Der Bau ist ein Gewinn für die Stadt
Die architektonische Qualität des Neubaus des Historischen Museums in Frankfurt am Main von Lederer Ragnarsdottir Oei (LRO) scheint die Architektenwelt in zwei Lager zu spalten. Der Bau polarisiert. Die Stimmen der Skeptiker sind nicht zu überhören. Aber die Mehrheit der Bevölkerung, doch nur wenige Kritiker befürworten den Entwurf und die Umsetzung der Architekten. Dabei hat Frankfurt durch den Bau viel gewonnen, architektonisch und städtebaulich.
Das neue Historische Museum ist eben nicht gestalterisch harmlos oder wurde schamhaft, seine Masse verbergend, unter die Erde gebracht, wie der Anbau des Städel. Sondern er gibt sich geradezu monumental. Die Architektur ist nicht "cool" und detaillos, sondern mit rotem Mainsandstein bedeckt und reich mit Ornamenten geschmückt. Auf die Weise vermittelt sie sowohl mit den 1950er Bauten, als auch mit den Altbauten und Sandsteinmauern der Umgebung. Aber dabei ist der Neubau von Lederer Ragnarsdottir Oei nicht neo-konservativ zurückhaltend, sondern materialverliebt, changierend zwischen postmodern und zeitgenössisch-retro. Er steht großmaßstäblich und selbstbewusst, an einem Ort, an dem niemand achtlos vorübergeht, zwischen dem Eisernen Steg und dem Römerberg.
Interessanterweise haben Lederer Ragnarsdottir Oei vor neun Jahren den Wettbewerb gerade wegen ihrer deutlichen städtebaulichen Setzung gewonnen. Quer zur eben beschriebenen vorbeiführenden Hauptfußgängerverbindung und quer zur beschworenen Sichtachse Dom-Rententurm auf der Ecke des Altbaus des Historischen Museums. Auf die Weise wurde die Ausrichtung des linearen Schirn-Ausstellungsbaus in unmittelbarer Nachbarschaft aufgenommen und verstärkt. Die Altstadt-Aktivisten, die die Rekonstruktion der gotischen Altstadt durchgesetzt hatten, schäumten darüber vor Wut, hatten sie doch in ihrem Erfolgseifer gehofft, eventuell auch noch die Schirn abreißen zu können – und nicht nur die in ihren Augen brutalistischen Betonmonster, das Technische Rathaus und das Historische Museum.
Jetzt haben LRO direkt hinter der Alten Nikolaikirche einen neuen städtischen Platz geschaffen, der zwischen den beiden Baukörpern des Museums aufspannt. Dieser neue Platz ist ein Angebot an die Öffentlichkeit und eröffnet vollkommen neue Perspektiven und Wegebeziehungen. Eine Freitreppe und eine lange, steinerne Sitzmauer an der Südseite des Neubaus, flankiert von historischen Sandsteinskulpturen aus der Sammlung des Museums, bieten Sitzplätze für Jedermann an – in Frankfurt eine Seltenheit. Sie sind eine Nachbildung der historischen Bänke an den Stadtpalästen der Renaissance in Florenz, den Panca da via, die von den Adligen als Geste an die Bürger gedacht waren. Die Ostseite des Platzes, vom Main kommend sichtbar, ist durchlässig, denn sie wird von einem großen Baum dominiert und bietet die Möglichkeit, über die Saalgasse in den Osten der Innenstadt zu gelangen.
In Zukunft also, wenn die Touristenmassen sich ähnlich wie über den Markusplatz in Venedig durch die neue Altstadt zwängen werden, wird dies bestimmt ein Lieblingsweg der Einheimischen werden. Auf der gegenüberliegenden Seite des Platzes präsentiert sich durch die Setzung der Architekten das einzige erhaltene "original-historische" Haus der Altstadt, das prächtige Fachwerkhaus Wertheym mit Abstand und in voller Breitseite. Auch dies ist eine überraschende wie schöne Platzbegrenzung. Ob das Innere und insbesondere die Ausstellungsarchitektur des neuen Museums den sensibel vernetzten städtebaulichen und kontextuellen Ansprüchen des Äußeren gerecht wird, werden wir dagegen erst Ende 2017 überprüfen können.