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Wellen-Gang: Die sanft auf- und abschwingende Empore in der Form eines unregelmäßigen Ovals ist das spektakulärste Element von Frank Gehrys neuem Konzertsaal.

Heiter und überraschend beschwingt

Im ehemaligen Kulissendepot der Berliner Staatsoper: Frank Gehry hat mit dem Pierre-Boulez-Saal einen eindrucksvollen neuen Konzertsaal für die Barenboim-Said-Akademie geschaffen.
von Florian Heilmeyer | 20.02.2017

Es ist ja nicht so, dass es in Berlin zu wenig Konzerträume gäbe. Während zu Beginn des Jahres ganz Hamburg seiner Elbphilharmonie zugejubelt hat, konnte Berlin lässig schulterzuckend auf die immer noch großartige Philharmonie von Hans Scharoun verweisen, die ja auch für den großen Saal in Hamburgs neuem Konzerthaus das weinberghafte Vorbild bot. Und dennoch bekommt Berlin nun mit dem Pierre-Boulez-Saal der Barenboim-Said-Akademie in Mitte einen zwar kleinen, aber so sicher noch nie dagewesenen Klangraum.

Das liegt zum ersten am außergewöhnlichen Konzept der Akademie selbst, die aus dem 1999 ins Leben gerufenen West-Eastern Divan Orchestra von Daniel Barenboim und Edward Said hervorgegangen ist. Der argentinisch-israelische Dirigent und der palästinensisch-amerikanische Autor hatten beschlossen, dass auch in der Musik mehr für die Völkerverständigung getan werden müsse und also ein Symphonieorchester gegründet, das zu gleichen Teilen aus israelischen und arabischen Musikern besteht. Während dieses seit seiner Gründung in Weimar 1999 sehr erfolgreich um die Welt tourt, entwickelten Said und Barenboim parallel die Idee einer Akademie, an der Israelis und Araber gemeinsam Musik studieren und dazu eine breite humanistische Ausbildung genießen sollen.

Der Pierre-Boulez-Saal ist ein heiterer und behaglicher Raum, bei dem Frank Gehry seine charakteristische Formensprache zurückhaltend einsetzt.

Früher Kulissendepot, heute Akademie

Dafür hat die Barenboim-Said-Akademie ein historisches Gebäude in der Berliner Mitte übernehmen dürfen: das ehemalige Kulissendepot der Staatsoper an der Französischen Straße etwa zwischen Gendarmenmarkt und der Friedrichwerderschen Kirche. Das denkmalgeschützte Gebäude mag in seinem wuchtigen Klassizismus zunächst wie ein Werk des 19. Jahrhunderts wirken, ist aber tatsächlich nach Entwürfen von Richard Paulick 1951-55 als Nachkriegsnachbau der DDR entstanden. Schon zur Fertigstellung steckten also hinter einer historisierenden Fassade die modernsten Bühnenwerkstätten, ein hochtechnisches Maschinenhaus mit allerlei stabilen Arbeitsbühnen, Kränen und stabilen Metalltüren. Aus heutiger Sicht könnte man fast von einem visionären Vorbild sprechen, wo doch derzeit allerorten technisch fortschrittliche Museen, Landtage und Kaufhäuser hinter historisierenden Fassadenkopien versteckt werden.

Der Saal von Frank Gehry liegt im Ostflügel des von Richard Paulick in den 1951-55 in historisierenden Formen errichteten Kulissendepots der Berliner Staatsoper.

In diesem Geiste wurde auch der Umbau durch HG Merz und rw+ Architekten in Angriff genommen: Während die Hülle mit spitzen Fingern saniert wurde, ging man mit den Innenräumen eher pragmatisch und großzügig um. 2.200 Kubikmeter Beton und 700 Tonnen Stahl wurden in das alte Haus gewuchtet, verkündet die Pressemitteilung voller Stolz. Tatsächlich wurde das Innere für Seminar- und Proberäume, für Bibliothek, Büros und Garderoben weitgehend umgestaltet. Das Foyer wurde regelrecht ins Haus geschnitten, es reicht bis unters neue Glasdach hinauf und legt sowohl den zackigen Treppenlauf als auch das alte Stahlskelett und die hohen Metallschiebetüren der alten Werkstätten eindrucksvoll offen. Schon im Oktober haben die ersten 37 Studierenden hier ihre vierjährige Ausbildung begonnen, im kommenden Jahr sollen es dann 100 Stipendiaten aus allen Ländern des Nahen Ostens sein. Vorher aber eröffnet nun mit einer großen Festwoche am 4. März 2017 der eigentliche, öffentliche Mittelpunkt der Akademie: der von Frank Gehry entworfene Pierre-Boulez-Saal.

Das in Mattschwarz getauchte Treppenhaus inszeniert das Stahlskelett und die erhaltenen, schweren Rolltore des früheren Kulissendepots.
Die hellen Türen führen zum Konzertsaal von Frank Gehry, alles andere wurde von HG Merz und rw+ Architekten gestaltet.

Ein behaglicher Konzertsaal – ins Gebäude geschnitten

Im ansonsten recht dunkel gehaltenen Foyer scheint das helle Holz der Flügeltüren die Besucher in Richtung Konzertsaal lenken zu wollen. Betritt man dann den Saal, atmet man unwillkürlich auf. Hier lauert keine seltsam verbeulte Taschentuchform aus Titanzink, auch kein Glas-Stahl-Gewitter wie man es vom Meister der Dekonstruktion vielleicht erwartet hätte. Stattdessen kommt man in einen Raum aus heller Douglasie. Die Formen sind nicht zackig gebrochen, sondern sanft geschwungen. Es ist erstaunlich behaglich hier drinnen, vielleicht ist es sogar der bislang behaglichste Gehry-Raum überhaupt. Ist das kalifornische Altersmilde oder doch eher auf die Arbeit des berühmten Akustikers und Konzertsaal-Spezialisten Yasuhisa Toyota zurückzuführen, der übrigens auch für die Saalakustik der Elbphilharmonie verantwortlich war. Von ihm stammt auf jeden Fall die gewellte Holzdecke und die schalldämmenden Boden- und Wandbeläge.

Wie das Foyer wirkt auch dieser Raum wie aus dem Originalgebäude herausgeschnitten. Die zwei Reihen Fenster zeigen noch, dass hier einst zwei Etagen waren. Jetzt ist der Raum fast würfelförmig, aber die alten Wände und Fenster bieten nur noch den Rahmen für den Konzertraum, kein Ordnungssystem mehr. Sie treten hinter den dominierenden, ovalen Formen des Raums zurück, insbesondere hinter der spektakulären, geschwungenen Empore, die Gehry in den Raum gehängt hat. Sie soll einen schwebenden Eindruck vermitteln, aber dafür ist der konstruktive Aufwand dann doch etwas zu hoch. So hängt sie als deutlich wahrnehmbares Gewicht füllig im Raum, statt federleicht zu schweben wie in den Modellen. Aber auch ohne das Schweben vermittelt sie eine gewisse Leichtigkeit, denn sie ist nicht nur oval mit einem großen Loch in der Mitte, sondern führt auch noch leicht auf und ab wie eine kleine Achterbahn. Man könnte bei dieser Formerfindung an das an das Learning Center von Sanaa in Lausanne denken oder an eine sanft erwärmte Scheibe Käse.

Von unten lässt die Empore den enormen konstruktiven Aufwand erahnen, der sie nun gleichsam im Raum schweben lässt.

Der Großteil der maximal 620 Besucher wird im Parkett sitzen, dessen Sitzanordnung variabel ist und das deshalb verschiedene Konzert- oder Vortragssituationen darstellen kann: mal wird das Publikum um das Orchester sitzen, mal ordentlich davor aufgereiht. Auf der Empore gibt es gerade einmal zwei Sitzreihen und die Zuschauer in der hinteren werden wohl auf Barhockern sitzen müssen, um überhaupt noch zum Orchester blicken zu können. Aber es ist diese Empore, die den Raum in Schwingung versetzt. Das orthogonale Grundmuster tritt in den Hintergrund und wird zur reinen Hülle, zur Behausung einer freieren Form. Fast scheint der ganze Raum sich leicht zu wiegen, als würde er zu Tanzen beginnen. Fast wehmütig betritt man nach dem Konzert wieder das eckige Foyer.

In Berlin gibt es Gehry-Architektur bisher nur als Innenraum

Wer hätte das gedacht? Der Pierre-Boulez-Saal ist ein ausgesprochen heiterer Raum und gleichzeitig ein recht zurückhaltender Gehry geworden. Er hat in einem eckigen Gebäude einen Raum geschaffen, der uns erinnert, dass es auch andere, weniger rigide Ordnungssysteme gibt. Das erinnert stark an seinen älteren Berliner Bau für die DG-Bank (heute: DZ-Bank), der seit 2001 am Pariser Platz steht. Dort zwangen ihn die strengen städtebaulichen Vorgaben außen in ein Korsett aus Traufhöhe, Steinfassade und stehenden Fensteröffnungen. Anders als im denkmalgeschützten Bau der Barenboim-Said-Akademie hatte Gehry sich am Pariser Platz also selbst seinen Käfig gebaut, in dessen haushohem Atrium er dann für die Konferenzräume eine kraftvolle Formenexplosion aus Stahl, Glas und Titanzinkblech entfaltete. Manche wollten darin das Triebwerk eines abgestürzten Düsenjets erkannt haben, andere sprachen von einem Herz oder einer Lunge, Gerwin Zohlen sogar von einem „unvordenklichen Objekt“.

Überschaubar: 620 Zuhörer fasst der Pierre-Boulez-Saal und ist damit einer der kleineren Berliner Konzerträume.

Die Bank und der Konzert-Saal sind insofern Geistesverwandte, als sie beide schwer zu ergründende Formen in ihrem Inneren verstecken. Wohl keine andere Stadt der Welt kann von sich behaupten, sie habe Gehry gleich zweimal in eine Box gesteckt. Schaut man sich die beiden sehr unterschiedlichen und dennoch auf ähnliche Weise überraschenden Entwürfe an, und vergleicht man sie dann etwa mit den wild geschichteten Trümmerhaufen in Herford, Bilbao, Weil am Rhein oder Los Angeles, dann scheint die Auseinandersetzung mit so einer räumlichen Umgrenzung Gehrys Architektur allerdings sehr gut getan zu haben. Denn gerade im Kontrast der unterschiedlichen Ordnungssysteme entsteht positive Reibung; ein erstaunlich heiteres Schwindelgefühl, bei dem man nicht wie etwa in Bilbao oder Düsseldorf den enttäuschenden Eindruck verdauen muss, dass es sich vor allem um einen ausgemachten und zudem schlecht detaillierten Schwindel handelt. 

Schon wird übrigens mit amerikanischen Investoren der erste Gehry vorbereitet, der zwar in Berlin, aber nicht in einer Box stehen wird. Am Alexanderplatz laufen derzeit die Bauarbeiten für ein 150 Meter hohes Wohnhochhaus, das Deutschlands höchstes sein wird und dessen Naturstein-Fassaden sich auf den Renderings mit großen Schwüngen und Kerben und gegeneinander verdrehend in die Höhe stapeln. Man hört die Investoren quasi schon über einen „echten Gehry" in Berlin jubeln, und erst wenn das Hochhaus fertig ist werden wir wissen, ob man es nicht vielleicht doch auch besser in eine Box gesperrt hätte.

Barenboim-Said-Akademie
Pierre-Boulez-Saal
Französische Straße 33D
10117 Berlin

Das erste öffentlichen Konzert findet am 4. März 2017 unter der Leitung von Daniel Barenboim statt.

Aufmerksamer Blick: Frank Gehry auf der Empore des Pierre-Boulez-Saals im September 2016
Im Modell ist zu erkennen, dass die Empore nur an wenigen Stellen an den Gebäudewänden aufgehängt ist.
Noch ohne Verkleidung: Im Juni 2016 konnte man die Konstruktion der Empore bewundern.
Frank Gehry über den Entwurf des Pierre Boulez-Saals.