top
Qi-Modul inklusive: Das Berliner Label New Tendency bietet sein Arbeitstischsystem "Masa" neuerdings mit induktiver Ladefunktion an.

Kabellos glücklich

Wir hängen am Gängelband unserer elektronischen Endgeräte – noch. Denn dank kabelloser Stromübertragung wird jetzt die ganze Wohn- und Büroeinrichtung zur Ladestation.
von Jasmin Jouhar | 16.03.2018

Was schaut denn da unterm Bett hervor? Ein Ladekabel! Auf der Arbeitsplatte in der Küche, zwischen Spülschwamm und Schneidbrett: noch eins. Besonders schön sieht das Kabelknäuel auf dem Sofatisch aus. Und am Arbeitsplatz gibt es sowieso täglich: Kabelsalat. Oft beklagt, aber nie wirklich gelöst – die Verkabelung unseres Alltags ist so hässlich wie notwendig. Doch jetzt kann das Gängelband der elektronischen Endgeräte gekappt werden, dank kabelloser Stromübertragung. Die Technologie dazu gibt es zwar schon lange (Stichwort elektrische Zahnbürste), doch erst seit Apple kürzlich Telefone vorgestellt hat, die sich per magnetischer Induktion aufladen, kommt Schwung in das Thema. Damit hat Apple auch das Rennen um den technischen Standard entschieden. Alle großen Gerätehersteller statten ihre Produkte mittlerweile mit Technik basierend auf dem Qi-Standard aus. So viel Kompatibilität sind wir Nutzer gar nicht gewöhnt. Kaum zu glauben, aber in wenigen Jahren wird das Drama des vergessenen Ladegerätes wohl nur noch eine Anekdote in lustiger Runde sein. Im Flughafen, im Café, im Hotel – überall wird es Ladepunkte geben. Kleiner Nachteil der Technologie: Während des Aufladens kann man nicht telefonieren, denn Stromübertragung per Induktion funktioniert lediglich über kurze Distanzen.

Nun braucht es nur noch die Ladestationen, die das Mobiltelefon mit Strom versorgen. Schon für unter zwanzig Euro bekommt man einfache Ladepads, kleine, runde Teller aus Kunststoff. Aber es geht natürlich auch schicker, es gibt Stationen aus Kork, Holz, Aluminium, Textil oder sogar Marmor. Da müsste für jeden Geschmack etwas dabei sein. Schließlich werden die Geräte automatisch Teil der Einrichtung – ein schwarzes Plastikufo macht sich im Hygge-Wohnzimmer nicht so gut. Allerdings sind die Ladestationen eigentlich nur ein Übergangsphänomen, denn in ihrer Funktionalität sind sie nah dran am herkömmlichen Kabel mit Stecker. Ein Gerät wird einfach durch ein anderes ersetzt. Einige Designer und Hersteller sind da schon weiter und bauen die Ladefunktion in Gebrauchsgegenstände und Möbel ein. Eine elegante Lösung, weil die Technik unsichtbar und das Laden mühelos zum Teil der alltäglichen Abläufe wird. Das Telefon ablegen, und schon fließt Strom. 

Vorreiter: Ikea bietet bereits seit längerem Wohnprodukte mit praktischen Ladeflächen an, wie Arbeitsleuchten.

Induktives Accessoire

Vorreiter war übrigens Ikea, die Schweden bieten schon länger entsprechend ausgestattete Wohnprodukte an. Besonders sinnvoll: die Arbeitsleuchte mit Ladefläche im Fuß. Denn Leuchten hängen am Stromnetz, und auf dem Schreibtisch liegt das Telefon bei der Arbeit meist sowieso. Ähnlich einleuchtend ist es, das Qi-Modul im Fuß eines Computermonitors unterzubringen, wie bei einem aktuellen Modell von Asus. Die kabellose Stromversorgung lässt sich auch gut mit Schreibtischaccessoires verbinden, wie die Konzepte verschiedener Designbüros aus der letzten Zeit zeigen. Schalen, Tabletts, Utensilienbehälter oder sogar die gute, alte Tischuhr bieten zusätzlichen Ladeplatz für das Mobiltelefon – aber auch für andere Stromsauger wie tragbare Lautsprecher, mobile Akkus oder Ventilatoren. Das Londoner Unternehmen Fonesalesman hat gerade einen mobilen Lautsprecher auf den Markt gebracht, der – mit dem Stromnetz verbunden – auch als kabelloses Ladegerät dienen kann. Da entwickeln sich neue, hybride Typologien, deren Möglichkeiten sicher längst nicht ausgereizt sind. Klaus Böckmann, Produktmanager für die Marke Evoline, denkt noch weiter: "Das theoretische Anwendungsgebiet ist sehr groß", sagt er. "Aktuell beschränkt sich die Qi-Technologie weitgehend auf mobile Endgeräte wie Smartphones und Wearables. Es gibt aber auch schon die Idee, ganze Schreibtische induktiv zu versorgen. Vielleicht werden in Zukunft beispielsweise auch Haushaltsgeräte drahtlos auf die Arbeitsplatte gestellt." Das Kabel oder gar die Steckdose würden aber nicht aus unserem Leben verschwinden, egal wie weit sich das induktive Laden verbreite, so Böckmann. "Auch induktive Ladestationen müssen ja weiterhin mit Energie versorgt werden."

Bis ganze Oberflächen elektrifiziert sind, wird es wohl noch dauern. Einstweilen müssen wir uns mit Möbeln begnügen, in die einzelne Qi-Module eingebaut sind. Doch das Angebot wächst: Das Berliner Label New Tendency beispielsweise bietet sein Arbeitstischsystem "Masa" neuerdings mit induktiver Ladefunktion an. Fonesalesman vertreibt unter dem Namen "Furniqi" auch einen klassischen, vierbeinigen Beistelltisch aus Bambus. Ein in die Platte gravierter Ring markiert die Ladezone. Weitere Interior-Marken werden diesem Beispiel sicher folgen. Wer darauf nicht warten will, kann sich seine Möbel natürlich auch selbst elektrifizieren. Eine kurze Internetrecherche fördert jede Menge DIY-Anleitungen zutage. Die notwendigen Qi-Module gibt es von verschiedenen Herstellern, auch Evoline hat mit "Evoline Charger Qi" ein Produkt zum Untertischeinbau im Programm. Zum kabellosen Glück braucht es dann nur noch ein wenig handwerkliches Geschick.

Individuelle Energie: "Let's Flamingle" von Marie Wolt
"White Marble" von Marie Wolt
"Evoline Square80" bündelt viele Lösungen in einem Produkt: Die Steckdose ist um einem USB-Charger, eine induktive Ladestation und optional mit einem Netzwerkanschluss ergänzt.