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RETAIL
Verachtet mir die Meister nicht

John Pawson hat für Jil Sander im Tokioter Bezirk Omotesando einen neuen Flagshipstore gestaltet.
07.11.2018

Der erste Jil Sander-Flagshipstore, der 1993 in der Avenue Montaigne in Paris eröffnete, war eine Liebeserklärung an den Minimalismus, den die deutsche Designerin auch in ihrer Mode zelebrierte. Gemeinsam mit dem Architekten Michael Gabellini gestaltete Sander ein Interieur, das vor allem vom Spiel des Lichtes auf hellem Sandstein und den weißen Wänden lebte und das den Räumen einen fast schon sakralen Charakter verlieh. Seitdem hat die Modemarke diverse Wendungen hinter sich. Das Unternehmen wurde verkauft und weiterverkauft. Sander verließ ihr Label, kehrte zurück und ging erneut. Von 2005 bis 2012 führte dann Raf Simons als Chefdesigner die Marke erneut zu Weltruhm. Nach seinem Ausscheiden wurde es allerdings ruhig. Seit 2017 haben nun Lucie und Luke Meier ihren Posten als Kreativdirektoren angetreten und schicken sich an, das Modelabel zu altem Glanz zurückzuführen. 

Der neue Flagshipstore der Marke in Tokio hat deshalb durchaus Manifest-Charakter. Die Meiers haben für das Projekt einen Architekten ausgewählt, der mit dem Jil Sander-Erbgut fast wahlverwandtschaftlich verbunden scheint: John Pawson. Sein Entwurf greift vieles auf, was gleichfalls für Gabellini und Sander im Zentrum stand: Auch Pawsons Entwurf lebt von der Materialität, auch ihn geht es um Atmosphäre durch Reduktion. Und dennoch ist das Ergebnis ganz anders: Während Sander und Gabellini die Leere regelrecht inszenierten, versucht Pawson dem Ladenlokal in Tokio größtmögliche Gelassenheit einzuschreiben. Schon durch das Schaufenster, das sich über die ganze Ladenfront erstreckt, erfasst man den gesamten Store. Wobei der Begriff "Schaufenster" falsch ist weil, abgesehen von den Geschäftsräumen selbst, nichts zur Schau gestellt wird. Durch das Fenster blickt man zunächst durch einen Luftraum in das Untergeschoss hinab, wo ein Großteil der Ladenfläche liegt. Über diese Öffnung führt ein breiter Treppenlauf ein Halbgeschoss nach oben, wo sich weitere Verkaufsflächen befinden. 

Den vielleicht wesentlichsten Einfluss auf die Stimmung der Räume hat die großzügige Verwendung von Kirschholz, das Pawson für Wandverkleidungen, Regaleinbauten und Möbel verwendet. Die Orientierung an der japanischen Tischlertradition bei der Formfindung ist unübersehbar. Der aus Sandsteinplatten gefertigte Boden und die Kleiderstangen aus Stahl stellen dagegen wieder die Verbindung zum Store in der Avenue Montaigne her. Ein ausgesprochen vielfältig deutbares Einrichtungsstück ist eine Braun Wand-Stereoanlage aus den 1960er Jahren, entworfen von Dieter Rams, die Pawson am Treppenabgang platziert hat. Sie ist Verweis auf die deutsche Designtradition, in der die Marke Jil Sander ebenso steht wie Rams. Es ist aber auch ein gutgestaltetes Wohnobjekt, dass den fast privaten Charakter der Räume unterstreicht. Nicht zuletzt ist es ein Zeichen der Hochachtung vor dem Gestalter aus Kronberg, die Pawson und die Meiers eint. (fap)