schon da. Zum Zweck der erhellenden Aufklärung und dem Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Lichtlosigkeit.

Cosmic Landscape von Ross Lovegrove für Artemide
STARBRICK von Olafur Eliasson für Zumtobel Masterpieces
Messestand von Philips
PD Leuchte von Barba Corsini für BestLite by Gubi
Young designers, Leuchte von Kai Linke
Young designers, Leuchte von Kai Linke
Young designers, Leuchte von Johannes Hemann
Young designers, Leuchte von Reinhard Dienes
Messestand von Nimbus
Messestand von Axelmeiselicht
Hope von Francisco Gomez Paz, Paolo Rizzato für Luceplan
Stylepark Café in Halle 1
Stylepark Café in Halle 1
Lacrime del Pescatore von Ingo Maurer, Alle Fotos: © Dimitrios Tsatsas, Stylepark
OLED-Leuchten (Early future und Double T future) von Ingo Maurer
Messestand von Viabizzuno
Messestand von Viabizzuno
LQ-P von Hani Rashid für Zumtobel
Messestand von Philips
Messestand von Dark
Messestand von Dark
Young designers, Leuchte von Formfjord
Messestand von Nimbus
Innermost
LED Lüster SOLSTICE COMÈTE von Baccarat