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Paradiesische Versprecher

Zur verflixten Ambivalenz von Service-Design
06.12.2016

Eine Kolumne von Michael Erlhoff 

Immer wieder geschieht, dass heftig optimistische Reflexionen und Perspektiven sich dann doch wieder als bloße Widersprüche entpuppen. So auch der einstige Enthusiasmus bei der Entdeckung von Service-Design, also der Gestaltung von Dienstleistungen.

Denn damals, als vor mehr als fünfundzwanzig Jahren die ersten intensiven Projekte zu Service-Design entwickelt wurden, galt das schier als Revolution innerhalb des tradierten Design ebenso wie im ökonomischen Diskurs. Allerdings als eine Innovation, die wohlbegründet war; denn zumal ökologische Aspekte führten dazu, den Unternehmen endlich einmal zu erklären, dass diese selbst dann, wenn sie Objekte herstellten – etwa Autos, Waschmaschinen, Stühle und Tische, Kleidung oder Telefone –, de facto Dienstleistungen verkauften. Nämlich die Möglichkeit, sich eigenständig zu bewegen, zu waschen, zu sitzen und zu arbeiten, zu kommunizieren oder zu telefonieren. Was bedeutet, diese Objekte als wesentliche Teile oder Figuren innerhalb von Prozessen, hier von Dienstleistungen, zu verstehen, also den mit dem alten Objekt-Geschäft gehandelten Verkauf der Dinge in wirkliche Service-Strukturen zu transformieren. Was bekanntlich unter dem Titel „Nutzen statt Besitzen“ schon vor langer Zeit einleuchtend als äußerst wichtig für die Schonung der Umwelt argumentiert wurde.

Denn jene Transformation der Waren in die entsprechende Dienstleistung brächte eine vehemente Reduktion von Material, von Energie und selbstverständlich von Müll. Da so viel weniger Gegenstände produziert werden müssten und zugleich eine gemeinsame Nutzung der Dinge sehr viel günstiger ist (und Design dazu zusätzlich es herausforderte, die Gegenstände dementsprechend neu zu konstruieren). Nur stieß solche Gedankenwelt anfänglich keineswegs auf die Zuneigung der Unternehmen, zumindest nicht derer, die sich immer noch engstirnig als Objekt-Verkäufer und gewiss nicht als Dienstleister wahrnehmen wollten.

Ebenso wenig Gegenliebe fanden diese Reflexionen im Design, das sich noch vor einem Jahrzehnt (und an den meisten entsprechenden Hochschulen bis heute) merkwürdig handwerklich auf Industrie- oder Produkt-Design einerseits und auf Grafik- oder (nur vermeintlich ganz modern) Kommunikations-Design beschränken mochten. Das war in diesen Köpfen und Händen eindeutig geregelt, verlangte entsprechende Spezialisierung und begnügte sich in solcher Einfalt. Noch vor zweieinhalb Jahrzehnten, als in dem neu-gegründeten Kölner Fachbereich Design eine Professur für Service-Design eingerichtet wurde, wüteten die Verbände der Designer über solchen Unsinn und nannten das dümmlich oder gehässig „Servi“ – also ausgesprochen wie die Bezeichnung für Geschirr – „Design“.

Nun hat sich Service-Design mittlerweile an solchen Dummheiten vorbei international intensiv etabliert, haben sich insbesondere große internationale Unternehmen dafür begeistert, und gewinnt dies im Design ständig an inhaltlichem ebenso wie an wirtschaftlichem Gewicht. Das steht längst außer Zweifel und versinkt in ökonomischer Ekstase.

Anlass und Grund genug, jetzt voller Selbstbewusstsein diese Vorgänge, also sowohl Dienstleistung als auch die Dienstleistungs-Gestaltung in der ganzen Komplexität, die sich dabei entfaltet hat, aus neuen Einsichten heraus zu kritisieren. Inmitten der Euphorie durchaus radikal auf die trostlosen und furchtbaren Seiten dieses Vorgangs hinzuweisen.

Immerhin fand schon vor etwa zwei Jahrzehnten an jenem Kölner Fachbereich Design (heute die „KISD“) ein Seminar unter dem Titel „Mords-Design“ statt, in dem alle Bereiche des Design unter diesen womöglich negativen Komponenten untersucht wurden – so auch Service-Design beispielsweise unter der Maßgabe von Auftrags-Mord, also der explizit professionellen Weise solcher Tötungs-Delikte. Wobei übrigens die an diesem Thema beteiligten Studierenden zu ihrem eigenen Entsetzen binnen weniger Tage herausfanden, wie und wo in Köln man Auftragnehmer solcher geschäftlicher Vorhaben finden und als Geschäftspartner engagieren konnte und wie teuer (nämlich recht preiswert) das war.

Zugegeben, dies mag etwas obskur wirken – und tatsächlich erklärten einige am Design-Studium Interessierte, die sich am sogenannten „Tag der offenen Tür“ ausgerechnet in dieses Seminar verlaufen hatten, erschrocken, sofort ihr Interesse zu wechseln. Doch diese Ambivalenz von Dienstleistung und deren Gestaltung ist zutiefst realistisch. Meint doch Dienstleistung nicht etwas von vornherein Gutes. Zumindest könnte man dies keineswegs behaupten angesichts des so komplex entwickelten Dienstleistungs-Sektors, der die Menschen unaufhörlich beschäftigt und die Gesellschaft substantiell als Dienstleistungs-Schwemme umstrukturiert hat. Denken wir an etliche Bereiche innerhalb der Medizin mit all den grausamen Angeboten, das eigene Aussehen zu beschönigen, Kinder zu produzieren oder schneller zu laufen. Oder an jene, das menschliche Glück ignorierenden mystischen und in jener Ignoranz so erfolgreichen Kurse, Sekten und Zirkel, mit denen wahrlich viel Geld verdient wird. Oder der Streit im Taxi-Gewerbe, dazu trügerische Versicherungen und sich bloß noch selbst genügende Banken, nebst einer heftigen Spaß-Industrie, da mit Events viel Geld zu machen ist.

Überall treffen wir nun auf Dienstleistungen, und das gesamte Internet mitsamt den trügerisch sogenannten „sozialen Medien“, also das nahezu unendliche Spielfeld von Dienstleistungsangeboten, in das wir alle permanent hineingezogen werden, das längst seine eigenen Regeln von Ausbeutung entwickelt hat und mit jeder App neue Geldquellen für Start-Ups eröffnet, die, wenn sie denn wirklich Geld verdienen, sogleich von großen Unternehmen eingekauft werden.

Wobei allmählich – und das ist eben problematisch – die Objekte oder wenigstens das Bewusstsein von den Gegenständen, verloren gegangen ist. So wird überall zwar für die prompte Lieferung von Essen, Kleidung und anderem Zeug geworben. Von der Qualität der Dinge oder der Mahlzeiten ist dabei aber kaum noch die Rede. Die ist ins Sekundäre, in die Beliebigkeit abgerutscht. Nicht ohne jämmerliche Konsequenzen, etwa einem Verlust an lebendigem Wissen und von Qualität. Traurig genug.

Es geht aber noch schlimmer. Die Schriftstellerin Juli Zeh hat, ich kann dies hier nur apostrophieren, kürzlich völlig berechtigt formuliert, alle autoritären Regime böten sich als Dienstleister an. Was auch in dieser Radikalität einfach stimmt. Beobachten wir unter diesem Aspekt (zugegeben, der Text verschärft sich jetzt) beispielsweise den so eklatant terroristischen „IS“, der bekanntlich mit allen Mitteln zumal in Nordafrika und in den arabischen Ländern einen (angeblich) „Islamischen Staat“ durchsetzen will. Der wirbt mit puren Serviceangeboten wie: Männer können viele Frauen haben, man darf als Selbstmord-Attentäter auftreten und wird dafür geschult, man entgeht der Hölle durch Bomben-Werfen, man ist wer und findet sich in einem gleichgesonnenen Kollektiv, und man darf sich wichtig fühlen und lernt, wie man das macht. „Gefällt mir“ wird dann geklickt.

Alle solche Gruppen und ebenfalls autoritäre Regierungen und Parteien bieten solche Dienstleistungen an und versprechen das Paradies, wenn man nur brav folgt und gemäß den Leitlinien handelt. Wer sich weigert, landet in der Hölle.

Übrigens ein System, das durchaus schon von früheren autoritären Regimen umjubelt wurde, schafft es doch im Dienstleistungsangebot zumindest vorübergehend oder virtuell auch noch Arbeitsplätze. Der Bau der Autobahnen in Deutschland, befohlen von den Nationalsozialisten, die Beseitigung der Sümpfe in Sardinien und die Straßenpflege durch die „A.N.A.S.“-Häuschen im faschistischen Italien. Dazu schon in jener Zeit die für solche Regierungen und Gruppierungen als Bild von Dienstleistung typischen Orgien von strukturierten Volksaufmärschen, Olympischen Spielen und anderen großen Ereignissen. Das ornamentalisiert die Menschen und die Gesellschaft, schafft kontrollierbaren Überblick, begleitet vom Enthusiasmus, der gewissermaßen Freude der daran Beteiligten. Im Chor wird gejubelt wie bei Facebook, man muss lediglich noch bestätigen, es gefalle einem – und wer wird sich da schon zur Wehr setzen.

Die Dienstleistungen, die mittlerweile so wesentlich das gesellschaftliche Leben, die Wirtschaft und auch das Design strukturieren, haben sich allerorts durchgesetzt und bilden längst die Profitmaschinen auch für die Unternehmen. Nicht allein von Apple, Google, IBM, von der chinesischen Alibaba oder von der Telekom und dergleichen: Vielmehr haben inzwischen ebenso viele der avancierten Produkt-Hersteller dies verstanden und ahmen es munter nach.

Wesentlichen Anteil daran hat zweifellos das Design, und es ist eklatant, wie sehr inzwischen die großen Consulting-Agenturen genau Service-Design eingekauft und aufgebaut haben. Immerhin ist beispielsweise der größte Arbeitgeber in Großbritannien für Design die Barclay Bank. Was nicht unbedingt bedeutet, dass solche Arbeitgeber überhaupt die Kategorie von Service-Design verstanden haben, gleichwohl setzen sie dies – allerdings in der von ihnen gewählten einseitigen oder zumindest reduzierten Weise – handfest um. Es geht dabei vor allem um IoT, also die Vernetzung der Dinge und deren Durchsetzung beim allgemeinen Publikum, um den Versuch einer permanenten Gewissheit des Verhaltens von Gebraucherinnen und Gebrauchern im Umgang mit den neuen digitalen Angeboten, auch um die verordnete Spielerei, wie um die unausweichliche Daten-Erhebung, eben um die permanente Kontrolle über das, was die Menschen meinen und wünschen und träumen. Nichts darf dem Zufall überlassen bleiben. Denn sowohl autoritäre Regime als auch viele Unternehmen legitimieren sich vor sich selber lediglich dann, wenn sie über diese Kontrolle verfügen und so sich selber gewiss sein und überzeugend verkaufen zu können.

Da hilft Design. Nämlich erstaunlicherweise (im Vergleich zur Tradition und wohl auch noch zum allgemeinen gesellschaftlichen Verständnis von Design) als Forschung und als Beratung. Wesentlich beispielsweise ist derzeit vom Design die Fähigkeit für „UX“ gefragt, für „User Experience“. Design erforscht das Verhalten der Nutzerinnen und Nutzer, soll beschreiben, was diese anwenden und wie sie das tun. Um eben daraus neue Anwendungsformen und somit auch neue Verkaufs-Argumente zu finden. Unbeschadet der Tatsache, dass solche „UX“ meist ziemlich banal und bloß quantitativ durchgeführt wird: Aus allgemeinen Umfragen oder sogenannten repräsentativen Studien wissen wir, dass auf einem bestimmten Abstraktions-Niveau diese durchaus funktionieren. Und der Markt selber bedeutet nicht mehr als eben dieses Abstraktions-Niveau. Mithin stimmt in sich selber das alles problemlos.

Zum Glück jedoch nur in der Abstraktion. Denn die Brutalität der autoritären Regime und des ebenso de facto autoritären Marktes zerstört noch immer nicht alles, was zum Leben gehört. Wir reden völlig berechtigt von Widersprüchen. Denn es bleibt, dass auf der klugen Seite Dienstleistung und somit ebenfalls Service-Design die Umwelt schonen und zumindest partiell das menschliche Leben qualifizieren. Und dazu gehört zum Beispiel auch, dass Hacker vorzügliche Dienstleister sind (übrigens durchaus im Sinn von qualifiziertem Service-Design). Wir wissen zudem, dass Menschen hinterrücks allemal Handlungsweisen und Denkformen entfalten, um autoritäre Strukturen (sogar durchaus unbewusst) subversiv zu unterlaufen. Zum Glück nämlich gewinnen zwar immer wieder solche autoritären Regime oder okkupativen Unternehmen die Massen, verlieren aber mittelfristig oder langfristig. Nur braucht es die Aufmerksamkeit und die permanente Kritik. Jetzt und jederzeit auch im Design.

Michael Erlhoff

Er ist Autor, Design-Theoretiker, Unternehmensberater, Kurator und Organisator; einst CEO des Rat für Formgebung, Mitglied des Beirats der documenta 8 und Gründungsdekan (und dann bis 2013 Professor) der Köln International School of Design/KISD. Erlhoff war Gründer der Raymond Loewy Foundation, ist Gründungsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Designtheorie und -forschung und leitete als Gastdozent Projekte und Workshops an Universitäten in Tokio, Nagoya, Fukuoka, Hangzhou, Shanghai, Taipei, Hongkong, New York und Sydney. Seit 2016 lehrt er als Honorarprofessor an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig.