Das Deutsche Architekturmuseum in Frankfurt am Main zeigt die Ausstellung „Das Architekturmodell – Werkzeug, Fetisch, kleine Utopie“. Zu sehen sind knapp tausend Exponate, der Schwerpunkt liegt auf Modellen des 20. und 21. Jahrhunderts. Nina Reetzke im Gespräch mit dem Kurator Oliver Elser. Nina Reetzke: Wird Architekturmodellen inzwischen ein ähnlicher Sammlerwert beigemessen wie Kunstwerken oder Designobjekten? Oliver Elser: Viele Modelle in unserer Ausstellung haben durchaus hohe Versicherungswerte. Aber es gibt keinen Markt für Modelle, der vergleichbar wäre mit dem Kunstmarkt. Zumindest nicht, was Werke zeitgenössischer Architekten betrifft. Aber ein Korkmodell aus dem frühen 19. Jahrhundert – da werden hohe Preise aufgerufen. Allerdings haben einige Architekten versucht, ihre Modelle in den Kunsthandel einzuschleusen. Wir zeigen eine Edition der österreichischen Architektengruppe Haus-Rucker-Co aus dem Jahr 1973: Ein Einweckglas mit einer romantischen „Urhütte“ in Form einer Lattenscheune aus dem Modelleisenbahnsortiment. Ein Kommentar zur Umweltzerstörung und zur Naivität von Heile-Welt-Utopien. Auflage fünfzig Stück. Auch einen frühen Peter-Eisenman-Entwurf zeigen wir: Auflage des Modells: drei Stück, Preis im Jahr 1980: 3.000 D-Mark. Inwiefern sind Architekturmodelle keine Stellvertreter von Gebäuden, sondern eigenständige Objekte? Elser: Ein Modell zeigt oft die Essenz eines Gebäudes: So, wie es im Modell dargestellt ist, wollte der Architekt das Gebäude realisiert sehen. Manchmal klappt es ja nicht in der Realität – dann dient das Modell als Fetisch, als „Ersatzhandlung“. Jedes Modell ist eine Interpretation: Dinge werden weggelassen, Effekte werden verstärkt. Wie bei dem Modell von Kolumba von Peter Zumthor, bei dem die Ziegelfassade viel plastischer ausgeführt ist als bei dem tatsächlich gebauten Museum. Oder bei dem Modell von Mies van der Rohes Resor-House, einer Leihgabe aus dem MoMA in New York: Mies hatte den Auftrag längst entzogen bekommen und trotzdem baute er noch ein, zwei Modelle, die zeigen, was ihm damals wichtig war, aber viel zu teuer gewesen wäre. Welchen Einfluss haben entwerferische Darstellungsmittel auf das bauliche Ergebnis? Elser: Die Modelle des Architekten und Konstrukteurs Frei Otto zeigen wie eng beides zusammenhängt: Seine Modelle bestehen aus Seifenblasen, Sand oder feinen Geweben. Seine Entwürfe wären nicht baubar gewesen ohne diese Modelle, von denen das Deutsche Architekturmuseum zwanzig wunderbare Stücke besitzt, die zu den Höhepunkten der Ausstellung zählen. Besonders beeindruckend ist das große Modell der Multihalle Mannheim im Maßstab 1:98,5. Es ist ein Hängemodell. Die statisch optimale Form einer Kuppel ergibt sich bei einem Hängemodell ganz von selbst, man muss es dann nur noch „einfrieren“ und umdrehen. Im Falle der Multihalle waren Frei Ottos Arbeitsschritte, die vom Hängemodell zur realen Konstruktion führten, ein atemberaubender Prozess höchster Ingenieurbaukunst, absolut gleichrangig mit seinem Münchner Olympiadach. Wie hat sich während der Ausstellungskonzeption Ihre Sicht auf Architekturmodelle verändert? Elser: Das wohl entscheidendste war die Entdeckung, wie intensiv Modellbau und Fotografie zusammenhängen. Die relativ neue Technik der Fotografie ist der entscheidende Impuls ab etwa 1910, so viele Modelle wie nie zuvor zu bauen und in stimmungsvollen, oft ungeheuer realistisch wirkenden Fotos abzubilden, die dann in den neuen Architekturmagazinen und Büchern gedruckt wurden. Man kann von „Fotomodellen“ sprechen: Architekturmodelle, die für den entscheidenden Moment gebaut werden, in dem ein Fotograf auf dem Auslöser drückt. Dieses Phänomen zieht sich von der Sternkirche Otto Bartnings, zu der wir die Originalfotos zeigen, über die Zeit der Nationalsozialisten, die mit einem aufwendigen Holzmodell aus München und dem Film „Wort aus Stein“ in der Ausstellung vertreten ist, bis hin zu Modellen von Rob Krier oder Roger Boltshauser. Warum fertigen Sie als Ausstellungssouvenirs Duplikate des Einsteinturms von Erich Mendelsohn mit einem „DIY-3D-Drucker“? Elser: Das Gipsmodell des Einsteinturms zählte bisher zu den wertvollsten Stücken der Sammlung vom Deutschen Architekturmuseum, weil man davon ausging, dass es ein Originalmodell aus dem Jahr 1920 ist. Das Modell war sehr begehrt bei anderen Ausstellungsprojekten, weswegen zwei Kopien angefertigt wurden, die statt des Gipsmodells auf Reisen gingen. Nun konnten wir nachweisen, dass das Modell mit großer Wahrscheinlichkeit kein Original ist. Die Story der Entzauberung kann man im Katalog nachlesen. Nun hat jeder Besucher die Möglichkeit, eine Kopie der Kopie zu kaufen: Gefertigt als etwa acht Zentimeter hoher Ausdruck auf einem 3-D-Drucker, der eigens für die Ausstellung erworben wurde. Es ist ein „Do-it-yourself“-Gerät, das als Bausatz nur 1.099 Dollar kostet und erstaunlich präzise druckt – es steht im Werkstattbereich der Ausstellung und wird regelmäßig vorgeführt. Das Architekturmodell – Werkzeug, Fetisch, kleine Utopie Zum Weiterlesen:
Von 25. Mai bis 16. September 2012
Deutsches Architekturmuseum, Frankfurt am Main
www.dam-online.de
Das Architekturmodell – Werkzeug, Fetisch, kleine Utopie
Herausgegeben von Oliver Elser und Peter Cachola Schmal
Hardcover, 360 Seiten, deutsch / englisch
Scheidegger Spiess, Zürich, 2012
65 Euro
www.scheidegger-spiess.ch
Jedes Modell ist eine Interpretation
24.05.2012
Oliver Elser, Foto © Nina Reetzke, Stylepark
Oliver Elser, Foto © Nina Reetzke, Stylepark
Haus mit Vorhängen von Raimund Abraham (nicht realisiert), Modell 1972, Foto © DAM, Hagen Stier
Cluster in the Air von Arata Isozaki (nicht realisiert), Modell vor 1982, Foto © DAM, Hagen Stier
Stadterweiterung Ratingen West von Merete Mattern, Modell 1967, Foto © DAM, Hagen Stier
Struckus House von Bruce Goff, Modell um 1982, Foto © DAM
Stück Natur eingeweckt von Haus-Rucker-Co (nicht realisiert), Modell 1973, Foto © DAM, Hagen Stier
Kapselhäuser Solingen-Caspersbroich von Wolfgang Döring (nicht realisiert), Modell 1969, Foto © DAM, Hagen Stier
Haus am Checkpoint Charlie Berlin von OMA, Modell ca. 1987 von Dirk Alten, Foto © DAM, Hagen Stier
Deutscher Pavillon Weltausstellung Montréal 1967 von Wolfgang Rathke (nicht realisiert), Modell 1964/65, Foto © DAM, Hagen Stier
Wettbewerbsbeitrag Neues Museum Berlin von Axel Schultes und Charlotte Frank (nicht realisiert), Modell 1994, Foto © Schultes Frank Architekten
Kolumba Kunstmuseum des Erzbistums Köln von Peter Zumthor, Modell 2001 von Zaborowsky, Foto © DAM, Hagen Stier
Raumspiele in Styropor (Objekt 1) von Franz Krause (nicht realisiert), 1967–73, Foto © DAM, Hagen Stier
Einsteinturm von Erich Mendelsohn, Präsentationsmodelle (Nachbauten), Foto © Nina Reetzke, Stylepark
Gläserne Manufaktur Dresden von Henn Architekten, Modell 2001, Foto © Nina Reetzke, Stylepark
Ausstellungsansicht „Kleine Utopien”, Foto © Nina Reetzke, Stylepark
Wettbewerbsmodell zum Umbau des Deutschen Reichstags zum Deutschen Bundestag von Axel Schultes und Charlotte Frank, Foto © Nina Reetzke, Stylepark
Innenraum für die Schweizerische Hochschule für die Holzwirtschaft von Marcel Meili und Markus Peter, Modell 1990-99, Foto © Nina Reetzke, Stylepark
Ausstellungsansicht mit Entwürfen von Oswald Mathias Ungers, Foto © Nina Reetzke, Stylepark
Abbildungen von Architekturmodellen aus früheren Jahrhunderten im Eins-zu-eins-Maßstab, Foto © Nina Reetzke, Stylepark
Grundsteinlegungsrelief des Ulmer Münsters, Stiftermodell 1377, Foto © Nina Reetzke, Stylepark
Prada Entwurfsmodelle von Herzog & de Meuron, Foto © Nina Reetzke, Stylepark