05.09.2016
Insbesondere aus Fernsehserien sind sie bekannt, denn dort treten sie vor allem auf, wenn es um Serientäter oder auch (doch überraschend selten) -täterinnen geht. Jene (bitte englisch aussprechen oder denken) „Profiler“.
Das sind diese Typen, die mit meist etwas kümmerlichen psychologischen Kenntnissen und auf der Basis statistischer Daten Profile der Täterinnen und Täter entwerfen, damit diese schneller von den anderen Polizeikräften erwischt werden können. Gelegentlich werden sie jedoch auch herangezogen, um furchtbare Taten zu verhindern. Derzeit etwa sind solche Profiler heftig nachgefragt angesichts eines chaotischen Terrorismus. Eben zur Prävention.
Nur scheitern sie vielfach angesichts der wirklich chaotischen Situation.
Die Existenz dieses Berufs, Profile im Rahmen von Verbrechen zu entwerfen, basiert sowieso schon auf einer merkwürdigen Geschichte dieser Profession. Das Wort entwickelte sich (wie so oft in unserer Kultur) aus der lateinischen Sprache, in der „filus“ das Garn und den Faden erfasste, worauf dann in der italienischen Sprache „profilare“ entstand, nämlich die Aktion, etwas zu umsäumen und zu umreißen. Wobei anfänglich insbesondere Festungen und Festungs-Anlagen in dieser Form erfasst werden sollten, also unter militärischen Aspekten. Erst Ende des 16. und im 17. Jahrhunderts wurde diese Form, etwas dingfest zu machen, transformiert in die Darstellung des menschlichen Kopfes.
Man kennt dies womöglich noch aus touristischen Gegenden, wo gelegentlich angeboten wird, gegen eine gewisse Summe Geld den Umriss ihres oder seines Kopfes zu zeichnen; was vor längerer Zeit ebenfalls noch statt mit Stift oder Pinsel mit einem Faden geschah, der auf Papier oder Textil gestickt oder in anderer Art befestigt wurde. Was ja bloß ein vergnüglicher Spaß für die Erinnerung der Porträtierten ist, verweist jedoch leider auf eine bösartige Legitimation solcher Taten. Denn das Profil als gezeichneter Umriss des menschlichen Kopfes berief sich auf oder entwickelte selber eine quasi wissenschaftliche Begründung: die Physiognomik.
Diese meinte, aus der Form des Kopfes und insbesondere des Gesichts wesentliche Charakteristika für die jeweils psychische Formation der so festgehaltenen Menschen aussagen zu können. Man suchte einfach nach Kennzeichen oder behauptete diese, um die Menschen zu entlarven. Was dann noch Mitte des 18. Jahrhunderts von einem angeblichen Philosophen namens Lavater noch einmal radikalisiert wurde, da er das nun in philologischen Rastern („Rasterfahndung“) sortierte und behauptete, damit eindeutige Aussagen über die jeweiligen Leute treffen zu können. Er erfand den „Pyknikler“ und die anderen Sorten.
– Bevor sich voreilig nun gebildeter Triumph der Ablehnung einstellt, möge man bedenken, wie sehr noch heutzutage solche Physiognomik zu Vorurteilen verleitet. Noch immer wird die „hohe Stirn“ als intelligent und die „niedrige“ als dumm eingeschätzt, gelten anliegende Ohrläppchen als hinterlistig, große Augen als offenherzig und zuverlässig und so weiter. Tatsächlich beurteilt man so immer noch, wenn auch gewiss unbewusst. Der stets sehr einsichtige, inzwischen leider verstorbene, Designer Jörg Zintzmeyer äußerte beizeiten sehr überzeugend: „You never get a second chance for a first impression“.
Nichts anderes tun jene Profiler noch heute, allerdings ausgestattet mit sehr viel mehr Daten. Denn sie mühen sich, Figuren für denkbare böse Taten zu konstruieren und mögliche Szenarien solcher Taten aufzubauen. Also beobachtet diese Profession Aussehen, Kleidung, Sprache, Wortbildungen, Freundschaften, Korrespondenzen oder auch, was solch ein Mensch liest und gelesen hat, was er isst, wie die Eltern und das kindliche Umfeld waren und dergleichen mehr. Aus allen diesen Daten (die Digitalisierung hilft mal wieder sehr) werden irgendwie denkbare Schubfächer gebildet, in die man dann die möglichen Täterinnen und Täter hineinstecken kann, um daraufhin nach solchen Figuren zu suchen. Insofern sind die Profiler wahrhaft Philologen, eben Leute, die an eine Ableitungslogik und an „knowledge“ glauben (nicht unversehens muss man „ledge“ als das „Regal“ übersetzen, in dem das, was man zu wissen glaubt, abgelegt und sortiert wird).
Die Schlüsselfigur für dieses (tatsächlich sehr mit der angelsächsischen Vorstellung von Philosophie verbundenen) Verfahrens ist das Konstrukt einer „Persona“. Ursprünglich bezog sich diese Kategorie darauf, wie jemand klingt, doch nun soll sie die Vielfalt der Menschen und deren Formen des Verhaltens schubladengerecht ordnen, auf dass man gezielt verfolgen könnte. Klar, man kennt die Person ebenfalls umgangssprachlich und redet von der eher dann, wenn man einen Menschen irgendwie neutralisieren möchte. Person bezeichnet im Alltag die Beliebigkeit.
Ganz anders im Polizeiwesen und – nun kommt die Nähe – merkwürdigerweise in Marketing und Design.
Denn in diesen drei Fachbereichen hüpfen ständig und auch noch in falscher Pluralbildung „Personas“ herum. Etwa so: „Lisa, 23 Jahre alt, Deutsch, korpulent, tanzt gern und kauft vor allem Schuhe“ oder „Kurt, 50 Jahre alt, Österreicher, treibt Sport und hat deshalb eine Behinderung“; oder „Eva, 44 Jahre alt, Italienerin, kocht und isst sehr gern, liest noch Bücher und kleidet sich gut“ – und so weiter. Selbstverständlich werden noch weitere Kriterien hinzugefügt, versuchen sich solche Profile in psychologischen Schlagworten und bebildern die Profil-Profis das dann auch noch.
Zugegeben, in Vorträgen und Publikationen wirkt all dies schlicht albern. Zumal dann meistens noch Prozesse animiert werden, in denen solche „Personas“ auftreten, handeln und gegebenenfalls sich mit anderen verbünden.
So lächerlich ist dies, weil völlig hilflos Schubfächer gebildet werden, irgendwelche Allgemeinplätze, die bloß vermeintlich erforscht wurden, aufzureißen, daraus Täter-Profile zu umreißen. Und in diesen Schubfächern beginnt dann die heiße Jagd nach den möglicherweise Schuldigen. Das alles genießt sich in der Abstraktion und in der davon angebotenen Beruhigung, eigentlich alles schon zu wissen und die Verfolgung losschlagen zu lassen. – Nur schnell nebenbei: Dies alles hat zweifellos auch eine Menge mit Rassismus zu tun und verweist hinterrücks auf beispielsweise jenen Wahnsinn in den Vereinigten Staaten USA, dass von der Polizei mehr Leute mit ethnisch vordergründig eigenwilligem Aussehen erschossen werden.
Zugegeben, dies alles ist nicht so neu. Aber angesichts einer offenkundig zunehmend sich chaotisierenden Gesellschaft, in der traditionelle Vorstellungen von „Zielgruppen“ sich verwirrt haben und weder den Verkauf noch die Kriminalität einfach kontrollierbar erscheinen lassen, werden jetzt ganz verzweifelt vermeintlich neue Wege eingeschlagen. Und so und schaffen es die kriminalistischen Profiler ins Marketing und ins Design.
Zumindest verheißt dies „die „Design Research & Design Strategy Conference“ (so ein Text dazu, der etwas überrascht, wenn man ebenfalls das einzige wohl deutsch gemeinte Wort englisch ausspricht), die am 22. September 2016 in Hamburg in den Räumen von „iF“ stattfinden wird („iF“ ist jene GmbH, die Design-Preise anbietet und an und für sich mit der Hannover Messe verknüpft ist). Initiiert und unterstützt von einigen Agenturen wie „INDEED Innovation“ und „mc markt-consult“.
Der Knaller dieser Konferenz nämlich, und dieser wird in einigen Ankündigungen weit nach vorne gerückt, ist ein echter „Profiler“ vom – alle kennen das aus dem Kino – „FBI“. Wirklich, keine Fernsehserie, sondern live in Hamburg. Mark Safarik, Criminal Profiler FBI. Der hält die zentrale Rede nach der Kaffeepause zu dem Thema „Mit Criminal Profiling zur Innovationsentwicklung“ und leitet zusätzlich den Workshop „Profiling & Persona Development“.
Gewiss, wenn Marketing und Design nicht mehr weiter wissen, dann holen sie die Polizei. Nicht irgendeine, sondern die berüchtigtste aus dem Land der Ordnungsliebe und des großen Waffenkonsums. Großes Kino.
So verfolgt man also in jenem Kontext die Menschen, sucht sie kategorial sie immer wieder doch noch einzuordnen, um sie dann ergreifen, fassen und in die Zellen zu stopfen, in denen diese dann kaufen und denken sollen. Bei Wasser und Brot wird jedes noch so banale Konsumgut zum Luxus.
Doch immerhin haben diejenigen, die das veranstalten und unterstützen, eine Kleinigkeit verstanden: Die Menschen werden selbst, wenn sie doch bloß einkaufen und verzehren sollen, plötzlich zu Tätern. Also nicht mehr bloße Zielgruppen, die man einfach abschießen kann und soll, vielmehr aktive Figuren. Was theoretisch sehr einsichtig ist, nämlich endlich versteht, dass der Kaufakt ebenso wie der Gebrauch Tätigkeiten veranschaulichen, nicht passiv, sondern aktiv unternommen werden.
Aber diese dann gleich als Täterinnen und Täter zu verfolgen, möglichst die Fahndung nach diesen zu veranlassen, um sie dann doch wieder nur einbuchten zu können, ist einfach blöd.
Und nützt den Unternehmen überhaupt nicht, höchstens den entsprechenden Agenturen, die so etwas profitabel zu verkaufen versuchen, und dem FBI. Veranschaulichen doch die derzeit fürchterliche Hilflosigkeit auch der US-amerikanischen Polizei und die Misserfolge jener Unternehmen, die alles im Vorfeld zu berechnen wähnen, die bloß jämmerliche Dimension von Profiling. Angesichts der aus vielfältigen Gründen ständig sich chaotisierenden gesellschaftlichen Wirklichkeit, in der Menschen womöglich morgens ein ganz anderes Profil aufweisen als mittags, abends und nachts – und sowieso in Betrachtung der äußerst reduzierten Kompetenz solcher Profilbildungen –, erweist sich all dies als Unsinn und bräuchte es vielmehr ein Verständnis des Umgangs mit chaotischen Strukturen und intensiver Unschärfe. Die lediglich noch religiöse Wahnvorstellung, es gäbe sichere Leitlinien und – ganz wörtlich sich von irgendeinem Ende her ergebende – Definitionen, ist längst obsolet und versteht nichts. Vielmehr müssen alle, auch Unternehmen und sowieso Designerinnen und Designer oder selbst Politik und Kriminalistik, lernen, mit Unsicherheiten, Fehlern und Überraschungen produktiv umzugehen und diese, wenn das folgende Wort überhaupt noch Sinn macht, als Quelle von Innovationen zu begreifen.
Schnell noch eine abschließende Anmerkung, um Missverständnissen vorzubeugen: Selbstverständlich ist es sehr erfreulich, wie weitgehend klug sich Design-Forschung entwickelt hat und dass endlich sogar die Unternehmen (noch nicht die doch sehr eindimensional denkende Deutsche Forschungsgemeinschaft/DFG) die enorme Kraft und Kompetenz von Design-Forschung wahrgenommen haben. Einfach so zur Erinnerung: Noch als vor etwas mehr als zehn Jahren die „Deutsche Gesellschaft für Design-Theorie und -Forschung/DGTF“ gegründet wurde, bewirkte dieses sehr viel Unverständnis sowohl in der Wirtschaft als auch in der Design-Szene selber.
Nun setzt sich international die Design-Forschung durch, doch wie so häufig im Prozess von Anerkennung und allgemeiner gesellschaftlicher Verbreitung: Sie wird schnell zum bloßen Instrument umgebaut, simplifiziert für die schnelle Praxis zugerichtet.
Dies ist bedauerlich für beide Seiten. Für die Wirtschaft und für die Gesellschaft, weil lediglich die offene und seriöse Design-Forschung wirklich neue und realistische Einsichten und Perspektiven bieten kann und dies sogar oder insbesondere dann anbietet, wenn das nicht vordergründig so aufscheint; tragisch ist diese simple Adoption als bloße Hilfswissenschaft ebenfalls für die Design-Forschung selber, da sie auf diesem Weg der blassen Vereinnahmung zwangsläufig an Kompetenz und an Eigensinn verliert.
Dabei würden und werden (, einige in der Design-Forschung haben berechtigtes Selbstbewusstsein und entsprechende Weitsicht noch nicht verloren), durch diese Forschung nicht nur dem Design, sondern ebenso dem gesellschaftlichen Bewusstsein und auch der Wirtschaft so wesentliche Einsichten vermittelt – zum Beispiel mit Widersprüchen zu leben und zu handeln. Denn das Ergebnis seriöser Forschung sind sehr häufig Widersprüche und das Verständnis, mit Widersprüchen sinnvoll und produktiv umzugehen. Gefragt sind doch wirklich nicht länger die einfachen Lösungen – und nichts anderes als dies bieten solche albernen Profiler, wenn auch mit brutalen Konsequenzen –, sondern die Einsicht in Probleme und die daraus zu entwickelnden völlig neuen Gedanken für eine lebendige Gegenwart und Zukunft.
Wobei, dies bloß als Erinnerung, Design-Forschung ihre besondere Qualität eben daraus gewinnt, stets interdisziplinär und sehr freimütig vorzugehen, damit ebenso die Gebrauchsforschung zu beflügeln wie die zu neuen Materialien, Medien und zu neuen Verbindungen, zu veränderter gesellschaftlicher Korrespondenz und die Analyse gesellschaftlicher und somit auch wirtschaftlicher Prozesse und sozialer Bindungen oder auch differenter Geschlechter und deren Ansprüche. Was stets wirklich qualitative, offene und ganz handfeste Forschung impliziert.
Profiler haben da überhaupt nichts zu suchen, denn außer in Fernsehserien sind sie bloß Versager. Auch wenn „Time Online“ schon am 26. März 2014 das FBI zitierte und empfahl, man solle von dessen Umgang mit Geiseln lernen, wie man Erfolg hat. So also sieht man sich in Büros auch und verhaftet dann die Käuferinnen und Käufer. Zumindest in Hollywood.
Michael Erlhoff
Er ist Autor, Design-Theoretiker, Unternehmensberater, Kurator und Organisator; einst CEO des Rat für Formgebung, Mitglied des Beirats der documenta 8 und Gründungsdekan (und dann bis 2013 Professor) der Köln International School of Design/KISD. Erlhoff war Gründer der Raymond Loewy Foundation, ist Gründungsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Designtheorie und -forschung und leitete als Gastdozent Projekte und Workshops an Universitäten in Tokio, Nagoya, Fukuoka, Hangzhou, Shanghai, Taipei, Hongkong, New York und Sydney. Seit diesem Jahr lehrt er als Honorarprofessor an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig.