Konstantins Gehäuse
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von Thomas Wagner
02.08.2016 „Jeder Mensch trägt ein Zimmer in sich“, notiert Franz Kafka vor fast genau hundert Jahren in einem seiner Oktavhefte. Richten wir tatsächlich nicht nur unsere Zimmer, Wohnungen, Büros oder Häuser historisch oder modern, flexibel oder unverrückbar ein? Haben wir uns, bedingt durch Herkunft und Zeit, aus Mangel an Geld oder dem Bedürfnis nach Status, nicht nur gewissermaßen immer schon in einem Gehäuse eingerichtet, sondern auch unser Inneres, den Raum unseres „Ich“, irgendwie möbliert? Hängt beides, äußeres und inneres Möblieren und Möbliertsein, womöglich zusammen? Und was für ein Raum ist das, den wir in uns tragen? Die Perspektive hat ihren Reiz und könnte durchaus zum Gesellschaftsspiel taugen, man braucht nur etwas Phantasie und Lust zum Spekulieren. Die Außenwelt der Innenwelt Nicht zufällig also hat er es dem Katalog zur Panorama-Ausstellung vorangestellt, und auch bei seinem Versuch, einen unserer Zeit angemessenen „Life Space“ (einem Raum mit Blick auf das Rollfeld eines Flughafens) zu entwerfen, hat es in der einen oder anderen Weise Pate gestanden. Oder ist der Kirchenvater und Humanist, wie er da – an einem Pult auf einem Podest inmitten einer großen gotischen Halle – in seiner Klause sitzt, etwa nicht ebenso mit der Welt verbunden und zugleich von ihr isoliert wie wir Heutigen? Ist der Medienpool vielleicht nur größer, umfangreicher geworden, das Bedürfnis nach Rückzug und Konzentration im großen globalen Weltgebäude aber trotz Email, Internet und Plug & Play seit der Spätantike des 4. Jahrhunderts weitgehend gleich geblieben? Was heißt überhaupt wohnen? Welchen verborgenen und offensichtlichen Einflüssen ist es ausgesetzt? Wie richtet man sich ein in der Welt? War es nicht Augustinus, ein Zeitgenosse des Hieronymus, der als einer der ersten die eigene Innerlichkeit wie einen Raum erkundet hat? Wie verbindet sich das Wohnen überhaupt mit dem Denken? Wie schafft man sich seinen eigenen Raum im großen Ganzen – und welche Rolle spielen Möbel dabei? Möbel für einen zeitgenössischen Hieronymus In kleinen Serien gefertigte und in einer Galerie gezeigte Möbel bieten eine willkommene Gelegenheit, sowohl die eine oder andere Inspiration oder Obsession als auch das eine oder andere Herstellungsverfahren und Material jenseits realer Produktionsbedingen weiterzuspinnen und zu testen. Dabei scheint es, als habe Konstantin Grcic bei den fünf Objekten, die er vor kurzem in der Pariser Galerie Kreo präsentiert hat, besonders die Frage beschäftigt, wie sich Intimität und Konzentration in der Gestalt eines Möbelstücks verdichten lassen. Wie kann ein Raum im Raum geschaffen werden und was folgt daraus? Konkret greift Grcic dabei nicht nur auf fünf verschiedene Verfahren und Materialien – auf Holz, auf Aluminium, auf Minero®, ein Komposit aus Beton und Harz, auf Marmor und, beim 3D-Druck, auf ein Gemisch aus Sand und Kunstharz – zurück, er spielt auch diverse situative Möglichkeiten konzentrierten Bei-sich-seins durch, ohne das Verbundensein mit anderen und anderem darüber zu vergessen. Mal taugt ein Objekt für zwei, die miteinander kommunizieren, mal schirmt es den Nutzer von seiner Umgebung ab, mal hält es dessen Körper gespannt zwischen Stehen und Sitzen, mal offeriert es verschiedene Positionen, und mal zwingt es den Nutzer dazu, sich über den Ort, an dem er sich befindet, und über seine eigene Haltung, klar zu werden. Das etwas andere Home Office Konstantin Grcic hat immer schon seine eigene Namenspolitik betrieben und dabei ebenso subtil wie subkutan die eine oder andere historische Inspirationsquelle verraten. Überhaupt agiert er, immerhin einer der weltweit erfolgreichsten Designer, stets mit Blick und im Umkreis historischer Vorläufer und Vorbilder, die er freilich nicht stupide verehrt, sondern daraufhin befragt, ob sie Lösungen anbieten, die für die Gegenwart fruchtbar gemacht werden können. Indem Grcic nun – mit einem augenzwinkernden Seitenblick auf Hieronymus – verschiedene Varianten eines Raums im Raum durchspielt, entwickelt (oder rekonstruiert) er eine Grammatik der Konzentration und des Arbeitens und verdichtet sie in einem Objekt, das zugleich als Möbel und als Skulptur auftritt. So entsteht – ganz ähnlich wie auf Gemälden, die Hieronymus in seinem „Studiolo“ zeigen, keineswegs nur auf jenem Antonellos – nicht nur ein Raum im Raum, es werden auch verschiedene, ineinander fließende Haltungen zu sich selbst und gegenüber der Welt vorgeführt. Wie positioniere ich mich im Raum? Wie schaffe ich mir einen eigenen Raum im Raum? Welche Art der Verortung ist mir und meinem Tun angemessen? Welchen Raum- und welchen Selbstbezug geben Möbel vor, welchen zwingen sie uns auf? Welche soziale Interaktion geben sie vor, welche unterstützen und welche unterbinden sie? |