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MICROLIVING
Ein Leuchtturm für Paris

Java Architecture haben einen Hinterhof in Paris mit einem Mikro-Wohnturm nachverdichtet, der geschickt zwischen Nähe und Distanz changiert.
von Alexander Russ | 26.01.2022

Ein Einfamilienhaus inmitten von Paris trotz geringen Budgets zu bauen – das klingt reichlich unrealistisch. Kein Wunder, dass Java Architecture ihre Bauherren als komplett verrückt oder genial bezeichnen. Letzteres dürfte zutreffen, denn für den hölzernen Mikro-Wohnturm, den das Pariser Architekturbüro für eben jene Bauherren verwirklichen konnte, war einiges an visionärer Voraussicht nötig – und Glück, da es zudem noch der Zustimmung der Nachbarn und der Planungsbehörden bedurfte. Dass der Prozess kein einfacher war, zeigt eine vorangegangene Verweigerung der Baugenehmigung, ebenso wie die knappe Akzeptanz des Projekts, die mit der Mehrheit von nur einer Stimme erreicht wurde. Entsprechend eng geht es auch auf dem Grundstück zu, bei dem es sich um einen dicht bebauten Hinterhof im 15. Arrondissement handelt. Dort hatten die Bauherren ein verfallenes Haus in zweiter Reihe gekauft, das nun in ein Einfamilienhaus verwandelt werden sollte. Umgeben von drei Nachbargebäuden und mit geringem Abstand zum Vorderhaus, entschieden sich die ArchitektInnen für die Vertikale als einzig mögliche Erweiterungsoption und stockten den Bestand um drei Geschosse auf. Das Ergebnis ist ein sechsgeschossiger Turm inklusive Kellergeschoss mit einer Grundfläche von sechs auf vier Metern, der nun immerhin 100 Quadratmeter Wohnraum bietet.

Um Fläche zu sparen und den statischen Anforderungen gerecht zu werden, planten die ArchitektInnen eine Holzkonstruktion, die als möglichst filigrane Struktur auf den steinernen Bestand aufdockt. Gleichzeitig dient sie als gestalterische Vorlage und ist sowohl in den Innenräumen als auch auf der Fassade ablesbar. Dabei hat das Gebäude nur eine Fassade mit Aussicht, die sich nach Osten zum Vorderhaus öffnet und mittels großer Schlag- oder Schiebeläden aus Holzplatten und -lamellen komplett geschlossen werden kann. Um trotzdem Tageslicht von den anderen Seiten in das Innere zu bringen, planten die ArchitektInnen eine transluzente Polycarbonatfassade für das zweite bis vierte Geschoss der Westfassade. Sie umhüllt die Holzkonstruktion und bringt weiches Licht in die Innenräume. Das vierte Geschoss ist dabei wie ein Gewächshaus zurückversetzt auf dem Gebäudevolumen platziert, was zusätzlichen Raum für eine kleine Dachterrasse schafft. Es ist komplett mit Polycarbonatplatten verkleidet und schafft so eine Verbindung zwischen der West- und Ostfassade, indem sich die Hülle als transluzentes Band über die Bestandsmauern legt. In der Dämmerung verwandelt sich das kleine Wohnhaus dann im wahrsten Sinne des Wortes in einen Leuchtturm, der für eine poetische Stimmung im Hinterhof sorgt und das Leben dahinter erahnen lässt.

Im Innern verbindet eine kompakte Treppe die einzelnen Geschosse miteinander. Ihre offene Holzkonstruktion lässt verschiedene Durchblicke zu, während weiches Tageslicht, das durch die Polycarbonatfassade fällt, zwischen den Stufen hindurchscheint. Treppe und Bad sind als Raumschicht auf der Rückseite angeordnet, während sich die Räume pro Geschoss nach Osten zum Vorderhaus öffnen. Dabei drehten die ArchitektInnen die klassische Aufteilung um, indem sie die Schlafzimmer im Erdgeschoss bis ins zweite Geschoss platzierten. Die Wohnküche befindet sich im dritten Geschoss und das Wohnzimmer ganz oben im "Gewächshaus", umgeben von der offenen Holzkonstruktion. Es ist gleichzeitig der hellste und offenste Raum, der einen unverstellten Blick auf die umliegende Bebauung bietet und exemplarisch aufzeigt, wie großzügig das Leben in der zweiten Reihe sein kann.