Orgatec 2018
Das perfekte Büro
Anna Moldenhauer: Jonathan, würdest du sagen die Arbeitskultur unserer Gegenwart ist positiv zu bewerten?
Jonathan Olivares: Ich denke, es ist eine sehr optimistische Zeit für die Arbeitskultur. Unsere gesamte Gesellschaft organisiert sich neu, mit zunehmender Freiheit wo und wie Menschen arbeiten. Das ist weitestgehend auf den Wandel der sozialen Werte und der Kommunikationstechnologien zurückzuführen. Menschen sind erfinderisch und haben im Allgemeinen gute Absichten, so dass die Zukunft besser sein könnte, als einige der düsteren Vorhersagen bisher klingen. Die Präsentation für Vitra zeigt eine Vielzahl von Umgebungen, in denen öffentliche Räume und Büros miteinander verschmelzen. Für mich ist es eine Installation über die Arbeit an sich, daher haben wir sie "Work" genannt und nicht "Office". Das Büro ist nur ein Werkzeug, das darauf reagiert, wie Menschen arbeiten.
Gibt es im Büro der Zukunft keinen Platz mehr für den klassischen Schreibtisch?
Jonathan Olivares: Er hat einen Platz; aber der ist ein bisschen kleiner als bisher, weil der Schreibtisch zu einer von vielen Optionen wird. Was ein gutes Büro heute ausmacht, ist die Vielfalt der Möglichkeiten zu arbeiten — sei es in der ruhigen Bibliothek, im sozialen Zentrum, im Café, in der Lounge oder im Park.
Warum, glaubst du, ist das der Fall?
Jonathan Olivares: Zusammenarbeit war das Schlagwort des letzten Jahrzehnts und hat die Denkweise beeinflusst wie Unternehmen heute arbeiten. Menschen brauchen Orte, an denen sie sich informell treffen können und dafür gibt es zahlreiche Möglichkeiten. Die Art und Weise, wie wir mit unseren Laptops und Smartphones arbeiten — anstatt vor einem PC zu sitzen — hat auch die Arbeitsumgebung verändert. Und im Bezug auf den Arbeitsort wird man in der Wahl immer freier. In den USA sind inzwischen 20 Prozent der Mitarbeiter freiberuflich tätig. Viele Menschen haben sich daran gewöhnt, von überall zu arbeiten. Was wir in der Welt sehen und bei "Work" zeigen, ist die Idee, dass das traditionelle Büro von all diesen Orten beeinflusst wird.
Das Standkonzept für Vitra auf der Orgatec hast du gemeinsam mit der Architektin Pernilla Ohrstedt entworfen. Die einzelnen Bereiche sind nur grob definiert und lassen viel Raum für Bewegung. Ist die Präsentation von Vitra als eine Art Mikrokosmos der heutigen Arbeitswelt gedacht?
Jonathan Olivares: Ja. Wir haben drei Designer von Vitra gebeten, Räume zu realisieren, Konstantin Grcic, Sevil Peach und das Duo Jay Osgerby & Edward Barber. Jeder Raum wurde sehr unterschiedlich gegliedert. Konstantins Raum sollte eine superflexible Werkstatt für ein Start-up sein, die Stagnation vermeidet, indem alles in Bewegung bleibt. Jay und Edward entwarfen ein Arbeitsumfeld für ein kreatives Unternehmen mit der komfortablen Bestuhlung einer Lobby. Sevil hat ein Umfeld für ein etabliertes Unternehmens entworfen, das "Company Home". Alle Räume sind mit einer Collage aus Vitra-Möbeln ausgestattet und in enger Beziehung zur architektonischen Einfassung konzipiert, die in Zusammenarbeit mit dem Hersteller Rieder entstand. Wir wollten, dass jeder dieser Räume öffentliche Bereiche enthält. Konstantins Raum hat so eine spanische Treppe und ein Café. Sevils Raum hat ein Restaurant und einen Garten. Und Jay & Edwards Raum ist vom Aufbau einer Hotel-Lobby beeinflusst. Die Eingangshalle hat eine Piazza und einen Marktplatz mit Kiosk. Die Idee ist also, die Vielfalt der öffentlichen Räume zu zeigen, die das Büro beeinflusssen und dem Besucher zu ermöglichen zwischen diesen flexibel zu wechseln.
Ist ein Teil dieser Idee auch zu zeigen, wie man in einem Arbeitsumfeld verschiedene Szenarien miteinander verbinden könnte?
Jonathan Olivares: Ja. Vitra nennt diese Idee gerne "Collage", bei der Räume durch Farbe und Materialien miteinander verbunden sind, so dass Kohärenz und Konsistenz entstehen.
Du arbeitest an den Schnittstellen zwischen Industrie-, Raum- und Kommunikationsdesign. Wie zeigt sich das in dem Konzept für Vitra?
Jonathan Olivares: In der Messearchitektur mischen sich diese Disziplinen. Pernilla und ich haben "Work" das zweite Mal für Vitra erstellt und das Hauptkonzept bleibt das gleiche. Wenn du dir ein großes Unternehmen anschaust, hast du das Gefühl eine kleine Stadt zu besuchen. Die Inspiration für "Work" waren daher kleine Städte im amerikanischen Westen des 18. und 19. Jahrhunderts. Der zentrale Korridor ist wie die Hauptstraße, mit Geschäften auf der linken und rechten Seite. Unsere Bezüge in diesem Jahr stammen alle aus der städtischen Umgebung. Eine Baldachindecke mit einem silberen Netz erinnert beispielsweise an eine Fassadenverkleidung innerhalb eines städtischen Gefüges. Zudem haben wir eine Publikation mit dem Titel "where to work better" herausgegeben, worüber ich mich sehr freue, denn sie enthält einige starke Botschaften. Es ist im Grunde genommen eine Zehn-Punkte-Liste, die den Besucher darüber informiert, was unsere Idee einer idealen Arbeitsumgebung ist.
Pernilla Ohrstedt und du haben das Konzept "Work" zum zweiten Mal gemeinsam für Vitra kreiert. Wie kann man sich die Zusammenarbeit vorstellen?
Jonathan Olivares: Pernilla und ich haben viel gemeinsam, daher hat sich über die gemeinsame Arbeit eine Freundschaft entwickelt. Das erste Projekt, das wir für Vitra realisiert haben, war 2015 der Vitra Workspace auf dem Campus Weil am Rhein. Anschließend haben wir Vitras Präsentation auf der Orgatec 2016 erstellt und zwei Publikationen, "An Office Perspective" und "Workspirit", veröffentlicht. Am Anfang eines Projektes arbeiten wir eng zusammen, danach hat jeder seine eigene Verantwortung. Manchmal überraschen wir uns gegenseitig und das ist gut so. Aber oft sind wir synchron.
Welches Arbeitsumfeld bevorzugst du persönlich?
Jonathan Olivares: Ich habe das Essay "Notes on working from anywhere" für Vitra geschrieben, das ist ein Text darüber, wo ich arbeite und wie ich arbeite. Ich habe kein Büro mehr und arbeite von verschiedenen Orten aus. Ein Drittel des Jahres reise ich, das heißt ich arbeite von Flughäfen, Flugzeugen, Hotels und Cafés aus. Selbst wenn ich nicht auf Reisen bin, arbeite ich gerne an anderen Orten, wie Bibliotheken, Forschungseinrichtungen, Cafés, gemieteten Werkstätten oder sogar Skateparks.
Welchen Vorteil hat dieses flexible Arbeitskonzept für dich?
Jonathan Olivares: An einem bestimmten Punkt habe ich mich dazu entschieden, nicht mehr zwischen meiner Arbeit und den Aktivitäten zu unterscheiden, die ich zum Vergnügen mache. Ich betrachte alles, was ich tue, als Teil des Ganzen. Manchmal gehe ich in den Skatepark, um zu arbeiten, weil es für mich eine sehr entspannende und unterhaltende Umgebung darstellt. Ich genieße im Hinblick auf meinen Arbeitsplatz einen hohen Grad an Freiheit. Das hängt natürlich mit den Gegebenheiten meines Berufs zusammen. Ich bin Designer und arbeite nicht für ein einzelnes Unternehmen. Der Vorteil ist, dass ich dank dieser Arbeitsweise Aspekte sehe, die ich sonst nicht wahrnehmen würde, und sie in meine Arbeit einfließen lassen kann.
Konstantin Grcic ist einer der Designer, die für die Vitra-Präsentation ihre Vision einer Arbeitsumgebung entworfen haben. Du hast bereits während deiner Ausbildung mit ihm zusammengearbeitet. Gibt es etwas, das du von ihm in deinen Rhythmus übernommen hast?
Jonathan Olivares: Ich habe mit Konstantin gearbeitet, als ich 24 Jahre alt war. Diese Erfahrung hat mir einige große Lektionen für das Leben vermittelt, in Bezug darauf wie rigoros und engagiert man sein muss, um gute Arbeit zu leisten. Als ich mein eigenes Büro in Boston eröffnete, hatte ich nur einen Anhaltspunkt dafür, wie ein Designbüro aussehen könnte und das war Konstantin. Also mietete ich ein Büro und ging dort von 8 bis 20 Uhr sechs Tage die Woche hin. Später habe ich versucht meinen eigenen Rhythmus zu finden. In Los Angeles zu leben hat mir dabei geholfen — viele meiner Freunde sind Künstler oder Architekten und der Zeitunterschied zu meinen Kunden beträgt bis zu neun Stunden. Mit diesem Umfeld ist mein Zeitplan viel entspannter als früher. Ich arbeite wann ich will und wo ich will. Aber ohne die Strenge und Konzentration, die ich damals gelernt habe, wäre es mir heute unmöglich, so frei zu arbeiten.
Ich habe während der Recherche gelesen, dass du den ständigen Drang zur Innovation kritisch betrachtest. Glaubst du, dass es zu viel Druck in der Branche gibt?
Jonathan Olivares: Eames hat mal "Innovation als letztes Mittel" bezeichnet. Es gibt so viele bewährte und gute Lösungen da draußen. Manchmal geht es beim Design darum, auf dem bereits Erreichten aufzubauen oder es zu verändern, anstatt bei Null anzufangen. In der Geschichte gibt es spannende Traditionen, mit denen man arbeiten kann.
Ist es dir wichtig den Menschen in den Mittelpunkt deiner Konzepte zu stellen?
Jonathan Olivares: Ja. Wir kreieren am Ende des Tages Dinge für die Menschen. Ich denke, Vitra ist sich dessen sehr bewusst, und darüber, wer ihre Kunden sind. Deshalb macht es Spaß, mit ihnen zusammenzuarbeiten, weil sie wirklich fragen, ob das was wir tun für ihr Publikum klar genug ist. Wir müssen eine Erfahrung schaffen, die verantwortungsbewusst, lehrreich und angenehm ist. Das Leben ist kurz, also umso besser, wenn die Erlebnisse die man hat so positiv wie möglich sind.
Du lebst seit einigen Jahren in Los Angeles. Inwiefern unterscheidet sich die amerikanische Idee eines Arbeitsumfeldes von der europäischen Idee?
Jonathan Olivares: Die Unterschiede liegen eher in der Architektur, in der Art und Weise, wie Bürogebäude gebaut werden. In den USA gibt es eine große Bewegung in Richtung der Urbanisierung von Unternehmen. In den letzten fünfzig Jahren war Europa führend bei den Vorschriften für Gesundheit und Wohlbefinden am Arbeitsplatz. Es gibt natürlich Unterschiede zwischen den USA und der EU. Aber ich denke, es gibt immer mehr Gemeinsamkeiten, die sich daraus ergeben, dass sich alle Gesellschaften an radikale Veränderungen in der Kommunikationstechnologie anpassen mussten.