Zeigen, wer dazugehört und wer nicht
Eine Kolumne von Michael Erlhoff
Gelegentlich äußert sich die englische Sprache verblüffend deutlich. Ein gutes Beispiel dafür ist, dass das, was allgemein als „Marke“ bezeichnet wird, also der sehr klar geprägte Name eines Unternehmens oder gegebenenfalls eines Produkts, als „Brand“ benannt ist. Und das, was als Strategie dazu führt, als „Branding“. Was sich wiederum völlig unverhohlen historisch auf jene Tradition der Rancher beruft, das Vieh mit Brandeisen zu markieren und somit dem jeweiligen Eigentümer zuzuordnen. Doch nicht nur dies gehört zur Geschichte von Branding; zusätzlich zum Vieh wurden beizeiten ebenso die Sklaven in gleicher Weise gebrandmarkt. Wobei, man kennt das aus diversen Filmen, solche Brandzeichen mit viel Kunsthandwerk gestaltet und geschmiedet wurden, um die Herrschaft ansehnlich zu dokumentieren. Besitz demonstriert sich gern in solcher Härte.
Familiennamen
Nun lohnt durchaus, sich noch einmal zu vergegenwärtigen, wie sich solche Entwicklung von der Viehzucht zum heutigen Unternehmen vollzogen hat. Dabei ist schnell verständlich, dass schon sehr frühzeitig Unternehmen – und davor ebenso Handwerksbetriebe wie Finanz- und andere Dienstleister – sich meist mit dem Familiennamen auszeichneten und diesen kunstvoll formulieren und auf diversen Datenträgern drucken ließen. Eben der Unterscheidbarkeit zuliebe und dafür, stolz den Namen zu tragen. Daneben hatten sich schon früh im Militär Formen entwickelt, durch spezifisch gestaltete Uniformen sich sowohl gegen andere militärische Formationen abzusetzen, als auch innerhalb des eigenen Sortiments Hierarchien deutlich sichtbar zu machen. Zur Uniform kann man dann noch die Fahnen zählen, außerdem Regeln des Verhaltens, im preußischen Heer zusätzlich das „Gardemaß“, möglichst einheitliche Grüße nicht nur metaphorisch zu präsentieren, und die Schlachtgesänge, die später zu Hymnen ausuferten.
Selbst die Bibel spielt eine Rolle
Diese Mittel, einer Gruppe Sichtbarkeit zu verschaffen, verknüpften sich im weiteren Prozess der Industrialisierung und dabei des Aufbaus immer größerer Unternehmungen zu dem, was zuerst mit demonstrativen Logos begründet wurde: stolze Evidenz, die sich im Markt durchzusetzen hatte. Interessant genug übrigens, dass diese an und für sich doch recht simple Information des Firmennamens so pathetisch hinterrücks die Bibel zitiert, eben mit jenen „Im Anfang war das Wort“, wobei „Wort“ bekanntlich aus dem griechischen Wort „Logos“ (eigentlich für Begriff und somit Anfang und Ende der Logik) übersetzt worden war.
Peter Behrens und die AEG
Einer der ersten, der die mögliche und auch für die Unternehmen zusehends notwendige Tragweite solcher Aktivität begriff, war Anfang des 20. Jahrhunderts der deutsche Jugendstil-Künstler Peter Behrens. Der arbeitete als praktischer Gestalter für die AEG, die große deutsche „Allgemeine Elektrizitäts-Gesellschaft“, und verstand lange, bevor andere dies kapierten, ansatzweise die Komplexität und den Einfluss der Gestaltung für den Markterfolg. Mehrfach erneuerte er das Logo der AEG, gestaltete drumherum Werbeprospekte, Kataloge und sogar Produkte wie elektrische Wasserkocher und Ventilatoren, aber auch die Architektur des Unternehmens. So entstand das Konzept eines notwendigen Gesamt-Erscheinungsbildes, das tauglich sein sollte, den Markt zu dominieren.
Corporate Design
Einige Jahre später wurde dies erneut aufgegriffen von dem amerikanischen (aus Frankreich eingewanderten) Gestalter Raymond Loewy für etliche Unternehmen wie „Coca-Cola“, „Coop“, „Exxon“ und „Lucky Strike“. Womit dieser das allmählich durchsetzte, was dann als „Corporate Design“ zeitweilig für Furore sorgte. Nun arbeiteten alle daran, die sichtbare Präsenz der Unternehmen als Zusammenhang zu verstehen und darzustellen. Das war für so genannte Grafik-Designer (Designerinnen gab es zu jener Zeit in den Fünfziger und Sechziger Jahren kaum) ein wesentlicher Geschäftszweig. Anfänglich setzten sich dabei weitgehend sehr eindimensionale Formen durch, jeweils tatsächlich Uniformität für ein Unternehmen zu erreichen. IBM beispielsweise trat immer in einem spezifischen Blau auf, das vom Logo aus ebenso die Produkte, die Broschüren und die Werbung prägte – sah jemand dieses Blau, dann sollte diese oder dieser automatisch an IBM denken.
Corporate Identity
Lediglich ein italienisches Unternehmen, heftiger Konkurrent damals von IBM, nämlich Olivetti, opponierte dagegen und bot als Gegenkonzept ein offenes Corporate Design an: Es gab mehrere und allesamt gebrochene Farbtöne, die miteinander kombiniert werden sollten. Mit der Maßgabe, nicht über ein eindeutig einheitliches Design, sondern über die Qualität der Konstellationen wirksam zu werden. Etwa so: Alles blau, also IBM – alles harmonisch und irgendwie schön, also Olivetti. Immerhin war das komplexer gedacht. Irgendwie bedeutete dies zugleich den Anfang einer neuen Saga, wie man Unternehmen aufzustellen und darzustellen habe. Denn nunmehr, also etwa seit den Achtziger Jahren, spürten insbesondere die mittlerweile sehr groß angewachsenen und global agierenden Unternehmen, dass gar nicht mehr so sehr ihr Problem die Durchsetzung im Markt war (das meinten sie, jetzt mit Macht schaffen zu können), sondern dass die Binnenstruktur der Unternehmen, die interne Kommunikation, die Verbindlichkeit, das womöglich nötige Vertrauen, die Identifikation und die automatischen Abläufe kompliziert geworden waren und den Markterfolg gegebenenfalls hätte verunsichern können. So wurde die Forderung nach „Corporate Identity“ lautstark verkündet. Das Design sollte nunmehr helfen, diese internen Strukturen zu qualifizieren. Durch verbindliche Umgangsformen, klare und angenehme Innengestaltung, interne Zeichen für Zugehörigkeit und dann zusätzlich einheitliche, uniforme Präsenz nach außen.
Unternehmenskultur
Seltsam euphemistisch hieß das in der deutschen Sprache dann „Unternehmenskultur“, dabei verdeutlichte es doch nicht mehr als das, was schon aus dem Militär und anderen autoritären Gebilden bekannt war: Wenn die Strenge der Regeln und Gesetze unterfüttert werden muss, dann genau durch Maßnahmen, diese als selbstverständlich und als eigen zu akzeptieren und für sich selber zu propagieren. Man soll daran glauben und die eigene Identität damit verknüpfen. Zugleich sich als Gruppe deutlich abgrenzen gegen alle anderen, eben gegen die, die angeblich nicht dazu gehörten, – was sich vorzüglich als Kommunikation verstehen lässt, da diese stets Absonderung impliziert; wer die Zeichen nicht versteht, ist raus. Dies geschah im Verbund zwischen vor allem Agenturen für so genannte Unternehmens-Beratung, die in dieser Zeit beträchtlich wuchsen, Architektur, da diese die Monumente der Selbstwahrnehmung und der Wirkung nach außen sichern sollte, und dem Design, dem dadurch immerhin deutlich Einsichten in die veritable Komplexität und Einfluss dieses Metiers zugesprochen wurden und das dieser Herausforderung standhalten musste.
Dabei allerdings gestaltete sich ebenfalls dieser Prozess in den diversen Unternehmen recht unterschiedlich. Einige gingen etwa so weit, dass der interne Sprachgebrauch gleichfalls vereinheitlicht und auf Positiv geschaltet wurde – zeitweilig durften Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Frankfurter Messegesellschaft etwa nicht mehr davon sprechen, irgendetwas sei unten oder etwas anderes befände sich hinter diesem oder jenem. Stattdessen musste man sagen „im Basement“ und in dem anderen Fall „südlich“ oder notfalls „nördlich“. Ein anderes Unternehmen, nämlich der Lampenhersteller „ERCO“, einst in der Gestaltung dirigiert von dem ehemaligen Mit-Begründer der berühmten „Ulmer Hochschule für Gestaltung“, Otl Aicher, tritt bis heute so rigide in der Formation der CI hervor, dass sogar die Blumen auf den Schreibtischen spezifischen Gestaltungsprinzipien unterliegen und noch der Coca-Cola-Automat grau gespritzt ist, weil dessen ursprüngliches Rot nicht in das graue Gestaltungskonzept passt.
So, dies als Vorlauf zum Branding. Was letztlich und angesichts der genannten Entwicklung überhaupt nicht neu ist, lediglich der Gestaltung deutlich das Marketing hinzugefügt und ansonsten sich selbst eine neue Bezeichnung gegeben hat
Brandzeichen bleiben
Offenkundig jedoch eine brutale Bezeichnung. Nämlich eine, die keinen Ausweg zulässt. Ein Brandzeichen kann man nicht mehr tilgen. Das bleibt. Für ewig. Und damit muss man sich abfinden und letztlich identifizieren. Womit die – eigentlich schon die ganze Zeit über spürbare – Kehrseite dieser Designprozesse offenkundig geworden ist. Denn irgendwie degradiert das Branding die Menschen, die die Angebote der Unternehmen kaufen und nutzen sollen, ebenso wie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Unternehmen zu Viehzeug und zu Sklaven. Eben zu solchen, die das alles auch noch leidenschaftlich glauben und deshalb folgsam sein sollen. Was nunmehr im erneuten Rückblick auf die Geschichte dieser Entwicklung die ganze Unmenschlichkeit solcher Unternehmenspolitik erläutert. Denn man kann sich nicht wirklich des Eindrucks erwehren, dass diese Vorstellung der Unternehmen fasziniert ist von dem, wie alles dies im italienischen Faschismus und insbesondere im Nationalsozialismus perfekt konzipiert, gestaltet, umgesetzt und durchgezogen wurde.
Womöglich stimmt sogar die Wahrnehmung, dass der deutsche Nationalsozialismus das, was später sich in den Unternehmen als Corporate Design und auch Corporate Identity durchsetzte, gewissermaßen beispielhaft und auf jeden Fall sehr frühzeitig vorwegnahm (und womöglich sogar davon hintergründig die Unternehmen gelernt haben – immerhin wurde ja die noch heute einflussreich existierende „Gesellschaft für Konsumforschung/GfK“ in Deutschland nach 1933 gegründet, nämlich von dem späteren zuerst Wirtschaftsminister und dann Kanzler der Bundesrepublik Deutschland, Ludwig Erhard). Denn das Muster solcher CI wurde im Nationalsozialismus komplett eindeutig mit aller Härte und Konsequenz erprobt und praktiziert. Und zwar in jedem Detail.
Uniformen werden alltäglich
Selbstverständlich im Versuch, nach außen zu wirken, insbesondere jedoch in der klaren Absicht, alle internen Abläufe absolut genau kontrollieren und implantieren zu können. So wurden Uniformen mitsamt den darin sichtbaren Hierarchien und Zuordnungen alltäglich, existierten normierte Gesten, kollektive Aufmärsche (und auch Sportveranstaltungen), eine durchdringende sprachliche Regelung mit entsprechenden Ausrufen nebst vielfach tönenden Schlachtgesängen. Das reichte bis in das Mobiliar (etwa die berüchtigte Verhör-Lampe, doch auch anderes Interieur, das unter anderem mitsamt dem Rest ebenfalls in den damaligen Spielfilmen propagiert wurde) und selbstverständlich in Architektur und Gestaltung des öffentlichen Raums. Nichts sollte zufällig geschehen, andererseits aber das Angebot so präzise und damit überzeugend und funktional sein, dass sich die in diesem Land Wohnenden damit identifizierten und auf dieser Basis das Gefühl von Zugehörigkeit und von Sicherheit erringen konnten. Wirklich, in den Unternehmen weltweit brauchte es einige Zeit, dies in der gleichen Brutalität zu übernehmen.
Wobei nicht allein jene Merkmale und Verhaltensweisen die gesellschaftlichen Prozesse rigide geplant steuerten (und schier konsequent sich dann als Szenarien im Krieg durchsetzten), vielmehr kann so etwas lediglich gelingen, wenn zugleich Abgrenzungen und Ausgrenzungen drastisch gestaltet und eingesetzt werden. Denn erst diese Maßnahmen vereinfachen es, sich als etwas Besonderes zu fühlen, Ängste (vor Arbeitslosigkeit, Erfolglosigkeit, Inferiorität etc.) gezielt zu kompensieren, sich selbst aufzuwerten und als verlängerter Arm der staatlichen Macht deren Gegner aufzustöbern. So nämlich, zum Beispiel als „Blockwart“ oder auch bloß Denunziant, fühlt man sich selbst als wesentlicher Teil der Macht und somit als mächtig. Das jedoch benötigt Signale, diejenigen zu kennzeichnen, die nicht dazugehören dürfen und sollen. Signale, die als solche gewissermaßen empirisch von den Mächtigen erhoben und definiert beziehungsweise von entsprechenden Spezialisten gestaltet werden müssen.
Distinktionen
Entweder also die jeweils Herrschenden (oder heutzutage irgendwelche Kleinbürger und Rechthaber) entdecken und formulieren oder sie konstruieren ein bestimmtes Augenmerk auf mögliche Unterschiede und Eigenheiten im Aussehen, in Verhaltensweisen oder der Sprache von Menschen, die ausgesondert werden sollen. Dabei werden je nach gesellschaftlicher Situation und den Interessen jener, die nach Ausgrenzung suchen, Merkmale fixiert, die Segregation plausibel erscheinen zu lassen. Zum Beispiel aufgrund von Hautfarbe, von Größe, von Gesichtsform (berüchtigt schon seit dem 18. Jahrhundert durch den üblen Pietisten Lavater und dessen Behauptungen, Charaktere durch Physiognomie bestimmen zu können), von Verhaltensweisen, Gewohnheiten auch des Essens, evident religiöser Zugehörigkeit, Sprache und dergleichen mehr. Was im normalen Leben vermutlich keineswegs auffällig bis zu diesem Zeitpunkt war, gerät jetzt in das Zentrum von Distinktion. Und wird intensiv publiziert, also öffentlich verbreitet. Durch Karikatur, andere gestaltete Bilder und Parolen.
Reicht das nicht, dann kommt noch mehr Design ins Spiel (das ja auch schon zuvor heftig die vermeintlichen Unterscheidungen durch Gestaltung unterstützt hat). Jetzt nämlich braucht es Merkmale, die man den Menschen, die ausgegrenzt werden sollen, anheften kann. Am deutlichsten für solche durchaus banale, gleichwohl eindringliche Gestaltung reicht der Hinweis auf den gelben und zackigen „Judenstern“, eben alle die Menschen eindeutig zu markieren, die absolut nicht zur „Volksgemeinschaft“ gehören durften. Ein klares, sehr einfaches und überaus deutliches und leicht wiedererkennbares Zeichen, das lediglich auf einer sehr simplen und dennoch durchdringenden Gestaltung basiert. Irgendwer hat dies gestaltet. Als Brandzeichen für diejenigen, die zu verfolgen waren.
Vorsicht bei der Zuweisung von Merkmalen
Nun sollte der Verweis auf die Geschichte keineswegs die Gegenwart beschwichtigen. Im Gegenteil: Gerade das Design, aber zweifellos alle Menschen, sollten äußerst vorsichtig mit der Zuweisung von Merkmalen umgehen. Denn diese sind immer pure Projektion und Konstruktion. Selbst noch die mögliche Überraschung, dass ein Mann im gepflegten Anzug plötzlich betteln sollte, artikuliert bloß die allgemein propagierte Vorstellung, Bettler hätten schäbig auszusehen. Noch der gesellschaftlich durchaus virulente Vorbehalt gegenüber einer Ärztin oder einem Arzt zumindest vermeintlich anderer Hautfarbe ist jämmerlich (und schadet der eigenen Gesundheit). Leute, die die deutsche Sprache flüssig beherrschen, sind keineswegs klüger als diejenigen, die gelegentlich stottern oder sich nicht so flüssig ausdrücken.
Doch immer noch partizipiert das Design in der Darstellung von Zugehörigkeit und Ausgrenzung. Nicht allein im Branding für Unternehmen, sondern ebenso im gesellschaftlichen Branding. Bloß ein kleines und unwesentliches Exempel: Auf Bahnsteigen deutscher Bahnhöfe existieren jene auf dem Boden in gelber Farbe aufgemalten Rechtecke, die Raucherinnen und Raucher sehr klar vom Rest der Gesellschaft abzugrenzen. Eine deutlich gestaltete Distinktion, in der man sich kaum wohlfühlen kann und soll. Auch hier wird Design tätig und genutzt, vermeintliche Identitäten zu konzipieren und Denunziation zu formulieren.
Michael Erlhoff
Er ist Autor, Design-Theoretiker, Unternehmensberater, Kurator und Organisator; einst CEO des Rat für Formgebung, Mitglied des Beirats der documenta 8 und Gründungsdekan (und dann bis 2013 Professor) der Köln International School of Design/KISD. Erlhoff war Gründer der Raymond Loewy Foundation, ist Gründungsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Designtheorie und -forschung und leitete als Gastdozent Projekte und Workshops an Universitäten in Tokio, Nagoya, Fukuoka, Hangzhou, Shanghai, Taipei, Hongkong, New York und Sydney. Seit 2016 lehrt er als Honorarprofessor an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig.