KÜNSTLICHE INTELLIGENZ
Aufregende Zeiten
Anna Moldenhauer: FabricGenie ermöglicht es den NutzerInnen ein Bild eines Raumes hochzuladen, um es als Grundlage für die KI zu verwenden. Diese gibt dann Vorschläge für die textile Inneneinrichtung. Wie genau funktioniert das?
Danny Richman: Das ist die häufigste Form, wie der Service genutzt wird. Parallel können die NutzerInnen der KI das Design beschreiben, welches sie gerne hätten, wie "William-Morris-Stil, Blumendruck mit Vögeln auf dunkelgrünem Hintergrund". Darüber hinaus gibt es eine Option eigene Skizzen hochzuladen, die FabricGenie dann als Inspiration nutzt und in ein Stoffdesign übersetzt.
Ist dieser Service mit Kosten verbunden?
Danny Richman: Nein, das ist komplett kostenlos. Die NutzerInnen müssen sich auch nicht vorab registrieren oder anmelden. Das Werkzeug ist offen für alle zugänglich. Kosten würden erst anfallen, wenn man den Entwurf in ein physisches Produkt umwandeln möchte, wie einen Stoff, Vorhänge nach Maß, Kissen, et cetera.
Wer steht hinter FabricGenie?
Danny Richman: Das Unternehmen The Millshop Online, ein Einzelhändler für Gardinenstoffe und Heimtextilien. Das Angebot des Unternehmens und FabricGenie sind aber voneinander unabhängig.
Woher bezieht der Service dann die Daten, die für die Designs genutzt werden?
Danny Richman: Um die Funktion der generativen KI zu erklären, würde ich gerne ein Beispiel aus dem Bereich Text nehmen, denn der Prozess ist der gleiche: Nehmen wir an, ich benutze ChatGPT und bitte das Werkzeug, dieses Interview zu formulieren. Die KI kopiert dafür nicht einen bestehenden Artikel, sondern sie ist auf eine riesige Textmenge trainiert. Das heißt, sie greift auf eine große Menge Informationen zu, die im Internet zur Verfügung stehen, um die Verbindung zwischen Wörtern in einem Gesamtkonzept zu verstehen. Sprich, die KI analysiert beispielsweise, dass es eine Verbindung gibt zwischen den Wörtern Hund und Knochen, Hund und Katze, weil sie oft in einem Zusammenhang verwendet werden. Diese Struktur greift die KI auf und wandelt sie in Zahlen um, die die Beziehung zwischen den Wörtern und Konzepten darstellen. Wenn ich nun eine Anfrage stelle, in der das Wort "Hund" vorkommt, wird die KI abschätzen welches Wort in den Texten, die es analysiert hat, meist als nächstes folgt. Dann fügt sie nach diesem System Wort an Wort, um die wahrscheinlichste Antwort auf die Anfrage zu finden. Bei dem Menschen funktioniert das auf der Basis von allem, was wir zu einem Thema bis dato gesehen oder erlebt haben: Wenn ich dich bitte ein Muster zu zeichnen, wird die Basis dafür die Erinnerung an jedes Design bilden, dass du in deinem Leben gesehen hast. Der Aufbau des Bildspeichers geschieht Stück für Stück, bei der KI genau wie beim Menschen. Es gibt bei der KI keine direkte Beziehung zwischen dem worauf es trainiert wurde und was es produziert. Wenn ich FabricGenie die Anweisung gebe: "Erstelle ein Blumendesign im Stil von William Morris", wird es kein William-Morris-Design nachbilden, sondern das Ergebnis wird diesem nur ähneln.
„Was wir im Moment sehen, ist die schlimmste Version der KI, die es je geben wird. Der Detailgrad der KI wird sich bis zu dem Punkt optimieren, an dem man den Unterschied zwischen digitalem Entwurf und der Realität nicht mehr erkennen kann.“
Faszinierend finde ich die Treffsicherheit der KI auf die gestellten Anfragen.
Danny Richman: Zudem steckt die generative KI noch in den Kinderschuhen. Wir befinden uns in einem sehr, sehr frühen Stadium, und die Geschwindigkeit, mit der sie sich täglich entwickelt, ist unglaublich. Was wir im Moment sehen, ist die schlimmste Version der KI, die es je geben wird. Alle darauffolgenden Entwürfe der KI werden besser sein als die, die sie im Moment produziert. Der Detailgrad der KI wird sich bis zu dem Punkt optimieren an dem man den Unterschied zwischen digitalem Entwurf und der Realität nicht mehr erkennen kann.
FabricGenie hast du mit Hilfe der KI in nur zwölf Wochen programmiert, das Frontdesign hat Seb Kay erstellt. Diese kurze Zeitspanne klingt erstmal großartig – gab es im Prozess auch Herausforderungen?
Danny Richman: Die Herausforderungen hatten kaum etwas mit der KI zu tun. Wir wussten, dass das Interesse an FabricGenie in den ersten Wochen nach Markteinführung wohl groß sein würde, weil die Option neu war und es bis dato nichts Vergleichbares gab. Eines der Probleme, die wir hatten, war die Frage, wie wir mit einer sehr schwankenden Nachfrage umgehen, einer großen Nachfrage in einem sehr kurzen Zeitraum. Die Verarbeitung der Bilder nimmt Zeit in Anspruch, denn der Computer kann erst meist erst mit der Bearbeitung eines neuen Bildes beginnen, wenn das vorherige abgeschlossen ist. Es gibt eine Grenze, wie viele Bilder gleichzeitig erstellt werden können. Zudem ist FabricGenie für die Öffentlichkeit zugänglich, was machen wir, wenn wir innerhalb eines kurzen Zeitfensters von fünf Sekunden tausend Anfragen erhalten? Wie können wir diese Warteschlange so verwalten, dass die Leute nicht frustriert sind weil ihre Anfragen nicht beantwortet werden? Die größte technische Herausforderung lag somit nicht in der KI, sondern in der Verwaltung. Zudem wussten wir, dass das System anfällig für Missbrauch sein würde. Daher mussten wir vorab sicherstellen, dass NutzerInnen keine abscheulichen Anfragen stellen können.
Wie finanziert sich FabricGenie?
Danny Richman: Konkrete Zahlen kann ich nicht nennen, aber die Beziehung zu dem Unternehmen The Millshop Online erläutern. Ich komme ursprünglich aus der Softwareentwicklung und habe in den letzten 20 Jahren vor allem im digitalen Marketing und der Suchmaschinenoptimierung gearbeitet. The MillShop Online war ein Kunde von mir in diesem Bereich. Ich schaue mir die Unternehmen gerne von allen Perspektiven aus an, vor welchen Herausforderungen sie stehen und bei welchen ich helfen kann. Die KI hat in den letzten Jahren in meiner Arbeit einen wachsenden Raum eingenommen und so kam die Entwicklung für FabricGenie zustande – ich hatte irgendwann die Idee eine KI-Bilderzeugung zu nutzen, um die Stoffdesigns zu erstellen und das in Kooperation mit The MillShop Online als Service anzubieten. Die Hürden für die Umsetzung, finanziell wie technisch, waren insgesamt gering. Ich habe einen Plan erstellt und zwei Wochen später ging die Entwicklung los.
Eine deiner Kernaussagen ist, dass die KI nicht dazu dienen sollte menschliche Tätigkeiten zu ersetzen, sondern vielmehr für die KI Prozesse zu finden, die bisher nicht angestoßen wurden. Kannst du ein Beispiel nennen, bei dem KI uns helfen kann und das im Moment eine Lücke darstellt?
Danny Richman: In gewisser Weise ist FabricGenie ein wirklich gutes Beispiel dafür, denn ohne die KI gäbe es keine wirkliche Möglichkeit, der Öffentlichkeit einen Service anzubieten, bei dem die Personen ihre Entwürfe erstellen und dann auf Stoff drucken lassen können. Die einzige Möglichkeit wäre gewesen, stattdessen eine/n professionelle/n TextildesignerIn zu engagieren. Dieser hätte sich dann die Wünsche der KundInnen angehört, eine Designidee entwickelt, vielleicht einen Entwurf. Dieser würde an die KundInnen zurückgehen, die dann ihr Feedback dazu geben – ein iterativer Prozess. Angesichts der Kosten und des Zeitaufwands kommt das für die meisten Privatpersonen nicht in Frage sondern dient meist der Ausstattung von gewerblichen Projekten. Einen öffentlich zugänglichen Service für eine Textilgestaltung gab es bislang nicht. Und das ist nur ein Beispiel, für all die Optionen, die die künstliche Intelligenz bietet. In den letzten Jahren habe ich mit KI hunderte Anwendungen entwickelt und dafür nicht eine Code-Zeile selbst geschrieben. Viele dieser Apps wären angesichts der hohen Kosten auf dem bisherigen Weg mit einem Designteam nie realisiert worden. Der Aufwand der Entwicklung mit Hilfe einer KI ist vergleichsweise günstig.
Wartet die KI sich selbst?
Danny Richman: Ein Beispiel: Wenn ich ChatGPT die Anfrage gebe "Erstelle den Code, den ich brauche, um eine App zu erstellen, die Aufgabe xy erfüllt" wird die KI eine ganze Ladung Codes produzieren, die ich dann testen kann. In 99 von hundert Fällen werden die Codes beim ersten Mal nicht richtig funktionieren. Ich melde dann ChatGPT zurück, dass der Code nicht funktioniert und die KI erstellt eine angepasste Version. Das ist der Prozess der Codierung mit ChatGPT. Der Prozess der Wartung der KI ist derselbe.
Die KI lernt durch die Rückmeldungen der NutzerInnen.
Danny Richman: Genau. Die Art und Weise von Anfrage und Reaktion ähnelt sehr dem Austausch mit einem Menschen.
Das menschliche Gegenüber würde mich bei einer Fehlermeldung eventuell fragen, ob ich versucht habe den Computer neu zu starten.
Danny Richman: (lacht) Das würde die KI nicht machen, denn ich kann vorab eingeben, welche Kenntnisse ich über die angefragte Funktion habe. Wir können die KI so trainieren, dass sie "weiß", wie sie am besten mit uns zusammenarbeiten kann.
Bei so vielen Möglichkeiten der KI könnte man schnell zu dem Schluss kommen, dass es weder eine jahrelange Erfahrung als GestalterIn noch eine umfangreiche Ausbildung braucht, um in den kreativen Disziplinen beruflich tätig zu sein. Die klassische "Das kann ich auch"-Aussage. Was meinst du dazu?
Danny Richman: Da würde ich gerne mit einem Vergleich antworten – die Texte, die die KI erstellt, sind bereits sehr gut und auch das Problem der Falschinformation durch die KI wird bald behoben sein. Was die KI nicht erreichen kann, ist das Schreiben auf der Grundlage einer menschlichen Erfahrung, eines gelebten Lebens. Wir können ChatGPT auffordern, einen Text im Stil von Shakespeare zu schreiben, aber es wird nie die Ebene erreichen, die Shakespeare selbst hatte, denn die KI hat sein Leben nicht gelebt. Die KI kennt keine menschlichen Erfahrungen, sie hat selbst nie Schmerz, Liebe, Ehrgeiz oder Zerstörung erlebt. Sie ahmt nach. Wenn eine Gestalterin oder ein Gestalter etwas entwirft, ist alles, was die Person im Leben erfahren hat in den kreativen Prozess eingebunden. Was die KI ersetzen kann, ist die Erstellung von Designs, die alltäglich sind, die keine große Kunstfertigkeit oder Kreativität erfordern.
Würdest du sagen die Rolle der GestalterInnen wird zukünftig mehr eine kuratierende sein?
Danny Richman: Auf jeden Fall. Im kreativen Bereich wird es zu einem kreativen Werkzeug werden, so wie viele DesignerInnen heute Bildbearbeitungsprogramme verwenden und Arbeiten erreichen, die sie ohne diese Werkzeuge nie hätten produzieren können. Mit der KI wird es genauso sein. Vor kurzem hat mich beispielsweise ein großes Textilunternehmen angesprochen, weil sie ihre Datenbank mit gut einer halben Million Designs in die KI einspeisen möchten, um einen persönlichen Katalog zu erhalten. Mit diesem könnten ihre GestalterInnen dann arbeiten. Das ist aus meiner Perspektive eine der hauptsächlichen Nutzungen in Zukunft: Eine KI wird mit individuellen Daten gefüttert und Marken wie Kreativen dabei helfen, nach Styleguides und Richtlinien zu arbeiten.
Kann die KI dabei helfen, Prozesse wie die Logistik und die Transparenz von Textilwegen nachhaltig zu optimieren?
Danny Richman: Auch wenn ich mich mit diesem Aspekt bisher kaum befasst habe, würde ich spontan Ja sagen. Allein die Vorschläge, die ChatGPT unterbreitet, wenn man eingibt "Bitte schlage mir einige Möglichkeiten vor, wie KI eingesetzt werden könnte, um einen nachhaltigeren Textilherstellungsprozess zu schaffen", könnten bereits helfen. Die KI versucht themenübergreifend auf Basis der bisherigen Muster den Prozess zu verbessern. Das ist der Kern der KI – es geht um Effizienz. Ein Beispiel: Für die Optimierung meiner Ernährung habe ich meine individuelle Körperzusammensetzung analysieren lassen. Diese Daten sind nun die Basis für eine Anwendung, die ich in weniger als 15 Minuten entwickelt habe: Im Restaurant erstelle ich von der Speisekarte ein Foto, das ich in der App hochlade. Die App wertet diese aus und meldet mir zurück welche Gerichte für mich ideal wären. Sprich die KI kann in jedem Bereich des Lebens nützlich sein.
Was sollten die rechtlichen Rahmenbedingungen sein, die wir für die künftige Zusammenarbeit mit KI klären müssen?
Danny Richman: Ich bin kein Anwalt, zu den rechtlichen Aspekten kann ich demnach nicht viel sagen. Meine persönliche Meinung ist, dass es zwei grundlegende Fragen gibt: Verstoßen die Eingabedaten, die dazu dienen die KI zu trainieren, in irgendeiner Weise gegen das Urheberrecht? Und welche Rechte haben wir an den Ergebnissen der KI? Kann ich zum Beispiel ein Textildesign mit FabricGenie entwerfen, es produzieren und parallel sicherstellen, dass dieses Design nicht kopiert wird? Darauf gibt es im Moment noch keine eindeutige Antwort, weil verschiedene Prioritäten abgewogen werden müssen. Einerseits wollen wir die ursprüngliche kreative Arbeit der Menschen schützen, andererseits haben wir es mit einer unglaublich leistungsfähigen Technologie zu tun, die so viele Prozesse und Gesellschaften verändern könnte, dass wir sie nicht zu sehr einschränken wollen.
Im Rahmen der Pressekonferenz zur Heimtextil 2024, deren Gast du warst, hast du zudem erwähnt, dass eine Überzeugung für die Entwicklung sein sollte, dass sich Menschen nicht an Regeln halten.
Danny Richman: Genau. KI bringt die Möglichkeit mit sich, Fälschungen aller Art zu produzieren. Wir unterhalten uns gerade über einen Videochat – eine kurze Sequenz daraus würde bereits ausreichen um einen Bot zu erstellen, der kaum von dir als Person zu unterscheiden ist. Diese Technologie birgt nicht nur endlose positive Möglichkeiten, sie kann auch einen großen Schaden anrichten. Zum Glück gibt es weltweit bereits zahlreiche EntwicklerInnen, die daran arbeiten dieses Problem zu lösen.
Woran arbeitest du aktuell?
Danny Richman: Ich habe das große Glück vor allem Projekten nachgehen zu können, die mehr auf meiner Leidenschaft und meinem Interesse für das Thema beruhen, als auf finanziellen Aspekten. Aktuell engagiere ich mich im Bereich der Bildung – ich habe beispielsweise einen "DarwinBot" entwickelt, der in der Schulausbildung helfen kann Wissen über seine Lehre zu vermitteln. Die Kinder können dem ChatBot Fragen stellen um etwas über seine Lehre und sein Leben zu erfahren. Als nächsten Schritt möchte ich diesen mit der VR-Technologie verbinden, um es den SchülerInnen auf digitalem Weg zu ermöglichen Charles Darwin auf seiner Reise zu begleiten. Mittels der KI kann die Bildung auf so einnehmende Weise zum Leben erweckt werden, dass die SchülerInnen diese Erfahrung nie vergessen werden. Ich kann mir im Moment nichts Aufregenderes vorstellen.