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„Manchmal schaue ich auf meine Hände, mit denen kann ich machen was ich will“ - Einladung zur Retrospektive über Åke Axelsson im Jahr 2013.

Åkes Leidenschaft für Stühle

Auf seinen Stühlen in Bibliotheken, Museen und staatlichen Gebäuden haben schon viele gesessen. Trotzdem ist Åke Axelsson, der Mitinhaber von Gärsnäs, außerhalb von Schweden nur Branchenkennern bekannt. Ein Besuch in seinem Atelier.
von Martina Metzner | 02.03.2015

Das erste Treffen gestaltet sich denkbar unprätentiös. Wie ein Zaungast, der solche Veranstaltungen oft genug mitgemacht hat, steht Åke Axelsson gelassen im Stockholmer Kulturhuset und nippt an seinem Sektglas. Zur Eröffnung der neuen, temporären Design-Dependance des schwedischen Nationalmuseums werden unter dem Titel „Selectivities“ Werke verstorbener schwedischer Kunsthandwerker gezeigt. Ausgewählt wurden sie von zeitgenössischen Designern, unter anderem von Åke Axelsson, der mit seiner Tochter Katarina gekommen ist. Außerhalb Schweden ist Axelsson kaum bekannt, gleichwohl hat der 83-Jährige die schwedische Möbelindustrie geprägt wie kaum ein anderer Gestalter. Nicht nur, weil er im Lauf der Jahre mehr als 200 Stühle entworfen hat, sondern auch, weil er seit 2003 Mitinhaber des Traditionsbetriebes Gärsnäs ist, für den er lange als deren wichtigster Designer tätig war – und es bis heute ist. Da er nur Schwedisch spricht, übersetzt seine Tochter, die eigentlich als Künstlerin in Frankreich lebt. Spontan laden die beiden in Axelssons Haus samt Atelier nach Vaxholm ein, das etwa eine halbe Stunde Autofahrt von Stockholm entfernt liegt.

Der Duft von Buchenholz

Am nächsten Tag lassen wir das geschäftige Stockholm hinter uns. Mit dem Auto geht es raus aufs platte Land. Die Landschaft ist dick verschneit und die rhythmisch am Auge vorbeiziehenden Seen und Nadelwälder strahlen jene Ruhe aus, wie man sie nur im hohen Norden findet. Sobald man das im typischen Ochsenblutrot gestrichene schwedische Holzhaus von Axelsson betritt, steigt einem ein besonderer Geruch in die Nase, der hier in allen Ecken zuhause zu sein scheint. Es duftet nach Buche – jenem Holz, mit dem Åke Axelssons Karriere begann und mit dem er noch heute jeden Tag arbeitet.

Wohnen in einem Stuhlmuseum

Besonnen führt uns der Hausherr, der sich seine Attraktivität und seinen Charme bis ins hohe Alter bewahrt hat, durch die hellen Räume seines Hauses, das er einst selbst gebaut hat. Überall stehen Stühle, Stühle, Stühle. Alle sind sie verschieden, und natürlich stammen alle von ihm. Spätestens wenn man das Atelier betritt weiß man, dass es sich hier um ein Stuhlmuseum handelt, in dem gewohnt wird: An den Wänden stehen, akkurat aufgereiht, alle möglichen Stühle, oder sie hängen, bis hinauf zur Dachspitze, von der Decke herab. Würde man sich das Atelier eines Stühlebauers erträumen, es würde so ausschauen wie dieses. Åke Axelssons Atelier schaut aus wie eine Galerie. Hier empfängt der Gestalter und Unternehmer Freunde und Familie, Geschäftspartner und Kollegen.

Eine Junge aus Småland

Axelsson nimmt einen antik aussehenden Stuhl mit abgespreizten Füsschen, die ein wenig an Bambis erste Gehversuche erinnern, und stellt ihn auf den Tisch. Mit gedämpfter Stimme und neugierigen, wachen Augen erklärt er, wie alles anfing, mit ihm und den Stühlen. Åke Axelsson wurde 1932 in einem kleinen Ort in der Region Småland in Südschweden als Sohn von Landwirten geboren. Er hatte sieben Geschwister und wuchs in ärmlichen Verhältnissen auf. Nur wenn man körperlich etwas leistete, konnte man es zu etwas bringen, erzählt er. Seine Grundschullehrerin entdeckte sein handwerkliches Geschick und so ging er zur Lehre auf die staatliche Handwerksschule in Visby, wo er zum „Möbelsnickare“, zum Schreiner, ausgebildet wurde. Axelsson zog weiter, über München nach Stockholm, wo er durch ein Studium an der Stockholmer „Konstfack“ seine Kenntnisse im Möbel- und Innenausbau vertiefte. Gleich nach seiner Ausbildung hatte er das Glück, mit dem schwedischen Architekten Peter Celsing für die Gestaltung des Stockholmer Opernrestaurants „Operakällaren“ zusammenarbeiten zu können.

Der Bauerssohn aus Urshult an der Seite des großen Peter Celsing, der aus einer großbürgerlichen Familie stammte, das war, erzählt Axelsson, alles andere als üblich. „Ibland kunde jag titta på mina händer. Med dom kann jag göra vad jag vill. Ingen annan har mina händer,“ sagte er sich damals immer wieder, was so viel heißt wie: „Manchmal schaue ich auf meine Hände, mit denen kann ich machen was ich will. Niemand anderes hat meine Hände.“

Stühle für Gärsnäs

Mit Celsing arbeitete er noch bei zwei weiteren Projekten zusammen, beim Innenausbau des Parlaments und dem des Filminstituts, die beide 1971 fertiggestellt wurden. Anschließend machte er sich selbstständig und fiel im Rahmen eines Wettbewerbs auf, den der Möbelhersteller Gärsnäs unter dem Titel „Probok“ („Pro Buche“) initiiert hatte. Es begann eine Zusammenarbeit, die ein Leben lang halten sollte. Nachdem seine Tochter Anna samt Axelssons Schwager Dag Klockby Anfang der 1990er Jahre das Geschäft „Galeri Stolen“ in Stockholm betrieben haben, übernahmen sie 2003 den 1893 gegründeten Möbelhersteller mit seinen rund 60 Angestellten und bewahrten ihn vor dem Aus. Noch heute besteht das Portfolio von Gärsnäs zu 80 Prozent aus Objekten des sympathischen Schweden. Sein erster Stuhl, der „S-217“, ist nach wie vor im Programm, sein „Akustik Chair“ eines der Erfolgsmodelle des Unternehmens. Es versteht sich von selbst, dass fast alle seine Stühle aus Buche gefertigt sind: „Buche“, so erklärt Axelsson seine Vorliebe für diesen Holztyp, der in den 1970er Jahren durch massenhaft produzierte Möbel aus schnellwachsender Fichte verdrängt wurde, „wächst besonders langsam, ist dadurch besonders stabil und gut zu bearbeiten“.

Öffentliche Räume ausstatten

Im Lauf seiner Karriere spezialisierte sich Axelsson mehr und mehr auf die Ausstattung öffentlicher Räume, allen voran Bibliotheken und Konferenzsäle. Darunter sind Prestigeobjekte wie die Bibliothek des Parlaments oder die des Marinemuseums, die Ausstattung des Journalistenhauses oder von Restaurants wie dem „Gyldene Freden“, allesamt in Stockholm. Auch die Möbel des Schwedischen Instituts in Rom stammen von Axelsson. Seit langem schon ist Gärsnäs erster Möbellieferant des Staates, weshalb Axelsson 1995 auch zu Ehren des 25-jährigen Dienstjubiläums von König Carl Gustav XVI. im königlichen Schloss ein Zimmer mit Stühlen ausstattete, die mit ihrer breiten, geschwungene Rückenlehne an historische Vorbilder anknüpfen.

Åke Axelssons Entwürfe lassen sich schwer einordnen. Die Formen variieren stark und nehmen Anleihen an unterschiedlichen Epochen und Stilen, von der Antike über den Klassizismus bis hin zum Funktionalismus. Stühle mit einer Lehne aus Holzspeichen erinnern an Carl Malmsten, andere an Gerrit Rietveld und sein Tütensessel an Verner Panton. König der Stühle, so Axelsson, aber sei für ihn eindeutig Michael Thonet, dessen Klassiker er überarbeitet und als stapelbare Version „Linnea“ 1986 vorgestellt hat. Schon als junger Mann hatte er in den Kunsthandwerksmuseen antike Stühle analysiert und ihre Machart handwerklich verfeinert. Auch deshalb sieht es bei ihm in Vaxholm aus wie im Museum.

Nomad gibt’s übers Internet

Obwohl schon viele Schweden auf seinen Stühlen gesessen haben, kennen ihn nur wenige. Er wirkte stets im Hintergrund. Bis er vor einem Jahr das gemacht hat, was er sich seit seiner Schreinerlehre gewünscht hatte: Seine eigenen Möbel verkaufen. Dank Internet sei das heute möglich, sagt Axelsson mit einem fröhlichen Lächeln und verweist auf seinen Webshop, den Tochter Katarina betreut. Seine „Nomad Collection“ besteht aus Stühlen und Tischen für den mobilen Gebrauch, leicht, klappbar, bespannt mit blauem Segeltuch, gefertigt in handwerklicher Qualität – und natürlich aus Buchenholz. Was keineswegs als Abschied von seiner bisherigen Tätigkeit zu verstehen ist, denn pünktlich zur „Stockholm Furniture Fair“ steht Åke Axelsson wieder bei Gärsnäs auf dem Stand und stellt inmitten von jungen Kollegen wie David Ericsson oder Fredrik Färg seinen neuen Polsterstuhl „Zen Conference“ vor. „Man muss lieben, was man tut“, sagt er. Und Fredrik Färg ergänzt: „Åke ist cool“.

Der Name ist Programm: Åke Axelsson in seinem Atelier mit dem „Light and Easy" Stuhl.
Leseecke Marke Eigenbau: „Zenit II" und „Gungstol" samt Bezug von Svenskt Tenn.
Auch selbstgebaut: Axelssons Haus und Atelier in Vaxholm.
Die erste Arbeit aus Holz.
Der „Picnic" Hocker steht nur auf einer Leiste - Stabilität geben die Füße!
„Linnea" ist die stapelbare Hommage an Thonets „No. 14".
Hilft gegen Erkältung: „Wood" von Åke Axelsson, eingestrickt.

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