Mailänder Duftnoten oder Von der Schwierigkeit, seriös zu bleiben
„Eine unreine Zunge schmeckt nicht; stumpfe Organe empfinden nur nach den schärfsten Reizen, oder sie kauen mehr, als sie empfinden.“ – Johann Gottfried von Herder
01. Atmosphärendesign samt Duftmarketing
Jede Wohnung steckt voller Gerüche. Mal riecht es nach Braten oder Fisch, mal nach Flieder oder Kaminfeuer. Mal duftet es, mal riecht und mal stinkt es. Jeder Alltag hat sein Duftprofil. In seltenen Fällen finden sich in ihm aber auch, wovon Marcel Proust in seinem Roman „A la recherche du temps perdu“ so wunderbar erzählt: Jene geheimen Pforten aus Duft oder Geschmack, durch die uns die Phantasie aus der Gegenwart fortträgt und wir uns plötzlich und intensiv an etwas erinnern, das wir längst verloren glaubten.
Zartes und helles Frühlingsgrün, fröhliches Vogelgezwitscher und jede Menge Düfte – all das verschmolz auch im Orto Botanico in der Brera zu einer Erfahrung besonderer Art. Ganz unwillkürlich wie bei Proust, wurde sie uns freilich nicht zuteil. Sie wurde absichtsvoll herbeigeführt von der „Be Open“-Stiftung, die den idyllischen Ort mitten in der Stadt für ihr Projekt eines „Gartens der Wunder“ ausgewählt und sich dem Thema „Parfüm“ gewidmet hat. In kleinen, goldfarben Pavillons inmitten zarten Grüns wurde der Geist längst vergessener Parfümmarken wiederbelebt. Tord Boontje widmete sich dem tschechischen Parfümier Waldes et Spol, die Gebrüder Campaña näherten sich Biette aus Frankreich, der italienische Duftschöpfer Bertelli wurde vom Dimore Studio neu interpretiert, die drei Schwedinnen von Front nahmen sich des französischen Guyla, Jaime Hayon des britischen Parfümherstellers Boissard an; Lissoni Associati imaginierten Produkte des amerikanischen Parfümhauses Lundborg, Jean-Marie Massaud arbeitete an Bertif und Nendo an einem Erscheinungsbild für das russische Label R. Koehler & Co.
Und während man durch die Scheiben in die imaginären Showrooms und auf feinsinnig gestaltete Flacons dieser untergegangenen Duftimperien blickte, entfaltete sich über einem, fein zerstäubt, ein jeweils anderer Duft. Zum „Botanical Rain“ von Studio Dimore stieg „New Nature“ in die Nase; es roch nach Orangen, Bergamotte, Narzissen und Amber. Bei Guyla verbreitete sich ein Hauch von Ingwer und Iris und im Fall von Boissard war es ein leichter Feilchenduft, der „Between day and night“ an New York und den Central Park erinnern sollte. Ohnehin längst phantasmagorisch gestimmt, blickte man dann und wann auf eine goldene Giraffe und rieb sich die Augen. Wo bin ich? Schade nur, dass nicht die Designer selbst bei ihrer Suche nach einer verlorenen Zeit die passenden Düfte kreiert haben, sondern der Parfümier Gérald Ghislain.
Fehlten bei diesem olfaktorischen Erlebnis Alchemie und Magie keineswegs, so ging es, wo es um die Produkte anderer Duftküchen ging, weitaus profaner zu. Kartell zeigte auf der Messe, wie profane Wohnungsdüfte mittels entsprechender Essenzen aus eigens dafür gestalteten Duftkerzen und Zerstäubern in künstliche Raumdüfte verwandelt werden können, und auch Tom Dixon hielt einige Duftspender für unverzichtbar. Atmosphärendesign scheint im Kommen zu sein. Auf einem chic designten Stuhl oder Sessel Platz zu nehmen, so wird suggeriert, genüge nicht mehr; künftig sollte auch die jeweils gewünschte Stimmung verfügbar und per Duft die Flucht in imaginäre Räume und Zeiten möglich zu machen sein. Angesprochen werden sollen wohl jene, denen die Duftkerze aus der Drogerie zu profan und Räucherstäbchen aus dem Ajurveda-Sortiment zu exotisch die Nase betören.
Die Wahrheit hinter diesem Duftmarketing, das in Kombination mit Licht und Musik mehrere Sinne zugleich stimulieren soll, aber lautet: Da sich mit Möbeln kein allzu großes Wachstum mehr generieren lässt, weicht man auf weitere Accessoires aus und verpackt das Ganze als umfassendes sinnliches Erlebnis. Noch ein Stück weiter ging man bei Lexus, wo man – rund um einen seltsamen Kleinwagen – sehen, hören, riechen und dazu Suppe oder Kristalle essen konnte, die das ach so sinnliche Erlebnis (das immer im Saale stattfindet) weiter steigern sollten, als wären all unsere Wahrnehmungsorgane ganz stumpf geworden und Stimulantien unverzichtbar.
- Und dann und wann tauchte eine gold’ne Giraffe auf. Foto © Stylepark
- Wonach es wohl riecht? Foto © Stylepark
- Wer historische Parfümmarken wiederaufleben lassen möchte, der braucht Ordnung und jede Menge Essenzen. Foto © Stylepark
- Markendüfte vertreibt nun auch Kartell... Foto © Stylepark
- ...und auch Rockstar Tom Dixon. Foto © Tom Dixon
02. Marketing ist die halbe Miete
Ob beim Salone del Mobile in den geschäftigen Messehallen von Rho oder über die Stadt verteilt in den mehr oder weniger schrillen Veranstaltungen des FuoriSalone, die Inszenierung zählt in vielen Fällen mehr als das Produkt, dessen Erfolg zu garantieren sie auserkoren wird. Sicher, daran sind wir inzwischen gewöhnt. Geschicktes Marketing ist nun mal mehr als die halbe Miete. Verkauft werden Lebensstile, keine Stühle. Die Unsicherheit darüber, worum es im Kern eigentlich geht, aber wächst. Das führt einerseits dazu, dass noch mehr Energie in die Inszenierung gesteckt und das Produkt noch mehr über sinnliche Erlebnisse „romantisiert“ oder „aromatisiert“ wird; andererseits wächst bei vielen Herstellern aber auch die Einsicht, dass inmitten der Überfülle des Angebots allein ein gut gestaltetes Sortiment, das von den Kunden angenommen wird, dauerhaften Erfolg garantiert. Unwahrscheinlich, dass das Pendel dauerhaft allein in die eine oder andere Richtung schwingen wird. Man kann es auch so sagen: Auf der einen Seite besinnt man sich auf ansprechendes, solide produziertes Design, auf der anderen Seite wird bloßes Styling betrieben und mittels starker Reize kompensiert. Denn eines ist klar: Wirkliche Innovationen – seien sie technischer oder ästhetischer Natur, veranlasst von Material oder Verarbeitung – sind in Zeiten digital optimierter Produktionsprozesse rar geworden. Hinzu kommt: Die Kapitulationserklärung vor den eigenen Moden katapultiert immer andere vergessene, übersehene oder schwer zu realisierende Entwürfe und historische Muster an die Oberfläche. Bei Knoll International ist es Harry Bertoia, bei Kartell und Cappellini sind es Möbel und Muster der Heroen von „Memphis“, die aus der Versenkung geholt werden.
- Bären, schräge Inszenierungen, oft genug ist die Devise: Hauptsache, man fällt auf. Foto © Stylepark
- Auch eine Deko: Alte Zöpfe abschneiden. Foto © Stylepark
- Etwas Memphis kann nicht schaden. Foto © Stylepark
03. Innovation oder Variation
Entsprechend dünn gesät waren denn auch Sensationen im Bereich der Gestaltung. Was es gab, waren Experimente – und jede Menge Variationen. Zugestehen muss man im Gegenzug aber: Was von Designern, die nicht nur hinterherhinken, so alles entworfen und entwickelt wird, hat zumeist Hand und Fuß, überzeugt ästhetisch, ist solide und nachhaltig fabriziert und bei mehr oder weniger stabilen Preisen sein Geld auch wert. Eine kleine Auswahl: Auf der Bank und an dem Tisch, den David Chipperfield für sich und sein Ferienhaus entworfen und gemeinsam mit e15 nun auch für andere zugänglich gemacht hat, kann man ein Leben lang sitzen und essen und reden. Das Holz wird in Würde altern und an der klaren Form sieht man sich so schnell nicht satt.
Auch die Tische und Stühle, die die Gebrüder Bouroullec – für Magis, für Artek und nun auch für Vitra – entworfen haben, sind frei von modischem Schnickschnack. Selbst, wenn man sie sämtlich als Variationen ein und desselben Themas begreift, so sind sie doch alle konsequent zu Ende gedacht – und es bleibt eine angenehme Qual zu entscheiden, welches Programm sich für welche Umgebung eignet: das eher rustikale (Officina, Magis, das aktuell um Stuhl und Barhocker ergänzt wurde), das konstruktive (Kaari bei Artek) oder das elegante (Belleville bei Vitra).
Konstantin Grcic ist nach wie vor einer der wenigen Designer, der ein Moment der Überraschung mit großer Beständigkeit zu verbinden vermag. In diesem Jahr holt er mit „Clerici“ (für Mattiazzi) weniger die pauperen als die edlen Formen der Askese zurück – was durchaus Schule machen könnte. Vor allem die Bank wäre eines jeden Bettelordens würdig, sorgt – besonders in ungewohnt hellem Rot – aber auch für den soliden Chic einer von Klimawandel und Nachhaltigkeitsdebatten infizierten Wohlstandsgesellschaft. Mit „Sam Son“ hingegen knüpft Grcic spielerisch an die heiteren Zeiten eines Pop-art-Designs an, das, wo gewünscht, einzelne frische Akzente setzt. Auch der Klappstuhl „Jack“, der nicht mehr rechtzeitig zur Messe fertig geworden ist, dürfte zu den beständigen Entwürfen gehören. Mit dem Formholzstuhl „Remo“ (für Plank) verbindet Grcic schließlich nicht nur neue Fertigungsmethoden mit handwerklicher Tradition, er demonstriert auch, dass schlichte Eleganz nicht in jedem Detail originell sein muss.
- Jetzt auch mit Stuhl: „Officina“ der Bouroullecs. Foto © Stylepark
- Auch ästhetisch nachhaltig: Chipperfields Bank. Foto © Stylepark
- Aus weiter Ferne grüßt die Belle Epoque: „Belleville“ von Ronan und Erwan Bouroullec für Vitra. Foto © Stylepark
- Nicht nur für Mönche: „Clerici“ von Grcic für Mattiazzi. Foto © Stylepark
- Diesmal keine Steilkurve: „Remo“ von Grcic für Plank. Foto © Stylepark
04. Scherz lass nach...
Einen ganz anderen Sound hörte man bei Moroso. Hier gibt man noch immer gern den Salon-Revoluzzer. Nur, der Betrachter, so er überhaupt darauf ansprang, genoss kurz den Scherz – und zog dann weiter. Ron Arad beraubt bei „Matrizia“ (gebildet aus den Worten Matratze und Patrizia) eine Matratze buchstäblich ihrer Labilität und stellt sie als Sofa auf, womit er, wie zu hören war, augenzwinkernd darauf hinweisen möchte, dass man heute mehr auf dem Sofa liege als sitze. Das wirkt ebenso schal wie sein zweites Sofa mit Namen „Glider“, das so tut, als bestünde es aus einer zusammengerollten Matratze. Derartiges Show-Design hat sich mehr als verbraucht. Dass von „Glider“ behauptet wird, es vereine in sich „fun and sensuality, function and stage“, macht das Möbel nicht besser und lässt sich schlicht unter Marketinglyrik verbuchen. Dass die Sucht nach Originalität allzu leicht ihre Opfer fordert, belegt leider auch Sebastian Herkner, der sich (ebenfalls bei Moroso) mit seiner „Pipe Collection“ nicht nur für dicke Metallrohre und dicke, hörnerförmige Lehnen, sondern auch für eine sich martialisch-postmodern gerierende Formensprache entschieden hat. Das Gegenprogramm: Die bei deSede wiederaufgelegte Sitzgruppe „KT-221“ von Kurt Thut aus dem Jahr 1956 – und natürlich all die „Klassiker“ bei Walter Knoll, Cassina und anderswo.
- Etwas heavy das Metall: Sebastian Herkners „Pipe Collection“ für Moroso. Foto © Stylepark
05. Viel Farbe und ein Universalstuhl
Mit der Vielfalt an Möbeln, die es dem Konsumenten nicht eben einfach macht, sich für das eine und gegen das andere Stück zu entscheiden, geht es ebenso weiter, wie damit, nun alles, was Polster hat, mit Stoffen in satten, abgetönten Farben anzubieten – neuerdings auch mit Bezügen, die einen Farbverlauf aufweisen. Damit begonnen haben vor einigen Jahren Scholten & Bajings, nun sieht man es an vielen Ständen. Das Prinzip kennt man noch aus dem Kunstunterricht in der Schule, wo man mit Wasserfarbe, einer Zahnbürste und einem feinen Sieb Farbtropfen mehr oder weniger dicht aufs Papier spritzte.
Mit All-Aussagen soll man bekanntlich vorsichtig sein. Es trifft aber zu, dass es einen Typus von Stuhl gibt, dem man auf der Messe an jeder Ecke begegnet. Das hat den Effekt: Man kann im Gedächtnis all die Varianten kaum mehr auseinanderhalten, wodurch im Kopf so etwas wie die platonische Idee dieses Stuhls entsteht, den es auch als kleinen Sessel gibt. Wie er aussieht? Nun, er hat vier runde oder eckige Füße aus Holz oder Metall, auf denen eine Schale aus Kunststoff oder Recyclingmaterial sitzt. Fertig ist der Universalsitz des Jahres 2015. Die Ahnenreihe reicht von Eames bis zu Naoto Fukasawa („Substance“ für Magis) und Jasper Morrison („Alfi Chair“ für Emeco), mit Filiationen bei vielen anderen Herstellern.
- Hier tanzt keiner mehr aus der Reihe: Jasper Morissons „Alfi Chair“ für Emeco ist nur einer dieser Universalstühle des Jahres 2015. Foto © Stylepark
06. Teppich ganz crazy
Bei Teppichen, aber auch bei gemusterten Bezugsstoffen, hat sich in den vergangenen Jahren viel getan. Besonders wild treibt es nun Moooi, wo man auch auf Marcel Wanders „Monster Chair“ traf, der in einer Special Edition auf abgestepptem Grund Geister indigener Idole beschwörte. In der Halle in der Zona Tortona, in der Moooi seine „Signature“-Collection in einer opulenten Show präsentierte, dominierten aber vor allem bedruckte und gewebte Teppiche in den wildesten Mustern. Man muss solch opulente Überfülle nicht gut finden und ins kleine Wohnzimmer legen. Pfiff hat es aber durchaus. Digitale Technik macht es möglich. Bilder von grinsenden Lebensmitteln (Bas Kosters), vielfarbige Muster, die an afrikanische Vorbilder erinnerten (Bertjan Pot), rokokohafte Ansammlungen von Blüten und Insekten (Edvard van Vliet), altniederländische Blumenstilleben (Marcel Wanders) und abstrakte Pastellkreidebilder in freier Form (Front) beschleunigen auf jeden Fall die Transformation des traditionellen Teppichs zum Bild.
- Mal sehen, ob romantische Ideale gut ankommen: Eine Kombination aus Klavier, Blumenstillleben und Kosmographie bei Moooi. Foto © Stylepark
07. Die Kehrseite der Kreativwirtschaft
In Ventura Lambrate, wo sich seit einigen Jahren die junge Szene zu einer Art Erfindermesse mit Verpflegung und Partyanschluss trifft, konnte man auch in diesem Jahr das eine oder andere entdecken. Aufs Ganze gesehen bot das mehr und mehr ausfransende Panorama freilich nur wenig Anlass für die Hoffnung, hier entstünden tatsächlich alternative Ansätze. Da wurden Teppichmuster aus Plastikgabeln oder Spülschwämmen ausgelegt, als wäre das nicht schon vielfach und besser gemacht worden. In den Hallen, Höfen und Gärten aber tummelte sich – neben einigen Hochschulen – eine Schar biederer Kunsthandwerker und Jungdesigner, die nach Aufmerksamkeit verlangt. Nur: Irgendwelche Ideen oder gar Visionen gibt es hier massenhaft. Ein jeder hat sie, so manchen aber befallen sie wie eine Infektion, ist doch nicht jede noch so banale Idee es wert, weiterverfolgt und in etwas verwandelt zu werden, das nicht nur für ihren Urheber von Bedeutung ist. Bei dem Gedanken, mit wie viel Hoffnung man sich hier vor- und seine Idee ausstellt, kann man leicht melancholisch werden. Denn was sich hier in konzentrierter Form zeigt, ist das zynische Prinzip einer Kreativwirtschaft, die aus jedem einen dauerkreativen Ich-Unternehmer macht, der seine Phantasie zu Markte tragen muss. Sie alle aber werden allein gelassen, und ihr oft naiver Idealismus wird eingespannt, um die Gentrifizierung eines heruntergekommenen Industrieareals voranzutreiben. Auch das ist übrigens eine Form von Atmosphärenmanagement.
- Gut gemeint: Machen wir doch mal was mit Pflanzen. Foto © Stylepark
- Kleine Fische oder Hauptsache, das Thema ist wichtig. Foto © Stylepark
08. Japanisch und programmatisch
Wie man, vermutlich mit viel Geld, eine ganz andere, sehr reduzierte Art von Glamour herstellen kann, demonstrierte diesmal allein Nendo im Museo della Permanente. Die kapitale Werkschau mit Entwürfen und Produkten der Jahre 2014 und 2015 offenbarte, weshalb Oki Sato und Nendo derzeit so begehrt sind. Ob Tische, Stühle oder Regale aus Glas (für Glas Italia), Türvariationen oder die „tokyo tribal collection“ (für industry+), alles atmete eine kühle Sachlichkeit, die gleichwohl verspielt wirkte, was in den großen weißen Räumen mit erstaunlicher Konsequenz zur Geltung gebracht wurde.
- Immer leicht und immer präzise. Foto © Stylepark
- Analyse und Variation. Foto © Stylepark
- Nendo macht Bilder aus Glas. Foto © Stylepark
09. Hyperaktive Filiationen
Eben weil Inszenierung, Marketing, Selbstinszenierung und Selbstvermarktung sich im Speckgürtel um wenige solide und innovative Produkte in zunehmendem Maße zu einer großen atmosphärischen Wolke verdichten, glaubt so mancher, das Möbeldesign entwickle sich mehr und mehr in Richtung Kunst. Indes, der Eindruck täuscht. Vielmehr liegt der Grund für den Erfolg aller pseudo-künstlerischen Filiationen und kreativen Surrogate in der Abwendung des Bedeutungsverlusts der Kunst selbst. Nicht weil die bildende Kunst noch immer so stark und prägend ist, sondern weil sie selbst allzu oft formlos, also gut gemeint und so verfranst daherkommt wie ihre Gattungen, bietet sie sich als jener große Ideen-Steinbruch an, in dem sich jeder nach postmoderner Herzenslust bedienen kann. Wie rasch sich der Hang zur Dekoration und die Hyperaktivität der Vermarkter den Versatzstücken bemächtigt, spricht Bände. Das Verfahren ist simpel: Erst malt Gerhard Richter ein verwischtes Gemälde eines Vorhangs, dann wird bei Thomas Demand daraus eine Wand im Metzler-Saal des Städels, und nun taucht das Schema als triviale Kulisse am Messestand von Kartell auf.
Je mehr die Zukunft ihren Charakter bewahrt, dunkel und unzugänglich zu sein, desto intensiver wird so getan, als könne man sie erhellen. Unter dem Titel „Spheres“ versuchte das auch BMW und zählte dabei auf Alfredo Häberli. Indem er sich seiner kindlichen Träume versichert und ein Fahrzeug der Zukunft imaginiert, das weder Auto, noch Boot oder Fluggerät und doch alles zugleich ist, trifft er unfreiwillig ins Schwarze: Sein Gefährt ist nichts als der abstrakte Fetisch, in dem sich die Tatsache verkörpert, dass wir das Morgen nicht kennen. Es kaschiert das Nichts, als welches sich die Zukunft darstellt. Belassen wir es dabei. Wie sehen uns morgen – oder im nächsten Jahr in Mailand.
- Auch wenn es bei Kartell nur das Bild eines solchen ist: Wir sehn betroffen den Vorhang zu und alle Fragen offen! Foto © Kartell