"Der White Cube hat ausgedient"
Anna Moldenhauer: Frau Trautwein, Sie sind die Gründerin der Farbmanufaktur kt.COLOR und Farbforscherin. Wie kann ich mir Ihre Arbeit vorstellen?
Katrin Trautwein: In der Basis bin ich Chemikerin und durch die Erforschung der Farben von Le Corbusier in den Themenkomplex Farbe, Licht, Raum, Mensch gekommen. Farben sind das wichtigste Informationssystem, mit dem wir unsere Umgebung wahrnehmen. Man kann sie nicht einfach auf einen Aspekt herunterbrechen, sie ist ein Material mit kulturellem Ausdruck. Ein mineralisches Kaminrot aus einem denkmalgeschützten Gebäude wirkt beispielsweise anders als ein künstliches Ferrarirot und ist anders aufgebaut. Über meine Bücher und in Schulungen versuche ich diesen Ansatz für das Fachpublikum verständlich zu machen.
Was hat Sie speziell an der Farbpalette des Architekten und Designers Le Corbusier fasziniert?
Katrin Trautwein: Le Corbusier hat damals mit dem Unternehmen Salubra ein Musterbuch zur architektonischen Farbgestaltung entworfen, in dem die Farben ganz konkret belegt waren, die er als wichtig empfunden hat, um seine Architektur ideal zur Geltung zu bringen. Die Farben, die er ausgewählt hat, haben eine besondere Tiefe, lassen im Zusammenspiel mit dem Licht Räume natürlich und angenehm wirken und unterstreichen die Architektur ideal. Es ist eben nicht egal ob die weiße Wandfarbe ein künstliches Titanweiß oder ein natürliches Kreideweiß ist – je nachdem nimmt sie Einfluss auf die Raumwirkung. Die Idee, dass Farbe und Form getrennte Wissenseinheiten sind, Farbe nur als Messwert zu sehen und zu einem Bereich der Pop-Psychologie zu machen, kam erst nach der Bauhaus-Zeit auf. Das ist für mich völliger Quatsch und wäre so als würde man sagen der Geschmack vom Wein hängt nur davon ab wie rot er ist.
Sie haben bei der Restaurierung des berühmten Hauses E.1027 von Eileen Grey und Jean Badovici in Südfrankreich mitgewirkt, die Farben identifiziert und rekreiert. Welche Rolle hat Eileen Grey der Farbe für das Projekt zugesprochen?
Katrin Trautwein: Das Haus von Eileen Grey ist der Versuch die Formalismen der Moderne zu nehmen und etwas Sinnliches daraus zu machen, den Bedürfnissen der Seele Raum zu geben. Farben waren für sie hierfür sehr wichtig. Das Weiß, das sie ausgewählt hat, entspricht so dem der Kieselsteine am Strand des Hauses, die die Lichtstimmung über reflektierende Pigmentteilchen wunderschön reflektieren. Ebenso das Blaugrau, dass den beruhigenden Effekt des Dämmerlichts verstärkt. Im E.1027 stellt sie eine Beziehung her zwischen Innen und Außen, zwischen dem Rhythmus der Natur und dem Menschen im Raum. Das hat sie über die Farbe erreicht. Beim Eingang erlebt man so eine Dramaturgie von Blautönen, die einen mit dem Gang ins Haus zur Ruhe kommen lassen. Es ist, als würde man von flachem Wasser in das Meer eintauchen, von Grün-Blau über Türkis-Blau bis zu Dunkelblau, wunderschön. Sie hat es sehr klug und mit einem Augenzwinkern über Details und Kontraste geschafft, den Mensch mit dem Ort zu verbinden. Ihre Gestaltung war getragen von der Vorstellung, dass der Innenraum eine bessere Beziehung des Menschen zu seiner eigenen Natur, zu seinem Zentrum bieten kann.
Auch in der Gestaltung von Orten für das neue Arbeiten wird die Farbe eine zentrale Rolle spielen – tragen Architekten aktuell die Fragestellung nach dem idealen New Work-Farbensemble an Sie heran?
Katrin Trautwein: Ja, immer mehr. Ich glaube der White Cube hat ausgedient. Ein Raum, der dem Auge schmeichelt, muss im Büro nicht anders aussehen als in der Wohnung. Je monochromer die Umgebung ist, umso künstlicher wirkt sie und ist zudem anstrengend für unsere Augen. Monochrom weiße Räume, die mit Titandioxid gestrichen sind, wie sie landauf, landab zu sehen sind, strengen unsere Augen sogar an.
Also sollte es in der farblichen Gestaltung von Arbeitsräumen eher um die Bedürfnisse des Menschen gehen und wie unsere Augen auf Farben reagieren?
Katrin Trautwein: Absolut. Es geht um diskrete Kontraste. Wenn ich eine schwarze Schreibtischplatte habe, öffnet sich der Sehschlitz, ich kann mich besser auf meine Aufgaben konzentrieren. Ist die Platte weiß, zieht sich der Sehschlitz zusammen, weniger Licht dringt in das Auge, das Sehen wird anstrengender. Wenn ich zudem harte Kontraste zwischen den Farben im Büro habe, wie bei den Wandfarben oder dem Interior, müssen meine Augen ständig auf- und abblenden. Sind die Farben abgestimmt und harmonisch, kann ich Details besser sehen und mit den Augen in einem Mittelwert der Blende bleiben. Eigentlich sollte man in der Farbwahl denken wie ein Landschaftsgärtner: Wenn alles gleich ist, wird es langweilig, aber zu viele harte Kontraste lassen die Umgebung visuell zu laut werden. Unsere evolutionäre Intelligenz ist verknüpft mit den Kontrastlandschaften um uns herum. Und je wohltuender die sind, umso mehr Energie habe ich frei für meine Arbeit.
Was halten Sie von Trendfarben, die regelmäßig ausgerufen werden?
Katrin Trautwein: Ich halte gar nichts davon. Wenn ein Raum wohltuend ist, wechselt man nicht ständig seine Farbe. Sicher ist das nicht geschäftsfördernd, aber ich animiere nicht dazu einen Raum entsprechend eines Trends zu verändern, das ist keine nachhaltige Praxis.
Was schätzen Sie an natürlichen Farben?
Katrin Trautwein: Wenn man alte Farbproben unter dem Mikroskop anschaut, sind das immer farbige Spektakel, sie reagieren sehr schön auf den Rhythmus des Tageslichts, entfalten Wärme und nehmen Stimmungen auf. Naturpigmente haben das in sich, und wir arbeiten damit, um diese Lebendigkeit in unseren Farben zu erzielen. So werden sie untereinander auch dialogfähig, da jede Farbe in der Natur immer ein Stückweit auch Details der anderen in sich trägt. Über die Vielfarbigkeit korrespondieren sie miteinander. Künstliche Farben können dieses Spektrum über eine schlichte Abtönung nicht leisten, die Wechselwirkung mit dem Licht ist nicht gegeben.
Le Corbusier hat sich bei der Entwicklung seiner Tapeten auf 63 Farben beschränkt. Ist weniger Auswahl der idealen Farbgestaltung in der Architektur Ihrer Meinung nach zuträglich?
Katrin Trautwein: Absolut. Eine übersichtliche Anzahl an Farben kann ich kontrollieren, da kenne ich die Wechselwirkungen. Umso mehr Abstufungen ich verwende, umso schwieriger wird es. Statt um eine möglichst große Auswahl an Abstufungen sollte es mehr um die Qualität der Farbe und um die Pigmente gehen, wie bei einem anderen Material auch.
Gibt es Aspekte in dem Umgang mit Farbe im Fachbereich Architektur und Design, die Sie gerne verändern möchten?
Katrin Trautwein: Ich würde mir wünschen, dass das Farbthema in der Gänze und das malende Handwerk ernster genommen wird, denn Farbe ist die Haut der Architektur. Für mich macht es keinen Sinn viel Zeit und Geld in die Struktur und Form zu investieren und dann alles mit einem schlichten, künstlichen Weiß zu überstreichen, das die Raumatmosphäre wieder abwertet. Es wäre mein Wunsch, dass das Thema Farbe wieder im Lehrplan der Architektur erscheint, denn sie bestimmt die Wahrnehmung der Form. In unserer digital geprägten Zeit müssen wir zudem Farbe anders denken. Die Farbe, die wir auf einem Bildschirm sehen, lässt sich nicht 1:1 in den Raum übersetzen, denn dort erhält sie im Zusammenspiel mit Form und Licht einen anderen Charakter. Die richtige Farbe an der Wand setzt den Menschen in Beziehung zur Architektur, das müsste den Architekten eigentlich gefallen. Trotzdem fehlt oft der Mut zum Experiment und man greift doch lieber zum künstlichen Weiß. Das würde ich gerne ändern.
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