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Spezial: Adaptive Fassaden
Jede Fassade ist im Grunde eine Medienfassade
Im Gespräch: Jan Edler
08.08.2013
Jan Edler von "Realities United" in seinem Büro in Berlin. Foto © Adeline Seidel, Stylepark

Adeline Seidel: Seit Sie das Projekt „BIX“, die Medienfassade des Kunsthauses Graz entwickelt haben, sind zahlreiche weitere Konzepte realisiert worden, die sich im Zwischenbereich zwischen einer reinen Medienfassade und einer medialer Inszenierung von Architektur bewegen. Braucht Architektur solche technischen Hilfsmittel, um zum Sprechen gebracht zu werden?

Jan Edler: Der Auftrag in Graz war zunächst viel breiter gefächert. Wir sollten uns ganz allgemein Gedanken darüber machen, wie Medien in dieses Kunsthaus gelangen und welche Rolle sie spielen. Dann aber drohte der ursprüngliche architektonische Entwurf von Peter Cook und Colin Fournier sich maßgeblich zu verändern: die Fassade aus Acrylglas sollte durch ein nicht-transparentes Material ersetzt werden. Aus dieser Situation wurde unser Projekt BIX zum Argument für die Architekten „ihre Acrylhaut zu retten“. Mit BIX wollten wir eine kommunikative Membran zwischen Kunsthaus und öffentlichem Raum schaffen. Wir sind aber überhaupt keine Technik-Dogmatiker. Mit Technik verbinden wir zunächst einmal nicht viel. Wir benutzen in allen Projekten immer das, was uns in die Quere kommt. Also das, um es einfach auszudrücken, was „den Job macht“. Darauf baut BIX und darauf bauen auch alle folgenden Projekte auf.


Die Spuren der Projekte im Berliner Büro: Links die runden Leuchtstoffröhren von BIX, darüber die Logos für das "Flussbad" in Berlin und rechts ein Modell eines Fassadenmoduls von "Crystal Mesh". Fotos © Adeline Seidel, Stylepark

Sie verwenden keine neuen Technologien, sondern entwickeln Ihre Medienfassaden aus vorhandenen Elementen – beispielsweise Leuchtstoffröhren. Ist es vor allem diese Einfachheit, die für Ihren Erfolg verantwortlich ist?

Jan Edler: Ich denke, der Erfolg unserer Medienfassaden liegt auf unterschiedlichen Ebenen. Erstens: Wir schieben das verbreitete Bild, was eine „Medienfassade“ ist oder zu sein hat, beiseite. Wir übertragen also nicht einfach die Idee eines Bild- oder Fernsehschirms auf die Architektur. Das wäre am Ende wie bei „Bladerunner“ und ergibt für uns keinen Sinn. Denn die Maßstäbe, die man an solche Medien anlegt – beispielsweise Auflösung, Kontrast, Farbigkeit oder Orthogonalität – sind vollkommen andere als jene, die man an die Architektur anlegt. Zweitens: Wir wollen in die Architektur hineinschlüpfen und ein ihr gemäßes, expressives Format entwickeln. Wir wollen also die Architektur selbst aktivieren. Man kann bei unseren Projekten nicht einfach Bilder abspielen, sondern muss ein Programm für diese spezielle Fassade entwickeln. Das impliziert immer, dass man sich mit der Architektur auseinandersetzen muss.


Rendering der U-Bahn Station in Toronto: Die Beleuchtung ist hier als 16-Segment Anzeige geplant. Grafik © Realities United

Gibt es noch ein „Drittens“?

Jan Edler: Ja, und das betrifft das Thema „Updatefähigkeit“. Displaytechnologien altern extrem schnell. Die Innovationszyklen sind hier, im Gegensatz zur Architektur, extrem kurz. Ein Gebäude in dieser Schnelligkeit „upzudaten“ ist gar nicht möglich, es sei denn, man verfügt über enorme finanzielle Mittel. Wir waren sehr froh, dass wir bei BIX ein „altes“ Medium wie Leuchtstoffröhren verwendet haben. Denn diese unterliegen im Hinblick auf den Alterungsprozess der Technologie den gleichen Bewertungskriterien wie Gebäude. So ist BIX zu einer Tätowierung des Gebäudes geworden und nicht zu einem Bildschirm, der an der Fassade hängt. Das Kunsthaus wird im September zehn Jahre „alt“. Die Fassade funktioniert noch immer ­­– und bisher ist noch nie jemand auf die Idee gekommen, die Installation durch eine moderne LED-Installation zu ersetzen.

Was vermag eine Architektur über diese Medienfassaden erzählen?

Jan Edler: Die Architekturgeschichte zeigt: Architektur hat lange gebraucht, um solch eine Formensprache wie die des Kunsthauses Graz zu entwickeln. Dasselbe trifft für die Programmierung solcher Fassaden zu. Nur weil die Technik da ist, heißt das noch nicht, dass wir wissen, wie wir damit umgehen sollen. Wir müssen es erst lernen und damit auch den Sinn und Zweck solcher Fassaden erproben: Was teilt eine Architektur mit, die „sprechen“ kann? Welche Sprache und Grammatik ist die Richtige, wie schnell darf sie agieren? Was wir tun können, sind erste Gehversuche unternehmen.


Visualisierung des Fassadekonzeptes für die Zentrale der Deutschen Bahn in Berlin. Grafik © Realities United

Und was ist Ihrer Meinung nach bei diesen ersten Gehversuchen herausgekommen?

Jan Edler: Die ersten Gehversuche haben sich als sehr zwiespältig erwiesen. In Graz waren wir sehr enthusiastisch: Dies ist die erste kommunikative Haut einer kulturellen Institution, eine Haut, die keinem kommerziellen Verwertungsdruck unterlag! Graz ist eine Art langjähriges Forschungsprojekt, bei dem man mit Hilfe von Künstlern diese Sprache entwickeln kann, die wir heute noch nicht kennen. Zwar gab es zu Beginn Schwierigkeiten, dieses Medium zu nutzen. Aber nun sind über einem Zeitraum von zehn Jahren diverse interessante künstlerische Projekte in diese Richtung entstanden.

Bei „Crystal Mesh“ für das „Urban Entertainment Center“ in Singapur hatten die Architekten vorgeschlagen, die Fassade von den diversen lokalen Kunst- und Gestaltungshochschulen bespielen zu lassen. Diese Hochschulen sollten die Fassade praktisch als „Labor“ geschenkt bekommen. Allerdings wurde das Gebäude schnell verkauft. Wir haben nie mitbekommen, ob dort etwas entwickelt wird. Oder ob die meiste Zeit der von uns kreierte Bildschirmschoner läuft, den wir entwickelt hatten, um die Funktionalität zu testen. Das war also eine Niederlage für uns.
Bei dem Projekt „C4“ für das „Espacio de Creación Artística Contemporánea“, ein Medienkunstzentrum mit Atelier- und Ausstellungsräumen in Cordoba, sind wir sehr hoffnungsvoll, dass die Fassade zu einem interessanten Werkzeug der Künstler werden wird und das Gebäude dadurch eine zweite Prägung erfährt. Leider ist das Gebäude auf Grund der allgemeinen wirtschaftlichen Situation in Andalusien bislang unbenutzt geblieben.


Mock-up eines Fassadenmoduls für das Projekt "Crystal Mesh". Foto © Realities United

Inwieweit spielt die Verschmelzung von dynamisch reagierenden Fassadenfunktionen und bewegter Fassadenanimation in Ihrer Arbeit eine Rolle?

Jan Edler: Wir haben heute schon Gebäude, die technisch auf Vieles zugleich reagieren. Viele Fassaden sind adaptiv: Sie passen sich den Umweltbedingungen an und das ist oft nicht ohne weiteres sichtbar. Konzepte, die vorhandene Materialien und Gebäudetechniken nutzen, sind äußerst „smart“. Die Technik dient somit nicht nur dazu, das Haus in irgendeiner Weise zu versorgen, sondern das Haus vermag damit obendrein nach außen zu kommunizieren. Man kann also sehr Vieles sehr kostengünstig erreichen. Andreas Ruby hat das einmal als die „Tiefenmassage der Architektur“ bezeichnet.

Sie sprechen damit ihr Konzept für den Neubau der EZB an?

Jan Edler: Genau. Das Konzept „NIX“ klingt zunächst sehr einfach: 24.000 Büroleuchten werden, nach einem bestimmten Programm, automatisch gesteuert. Momentan ist diese Gestaltungsebene in der aktuellen Verwertungskette der Architektur nicht vorgesehen. Denn für diese Konzeption ist es notwendig, dass man schon zu Beginn der Planung mit einbezogen werden muss. Denn solche integrativen Maßnahmen greifen tief in Sicherheitskonzepte, in Beleuchtungstechnik etc. ein.


Die Fassade "C4" das Medienkunstzentrums in Cordoba. Foto © Realities United

NIX wird beim EZB-Neubau also nicht umgesetzt. Haben Sie das Konzept deshalb ad acta gelegt?

Jan Edler:Das Grundprinzip von NIX wenden wir gerade bei einer U-Bahnstation in Toronto an, die Will Alsop plant. Hier „hijacken“ wir die vorhandene Beleuchtung der Station und verwandeln sie in eine Sechszehn-Segment-Anzeige. Wir fügen also nichts hinzu, sondern erweitern das Vorhandene in seiner Komplexität. Das Besondere an diesem Konzept ist, dass jeder Besucher diese Anzeige bespielen kann, indem er über ein Keyboard einen Text eingibt. Es ist ein Experiment: Denn weder kommuniziert hier ein Bauwerk aus sich selbst heraus, noch wird das Programm von einem Künstler festgelegt. Es ist allein der Nutzer, der einen Einfluss auf Beleuchtung und Text hat – und damit die Möglichkeit, die Station poetisch zu ergänzen.


Das Büro von Realities United in Berlin Kreuzberg. Foto © Adeline Seidel, Stylepark

Medienfassaden funktionieren nur nachts. Wie lässt es sich erreichen, dass Gebäude auch tagsüber „sprechen“ können?

Jan Edler: Viele von unseren Projekten sind adaptiv – nicht nur in Bezug auf die Beleuchtung. Wie beispielsweise der Wettbewerb für die „Zentrale der Deutschen Bahn“ in Berlin, den wir gemeinsam mit Norman Forster gemacht haben. Hier haben wir einen modifizierten Sonnenschutz vorgeschlagen. Diese Rollos funktionieren vom Prinzip her wie Plakatwechsler. Aus einer Kombination von Farbigkeit und Lichtdurchlässigkeit des Textils kann man den Sonneneitrag steuern. Du speicherst also verschiedene bauphysikalische Qualitäten in einem Gebäude in einem Sonnenschutz und ermöglichst so eine sichtbare Veränderung eines Gebäudes.


Wenn nun jede Fassade mit den von Ihnen entwickelten Möglichkeiten kommunizieren würde – welche Konsequenzen ergäben sich daraus für eine Stadt?

Jan Edler: Ich persönlich bin der Meinung, dies wird weder passieren, noch wäre es sinnvoll. Dennoch: Die Mitteilungsfähigkeit von Gebäuden war schon immer ein Thema in der Architektur. Praktisch jede Fassade hat den Auftrag, einen Einblick zu gewähren und ein Vermittler zwischen dem zu sein, was sich drinnen abspielt und dem, was draußen passiert. Insofern sind alle Fassaden, die etwas über das Gebäude verraten, Medienfassaden. Früher haben die Leute eine Gardine vorgezogen, heute geschieht das mit Lamellen und möglicherweise automatisch. Das sind Aspekte, bei denen sich das Gesicht eines Gebäudes genauso verändert wie es sich schon immer zwischen Tag und Nacht verändert hat. Technologien befördern natürlich die Sichtbarkeit der Veränderungen. Was nicht bedeutet, dass nun alle Gebäude auch Geschichten erzählen oder als Kommunikationsmedium aktiv sind. Ich bin auch guter Hoffnung, dass die Werbung sich nicht weiter in diese Thematik hineinbegeben wird. Dafür ist die Überlagerung von Architektur und Werbung zu problematisch. Werbung hat nichts mit der Architektur zu tun: Ein Schriftzug an der Fassade negiert die Architektur!

Ist Werbung nicht ein logischer Schritt zur „Verwertung“ von Medienfassaden?

Jan Edler: Unsere Konzepte sind von solcher Grobkörnigkeit, dass sie einfach nicht die Ansprüche von Werbeformaten erfüllen. Vielleicht für Sonderwerbeformate. Aber Werbung ist auch eine Industrie, die darauf bedacht ist, Standartformate zu nutzen und zu bespielen.


Jan Edler von "Realities United" in seinem Büro in Berlin. Foto © Adeline Seidel, Stylepark0
Jan Edler von "Realities United" in seinem Büro in Berlin. Foto © Adeline Seidel, Stylepark1

Für welche Gebäudetypologien sind konzeptionelle Medienfassaden, wie Sie sie entwickeln, sinnvoll?

Jan Edler: Bei Gebäuden, die ein gewisses öffentliches „standing“ besitzen. Bei Institutionen, bei denen ein öffentliches Interesse besteht. Oder auch einfach im Fall besonderer Architekturen. Medienfassaden können auch einfach „nur“ Gestaltung sein – man muss ja nicht immer über funktionale Aspekte reden. Ich glaube, der Spielraum an Möglichkeiten ist relativ groß. Wir sind immer noch auf der Suche nach einem Hochhaus für NIX – schließlich wissen wir jetzt ja, wie es geht. Ich persönlich finde das aktuelle Hochhausdesign zweifelhaft und die skulpturalen Ansätze oft hässlich. Ein „Seagram Building“ mit all seiner Klarheit besitzt nach wie vor eine ungebrochene Eleganz. Und es zeigt: Hochhäuser brauchen eine starke Idee, um zu einem Objekt zu werden.


Jan Edler von "Realities United" in seinem Büro in Berlin. Foto © Adeline Seidel, Stylepark2