top
Das Leben ist zu kurz für Jetlags
02.05.2013
Für den Designer Jean-Marie Massaud ist seine Leuchte "Lightwing" nichts Besonderes, sondern einfach nur eine Stehleuchte.

Uta Abendroth: Wir stehen hier neben Ihrer neuen Leuchte „Lightwing“ für Foscarini. Was ist das Besondere an ihr?

Jean-Marie Massaud: Ach, die Lampe ist nicht wirklich etwas Besonderes, sie ist einfach eine Stehleuchte.

Aber sie muss doch etwas Neues in sich bergen, sie wird schließlich als Neuheit auf der Euroluce präsentiert.

Massaud: Ja, das stimmt schon… Es geht hier um indirektes Licht, das eine immer wichtigere Rolle spielt. Normalerweise strahlt so eine Leuchte ihr Licht einfach unter die Decke ab und die Intensität des Lichtes wird mit einem Dimmer reguliert. Bei „Lightwing“ haben wir die Besonderheit des Flügels, um die Reflektion des Lichtes zu erreichen und zu variieren. So kann man in seinem Sessel eine Zeitung lesen oder, wenn man volles Licht möchte, dann dreht man eben den Flügel, der als großer Reflektor dient. Es ist ein ausgesprochen schlichtes Teil, ein Ständer mit einem Flügel.

Woraus ist „Lightwing“ gemacht?

Massaud: Aus Aluminium, aber das ist bislang ja nur ein Prototyp und es muss sich zeigen, ob das für das finale Produkt auch funktioniert. Dass man den Reflektor in so viele verschiedene Positionen bringen kann, liegt daran, dass wir mit einem kugelförmigen Magnet arbeiten.

Worin lag die Herausforderung beim Design dieser Leuchte?

Massaud: Wie gesagt, es ist eine sehr einfache Idee ohne eine besonders große Herausforderung. Es ist doch so: Eine Leuchte zu designen bedeutet vor allem, die Qualität des Lichtes zu gestalten. Mir ist das Licht von Hängeleuchten oder den üblichen Stehleuchten oft zu flach. Ich mag es, wenn durch die richtige Lichtqualität ein dreidimensionales Gefühl für den Raum entsteht.

„Lightwing“ ist zusammengefasst also was?

Massaud: Ein sehr einfaches Produkt, nicht teuer und mit sehr guter LED-Lichtqualität.

Hier auf der Messe sind sie mit neuen Sesseln, Stühlen, Betten und Sofas beispielsweise bei Poliform, MDF Italia, Dedon und Poltrona Frau vertreten. Gestalten Sie Möbel am liebsten?

Massaud: Nein, das Design von Möbeln macht in meinem Studio vielleicht dreißig Prozent aus, der Rest sind andere Projekte. Ich mag es nicht, immer die gleichen Sachen zu gestalten. Am liebsten wechsle ich jeden Tag das Thema oder den Gegenstand. Ende April zeigen wir beispielsweise in Paris ein Concept Car für Toyota. Ich kann mich für solche Projekte begeistern, weil sie für mich eine ganz neue Geschichte sind.

Architekt, Interior-, Möbel- und Lampendesigner – wo kommen all Ihre Ideen her?

Massaud: Ich schaue mich um, ich reflektiere, was ich sehe und ich rede mit Leuten. Aus diesem „life scenario“ erreichen Informationen mein Auge und mein Gehirn ­– und dann kann ich anfangen zu arbeiten. Am Schreibtisch vor einem weißen Blatt Papier zu sitzen, ist nichts für mich.

Beobachten Sie den Markt und denken, da ist eine Produktnische?

Massaud: Naja, es ist ja nicht wirklich so, dass uns etwas fehlt. Nehmen wir das Sofa: Da ist eigentlich schon alles da, die Erdbeschleunigung liegt immer noch bei 9,81 m/s2 und die Polsterung ersetzt man nicht wirklich durch, sagen wir mal, ein Energiefeld oder durch etwas anderes als weichen Schaumstoff. Aber manchmal fehlen Aspekte oder man kann eine Sache besser machen, weil sie noch nicht perfekt funktioniert.

Sie reden jetzt nicht von Produktkosmetik, oder?

Massaud: Nein, überhaupt nicht. Es ist doch so: Alle reden jetzt von der Krise, aber wir hatten schon vor zehn Jahren eine, wenn wir von Werten reden. Es geht immer nur um Wachstum – und das ist ja auch wichtig. Aber wir dürfen das nicht immer nur im Sinne von Quantität sehen, sondern wir müssen zum Beispiel ökologische Belange beachten und Wachstum nicht um jeden Preis anstreben. Mir geht es darum, quantitatives durch qualitatives Wachstum zu ersetzen. Wenn ich von Qualität spreche, meine ich nicht nur die Qualität der Produktion, sondern auch die des Entwurfs. Wir brauchen in mancherlei Hinsicht Alternativen, etwas Einfacheres, weniger zeitaufwändiges und Moderneres. Das Auto ist ein gutes Beispiel. Da kann man viele Gadgets haben, aber es geht um die Herausforderungen unserer Zeit und das wir einen Weg finden, alle Aspekte miteinander in Einklang zu bringen.

Sie haben Ihre Karriere vor dreizehn Jahren bei Cappellini gestartet und sind heute bei vielen italienischen Top-Firmen im Programm. Wie steht es mit Auftraggebern in Ihrem Heimatland?

Massaud: Da habe ich mich nie um Partner bemüht. Das ist einerseits schade, andererseits aber auch wieder nicht. Es wäre schön, nicht so viel zu reisen, denn das Leben ist zu kurz, um es im Flugzeug und mit Jetlag zu verbringen. Aber es war ein langer Weg, um die richtigen Leute zu finden, mit denen ich gut zusammenarbeiten kann. Darunter sind amerikanische, japanische, koreanische, italienische und deutsche Firmen. Und da fällt mir ein, dass ich gerade ein Projekt mit Air France begonnen habe, ich habe also doch einen französischen Kunden. Na, jedenfalls lebe ich gerne in Frankreich, allerdings nicht mehr in Paris. Das ist mir zu hektisch und so will ich mit meiner Familie nicht die Zeit verbringen. Wir wohnen jetzt im Süden, in der Nähe von Nizza. Es geht doch um etwas Menschliches, nämlich um unser Glück, da muss ich das Reisen einfach in Kauf nehmen…

„Bei 'Lightwing' haben wir die Besonderheit des Flügels, um die Reflektion des Lichtes zu erreichen und zu variieren."
„Man kann man in seinem Sessel eine Zeitung lesen oder, wenn man volles Licht möchte, dann dreht man eben den Flügel, der als großer Reflektor dient."
Wenn Massaud eine Leuchte designt bedeutet das vor allem, dass er die Qualität des Lichtes gestaltet.
"Es ist ein ausgesprochen schlichte Leuchte, ein Ständer mit einem Flügel."
Für den Designer ist „Lightwing" ein sehr einfaches Produkt, nicht teuer und mit sehr guter LED-Lichtqualität.
Jean-Marie Massaud entwarf für Toyota ein Concept Car, welches aus Aluminium, geschäumtem Polypropylen und Bambusholz besteht.