Kantonal, rot, tricky
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von Michael Kasiske
08.12.2013 Bis zum Alter von 50 Jahren werden Architekten gemeinhin noch jung genannt. Offensichtlich ist das im Design nicht anders, denn die drei Zürcher Produktgestalter, die im Rahmen der „Neuen Räume“ als „Junge Designer“ vorgestellt werden, sind 37, 40 und 45 Jahre alt. Doch die Abgrenzung gilt einerseits zum Nachwuchs, der unter „Young Labels“ firmiert, andererseits zu etablierten Gestaltern wie etwa Alfredo Häberli oder Studio Hannes Wettstein, bei denen die drei teilweise gearbeitet haben. Für Moritz Schmid, den Jüngsten, ist Häberli wichtig geblieben, nämlich als Kurator des Ateliers Pfister. Diese Produktlinie verfolgt den Anspruch, gutes Mobiliar kostengünstig anzubieten Daraus ist in den vergangenen drei Jahren eine beachtliche Kollektion entstanden, die mit zwinkerndem Auge der Nation huldigt: Der Name des Produkts muss aus dem Heimatkanton des jeweiligen Designers sein. Schmids Stuhl heißt deshalb auch „Eriz“ nach einer kleinen Gemeinde im Kanton Bern. Aus Esche gefertigt, scheint erst die sichtbar angeschraubte Lehne aus dem Hocker einen Stuhl zu machen. Holz ist neben Glas der bevorzugte Werkstoff des Designers, der sich vor fünf Jahren im aufstrebenden Langstrassenquartier selbständig gemacht hat. Dem bei Röthlisberger geführten Sideboard „Etage“-Regal ist anzusehen, dass Schmid lange an der ovalen Form und der exakten Ausführung gefeilt hat. Das Gestell besteht aus massiver Eiche, die verschiebbare Hülle aus Eichenfurnier und die Gleitschienen aus Arura Vermelho-Holz, das eine außergewöhnlich glatte Oberfläche aufweist. Hinter dem signifikanten Holzgriff befindet sich ein Haken, der die Hülle in der gewünschten Position hält. Mit Tablaren und massiven Buchstützen lässt sich das Innenleben ordnen. Für diese Hommage an den „Wert des Holzes“ erhielt Schmid den „Schweizer Design Preis 2013“. Mit Röthlisberger arbeitet Schmid auch aktuell für den Entwurf einer Sitzbank zusammen, die auf der Buchmesse Leipzig zum Verweilen auf dem Stand der Schweiz, dem Gastland 2014, einladen wird. Die einzige Vorgabe war die Nationalfarbe Rot. An dem strukturell leicht verständlichen Möbelstück fallen die tropfenförmigen Querschnitte für die Sitz- und Lehnbohlen auf, wobei die hintere Sitzbohle lediglich der visuell „stimmigen Balance des Objekts“ dient, wie Schmid erläutert. Als Innenraumgestalter reüssierte er mit dem Zürcher Showroom des dänischen Textilherstellers Kvadrat. Um die Lage in einem Kellerlokal konzeptionell aufzufangen, präsentiert er Stoffbahnen als textile Wandbekleidung wie eine zweite Ebene im Raum. Des Weiteren zeichnet Schmid für das Design der aktuell im Museum für Gestaltung laufenden Ausstellung „Vintage“ verantwortlich. Mit zahlreichen Möbeln kann der vierzigjährige This Weber aufwarten. Sein Atelier nahe dem Zeughaus gleicht einem Werklabor, was an seiner ersten Ausbildung als Maschinenmechaniker liegen mag. Zunächst im Schmuckdesign tätig, machte er sich nach Stationen in der Produktentwicklung von Thonet sowie den Büros Häberli Marchand und Hannes Wettstein vor drei Jahren selbständig. Weber zielt in seinen Entwürfen auf den sparsamen Umgang mit Material ab. In diesem Sinn hat er den Stuhl „Ono“ für Dietiker entwickelt, eine Referenz an Willy Guhl, der in den 1950er Jahren für den gleichen Hersteller einen erfolgreichen Stuhl entworfen hat. Der serienmäßig in Buche gefertigte Ono ist trotz seiner nicht ausgestellten Hinterbeine stapelbar. Aus dem Einzelobjekt hat Weber sukzessive eine Familie entwickelt: Armlehnstuhl, Lounge Chair, Barhocker und Tisch. Seine Serie „Bellevue“ war hingegen von Anfang an mit unterschiedlichen Typen geplant. Denn Weber richtete die von der italienischen Firma Very Wood produzierten Sitzmöbel auf den Einsatz in Hotels aus. Hier steht der augenfällige Komfort im Fokus, das heißt, die Kanten der Sitze aller Objekte sind rundherum gepolstert und strahlen dadurch eine dezente Gemütlichkeit aus. Für Atelier Pfister ist es Weber mit dem Stuhl „Wila“ gelungen, die Vorgabe von Häberli einzuhalten, einen Stuhl mit einem Verkaufspreis unter 200 Schweizer Franken (162 Euro) zu entwickeln. Weber kreierte eine Schalenform, die in Kunststoff (oder teurer in Leder) gefertigt wird; separat dazu können Untergestelle in Metall oder Holz kombiniert werden. Die eleganten Stühle sind für In- und Outdoornutzung geeignet. Ein weiteres Objekt von Weber im Programm von Atelier Pfister ist die Leuchte „Watt“. Für den Designer ist die „Leuchte wie ein weißes Hemd“. Außergewöhnlich ist die Herstellung des wie gestärkter Flies wirkendes Cocooning-Material: Auf das rotierende Gestell wird ein Kunststofffaden gespritzt, der sich wie der einer Seidenspinne um die Form legt und zu einer Fläche verdichtet. Der Produktdesigner Jörg Boner ist bereits seit 2001 selbstständig. Ihm liegen über das Objekt hinaus auch Interior Design. Seine Ideen erläutert er deshalb anhand einer Raumgestaltung in der Remise des Museums Rietberg. Tagsüber findet dort vor allem Kunstvermittlung für Kinder statt, abends hingegen festliche Events wie Vernissagen oder Dinners. Das Museum beauftragte Boner, die „schnöde Mehrzweckhalle“ in einen Raum umzugestalten, der beiden Ansprüchen genügt. Der Designer wollte auf der materiellen Ebene einen durch seine Oberflächen charakterisierten Raum, auf der ideellen Ebene verschrieb er sich der Idee eines Ateliers oder Kunstwerkstatt. Deshalb entschied er sich für einen Wassertrog mit Armaturen, wie sie aus Waschküchen bekannt sind. Als Stauraum für die Materialien der Kunstvermittlung bestückte er zwei Wände mit Regalen, in denen sich Holzschübe befinden. Dafür setzte er jedoch hochwertiges Material ein, nämlich massive Eiche. Ein schönes Detail ist die an den Regalböden befestigte Metallschiene, an der Kinder ihre Zeichnungen mit Magneten aufhängen können. Zum Sitzen entwarf Boner einen von Röthlisberger hergestellten Klappstuhl aus Holz, der Details aus Aluminiumstahl und auch eine metallicfarbende Lackierung aufweist. Die Mimikry dient dem Komfort und der Werkstattästhetik gleichermaßen. Das gilt auch für die drei Reihen mit Leuchtkegeln, die das Licht in den Innenraum lenken und die Regale, die abends nicht benötigt werden, im Schatten lassen. Das zentrale Element ist ein Tisch aus einem sehr stark marmorierten Stein. Dieser wurde in der Vergangenheit aufgrund seiner Opulenz vor allem in katholischen Basiliken eingesetzt. Mit zwei Tonnen Gewicht bildet der Tisch gleich einem Altar einen unverrückbaren Orientierungspunkt. Mit ihren Arbeiten zeigen die drei Designer, dass sie jenseits der gewohnten Sachlichkeit individuell auf die Anforderungen des Kunden eingehen und zu unerwarteten, gar spielerischen Lösungen kommen. Es bleibt zu wünschen, dass das über das „Jungdesignersein“ erhalten bleibt. |