Foto © Roman März, Haus am Waldsee
In Zehlendorf, da schwebt die Architektur. Schwerelos gleiten Pavillon, Hochhaus, Schirmdach, Mensa durch den Gartensaal des Hauses am Waldsee wie Satelliten durch die unendlichen Weiten des Weltalls. Helle Gitterstrukturen rotieren in der Dunkelheit um sich selbst, überlagern sich und füllen dabei den ganzen Raum aus. Alles nur Projektion – und doch bildet diese Installation aus Licht und Sound einen Dreh- und Angelpunkt der Ausstellung „Strukturalien. Architektur als urbane Plastik“. Die Schau stellt nicht nur Arbeiten von Jürgen Mayer H. vor, sie zeigt, was die Welt des Berliner Architekten im Innersten zusammenhält.
Ein weiterer Dreh- und Angelpunkt findet sich im ersten Obergeschoss des Ausstellunghauses am Ende einer kleinen Enfilade. Hier hat der Kurator Ludwig Engel die Studienarbeit „Arche Noah“ ausgebreitet, die Jürgen Mayer H. 1990 an der New Yorker Cooper Union angefertigt hat. In Zeichnungen, Draht- und Volumenmodellen hat er damals ausprobiert, wie sich aus einem Raster in den in der Bibel überlieferten Proportionen der Arche (30:3:5) neue, unregelmäßige Formen generiert werden könnten. Also entwickelte Jürgen Mayer H. strategische Prozesse basierend auf Prinzipien der Zwölftonmusik und Aleatorik, weshalb John Hejduk ihn mit dem Konzept zu den Mathematikern schickte. Dort schrieben die Kommilitonen Scripte für die Entwurfsprozesse, wodurch sie per Tastendruck am Bildschirm nachspielen konnten, was Jürgen Mayer H. wochenlang ausgerechnet, gezeichnet und gebaut hatte.
Zwischen diesen beiden Räumen – hier die eigens für die Ausstellung entwickelte Projektion, dort die Semesteraufgabe mit ihrem Übergang von analoger zu digitaler Architektur – entfaltet sich das Thema der Ausstellung: die Bedeutung des Strukturalen für Jürgen Mayer H.. Zu sehen sind auf zwei Etagen Strukturmodelle, Bleistiftskizzen, Filme und Fotografien realisierter Projekte.
Keine Kraftmeierei
„Wir wollten keine Werkschau machen, keine Kraftmeierei eines kommerziellen Büros“, sagt Kurator Ludwig Engel, vor zwei Jahren auch verantwortlich für die Haus-Rucker-Schau am selben Ort, beim Rundgang durch das Haus am Waldsee. „Wir haben uns gefragt, wie man ausstellt, was jenseits aller ästhetischen Geschmäcklereien wirklich prägend ist.“ Eine Ausstellung, die sich konsequent entlang eines Themas entwickelt, ist auch für Jürgen Mayer H. eine Premiere, weshalb er feststellt: „Den Kuratoren ist ein wunderbarer, klarer Blick auf einen besonderen Teilaspekt unserer Arbeiten gelungen.“
Die Konzentration auf das Skelett der Architektur ist einerseits ein sinnvoller Zugang, um seine Arbeit besser zu verstehen. Es ist aber auch ein kuratorischer Kniff, ein heikles Thema auszusparen: Denn Jürgen Mayer H. ist nicht nur der Architekt bemerkenswerter Strukturentwürfe – etwa beim Schirmdach „Metropol Parasol“ in Sevilla oder der Mensa Moltke in Karlsruhe. Zur Marke J. Mayer H. gehört auch eine Art Vollgas-Formensprache, mit der er bei den besseren Projekten den Baukörper regelrecht durchknetet. Bei den konventionelleren allerdings legen sich Fassaden aus Dellen, Bändern oder Kringeln lediglich wie eine laute zweite Haut um das Haus. Weswegen JMH in der Szene durchaus umstritten ist. Mit „Strukturalien“ steht nun eher die „Kammermusik“ des Büros, wie er selbst das nennt, auf dem Spielplan. Man könnte auch sagen: die leisen, ernsthaften Töne jenseits des Zeitgeistgedröns.
Atmosphären
Strukturen können im wahrsten Sinne des Wortes ein knochentrockenes Thema sein. Da droht der ingenieursmäßige Blick, der Gebäude auf ihre Konstruktion reduziert und mit Planwüsten langweilt. Nichts davon findet man im Haus am Waldsee. Eine Stärke der Ausstellung ist ihre atmosphärische Inszenierung. Die Macher setzen zwei Stimmungen gegeneinander. Das gesamte Erdgeschoss der ehemals großbürgerlichen Villa ist in Dunkelheit gehüllt. Im Gartensaal driften die Lichtgitter einsam durch die Nacht, im Raum davor leuchten wie eine Epiphanie die Umrisse des Stadthauses Ostfildern auf. Jürgen Mayer H.s früher Geniestreich wurde per Laser in einen kleinen Glaswürfel graviert – man kennt das von Touristensouvenirs: Architektur als körperlose Kunst, als gäbe es kein Lasten und Tragen, kein Fundament und kein Dach.
Der Weg nach oben gleicht dem Aufstieg aus der Dunkelheit zum Licht: Die Ausstellungsräume erstrahlen in seinem kaltweißem Schein, was jedes Detail scharfzeichnet. Unten soll der Besucher emotional eintauchen, oben genau hingeschaut werden. Mit dem Signature Building „Metropol Parasol“, mit Mensa und Pavillon in Karlsruhe und skulpturalen Pier im Georgischen Lazika sind hier vier realisierte Solitäre zu sehen, die jenseits eines kommerziellen Mainstreams das Experimentelle feiern. „Es ist die große Leistung des Büros, dass diese Entwürfe Wirklichkeit werden“, erklärt Ludwig Engel. „Ich sehe einen starken Bezug auf die 1970er Jahre. Aber es geht nicht um die Formalismen. Es geht um den Spirit, der heute eine Renaissance erfährt – aufgrund der digitalen Machbarkeit vieler Zukunftsvisionen, die damals im Spekulativen verbleiben mussten.“ Was heute alles machbar ist, zeigt gleich das erste Exponat im Foyer: ein verschlungenes Objekt, generiert aus von Jürgen Mayer H. gesammelten Datensicherungsmustern und geboren aus einem 3D-Drucker.
Foto © Roman März, Haus am Waldsee
Ringen mit der Form
Bilden die Strukturen das offensichtliche Thema der Ausstellung, so erweist sich das Ringen mit der Form als ihr untergründiges. Auch hier war die Arche-Noah-Arbeit der Wegweiser: „Für mich war diese Art zu entwerfen eine Neuentdeckung“, erinnert sich der Architekt. „Ich war als Student damals an dem Punkt, mich zu fragen, wie man entwerferische Entscheidungen trifft, wo Form herkommt, auch Form als Konformität, Umgangsform, gesellschaftliche Formalität; wie argumentiere ich Gestalt, was heißt eigentlich ästhetisches Statement?“ Damals entwickelte Jürgen Mayer H. Denkprozesse und Entwurfsstrategien, die er heute, wie er sagt, verinnerlicht hat. „Das ist der Hintergrund, der mir eine Entscheidungsgrundlage gibt, ein Grundgerüst, das innerhalb eines bestimmten Denkansatzes eine große Bandbreite von Ausdrucksmöglichkeiten zur Verfügung steht, die im Dialog miteinander stehen und nicht als Gegensätze aufeinander treffen.“
Was also hält die Welt des Jürgen Mayer H. im Innersten zusammen? Sind es die Strukturen, wie die Ausstellung nahelegt? Die von Fleisch und Haut befreiten Knochen, die uns die Schau als „Strukturalien“ samt ihrer eigenen Ästhetik vorführt? Oder ist es am Ende doch eher der unbedingte Wille zum Ausdruck, der Solitäre wie das Schirmdach in Sevillas Altstadt als übergroße Skulpturen auffasst und zu Denkmälern architektonischer Machbarkeit erhöht?
Die Strukturen tragen die Form, ihre Konstruktion ist willkommenes Spielfeld für den „Nerd“, der Jürgen Mayer H. auch ist – siehe Datensicherungsmuster. Aber sie sind nicht das Eigentliche. Dass diese Architekturauffassung grandiose Gebäude hervorbringen kann, zeigt die Schau in Zehlendorf. Dass Mayer H. damit auch grandios scheitern kann, zeigt ein Ausflug nach Berlin-Mitte, zu seinem Wohnungsbau in der Johannisstraße. Hier trägt keine starke Struktur das Konzept, und der Ausdruck stottert, weil der dichte Innenstadtkontext und die konventionelle Typologie im Entwurfsprozess kräftig auf die Bremse getreten haben. In Mitte, da schwebt die Architektur leider nicht.
J.MAYER.H - Strukturalien. Architektur als urbane Plastik
Bis 26. Juni 2016
Haus am Waldsee, Argentinische Allee 30, 14163 Berlin
www.hausamwaldsee.de
www.jmayerh.de
Foto © Roman März, Haus am Waldsee