Concrete One
Genug ist ihm nie genug. Konstantin Grcic interessiert sich brennend dafür, was sein könnte. Sein Möglichkeitssinn ruht sich nie selbstzufrieden darauf aus, was bereits erreicht wurde. Deshalb lotet er – oft in freien Projekten und Editionen für Galerien – seit Jahren immer wieder mit dem ihm eigenen akribischen Enthusiasmus aus, was im Design noch möglich erscheint – und reizt dabei bis an den Grenzen des Machbaren aus, welche Gestaltungsmöglichkeiten eine bestimmte Ästhetik, neuartige Konstruktionen oder selten oder bislang nicht verwendete Materialien eröffnen können. Bescheiden wie er ist, weiß Grcic aber auch, dass jeder, der heute als Industriedesigner arbeitet und nach vorne blickt, historisch betrachtet auf den Schultern von Riesen steht. Jede Art von Weiterentwicklung empfängt Impulse aus der Geschichte, und Grcic ist selbstbewusst genug, sie offenzulegen, um über sie hinaus zu etwas ganz Eigenem kommen zu können.
Jüngstes Beispiel: Das "Magliana Project" für "Giustini/Stagetti Galleria O. Roma". Hier zeigt Grcic, was aus seiner Auseinandersetzung mit Pier Luigi Nervi (1891 bis 1979) und dessen Arbeiten im Bereich der Architektur und der Baukonstruktion hervorgegangen ist: Eine limitierte Edition vom Möbeln, bestehend aus modular aufgebauten Tischen mit integrierten Sitzen sowie eine Hängeleuchte. Das Besondere: Die Möbel bestehen, der Bezug zu Nervi legt es nahe, vollständig aus Beton, basierend auf innovativen Techniken, die in jüngsten Materialstudien entwickelt wurden. Grcic adaptiert, was im großen Maßstab beim Bau von Gebäuden eingesetzt wird, um Möbel von außergewöhnlichem Charakter daraus zu machen.
Zur Erinnerung: Pier Luigi Nervi war Architekt, Ingenieur, Erfinder, Unternehmer und ein Pionier des Betonbaus. Oft wird er als der Oscar Niemeyer Italiens bezeichnet. Nervi hat Brücken und Fabriken, Botschaften, Ausstellungshallen und Sportstätten gebaut. Unter anderem entwickelte er die Konstruktion des Pirelli-Hochhauses in Mailand (gemeinsam mit Gio Ponti) und die der Sportbauten für die Olympiade 1960 in Rom. Vor allem aber hat er, um seine Vorstellungen einer konstruktiven Ästhetik überhaupt realisieren zu können, eine Variante des Stahlbetons entwickelt, die er "Ferrozement" nannte und die sich durch einen hohen Zementanteil, eine schlanke, netzartige Armierung aus feinem Maschendraht und geringe Wandstärken von wenigen Zentimetern auszeichnet. Erst so wurde es möglich, dass Tragwerk, Pfeiler, Bögen, Rippen und Gitterwerke in seinen Bauten und Dachkonstruktionen nicht nur konstruktiv notwendig sind, sondern auch ästhetisch wirken: Indem sie die Linien der wirkenden Kräfte nachzeichnen, werden sie zugleich zum faszinierenden Ornament. Nervi entwickelte zudem eine Technik, Teile vorfabrizieren zu können, wobei er transportable und wiederverwendbare Gussformen einsetzte, was aufwendige Schalungsarbeiten, also Arbeit, Zeit und Geld sparte.
Konstantin Grcics "Magliana Projekt" wurde denn auch in einem Gebäude vorgestellt, das eng mit Nervis "Ferrozement" verknüpft ist: Dem letzten noch erhaltenen Fertigteil-Pavillon der Firma "Nervi & Bartoli", die, 1932 von Nervi gegründet, ihren Hauptsitz von den 1940er Jahren an im Stadtteil Magliana am südwestlichen Rand von Rom hatte.
Schnell wird klar: Nervi und Grcic verbindet nicht nur ein festes, elastisches und in geringer Wandstärke zu verarbeitendes Material, sondern auch die spröde Schönheit einfacher, klarer Strukturen und die Ehrlichkeit einer sichtbaren Konstruktion. Auf den Fotografien, die Grcics Tisch-Ensemble in Nervis Halle zeigen, ist zu erkennen: Konstruktiv und jenseits der gegebenen Maßstäblichkeit könnte es sich bei Grcics Kombination aus Tisch und Sitz auch um eine Brücke oder ein Dach handeln, bei dem Tragen, Stützen und Spannen plastisch ausgearbeitet und in Funktionen menschlichen Zusammenseins verwandelt worden sind.
Grcic erinnert mit seinem "Magliana Project" somit nicht einfach nur an Nervi, er erweist dessen filigranen Konstruktionen auf tiefgreifende Weise Reverenz, indem er die feingraue Masse faserverstärkten Betons konzeptionell, funktional, ästhetisch und sozial in etwas Wohnliches umformt, um daraus osmotische Objekte ganz eigenen Charakters zu entwickeln. Nervis expressive Ingenieurästhetik hat in ihnen ebenso ihren Platz wie Grcics eigene Fortschreibung und Transformation einer dezidiert zeitgenössischen industriellen Ästhetik. Dass Konstantin Grcic bei seiner Suche nach einem nicht nur ästhetisch aktuellen Konstruktivismus auch ganz andere Wege einzuschlagen vermag, zeigte auch sein Projekt "Head in the Sky", eines Außenmöbels oder einer Außenskulptur zum Arbeiten und Nachdenken, die Anfang des Jahres in der von Jeremy Myerson kuratierten Ausstellung "New Old" im Londoner Design Museum gezeigt wurde.
Konstantin Grcic "Magliana Project"
Padiglione di Pier Luigi Nervi
Via della Magliana 238
Rom
Giustini / Stagetti Galleria O. Roma
Via dell’Arancio 46/49
Rom
noch bis 28. Juli