Das Schreibwerkzeug
Die Aufgabe, Schreibgeräte wie einen Füllhalter zu gestalten, ist eine Herausforderung. Der Designer kann nicht mogeln. Jedes noch so kleine Detail zählt. Die Schreibmechanik selbst spielt dabei zumeist eine eher untergeordnete Rolle; sie hat sich zumeist bewährt und muss nur an das neue Produkt angepasst werden. Umso mehr konzentriert sich die Arbeit auf so grundlegende Faktoren wie Material, Volumen, Gewicht, Balance und Oberfläche, die allesamt zur Form gehören und nicht vergessen werden dürfen, wenn nur von der Form gesprochen wird. All das will nicht nur während des Entwurfsprozesses berücksichtigt werden, es bedingt auch einen kompletten Produktionsprozess. Wobei die Form (oder der Körper) des Schreibgeräts, das bei einem Füllhalter in geschlossenem Zustand aus Schaft, Kappe und Clip besteht, vom Nutzer am Ende als Gesamtheit wahrgenommen wird.
Während sich billig gemachte Kugelschreiber, Gel- und Filzstifte heute zumeist im Allerlei selten geschmackssicherer Buntheit bewegen und mittels grafischer Elemente kaschiert wird, was man da in der Hand hält, stellt sich die Sache bei einem durch und durch gestalteten Füllhalter (bzw. einer Schreibgeräteserie aus Füllhalter, Kugelschreiber und Tintenroller) wesentlich komplizierter dar. Wo bei Form, Material, Farbe und Preis nicht wie bei Schulfüllern ausdrücklich eine kindgerechte Gestaltung im Vordergrund steht, pädagogische Aspekte ebenso einbezogen werden wollen wie ergonomische, dominiert bei Füllhaltern in der Regel noch immer das Traditionelle.
Die meisten Hersteller setzen auf nostalgisch anmutende Modelle, die mit gold- oder silberglänzenden Ringen, ebensolchen Clips und kunstvoll ziselierten Goldfedern aussehen wie von anno dazumal. Weil sie glauben, in Zeiten elektronischer Kommunikation werde ohnehin nur noch bei seltenen Gelegenheiten mit der Hand geschrieben, verhalten sie sich defensiv: Da heute angeblich nur noch mit zwei Daumen auf der virtuellen Miniaturtastatur eines x-beliebigen Smartphones herumgetippt wird, soll der Füllhalter wenigstens als luxuriöse Ausnahme und altväterliches Statusobjekt beim Schreiben von Weihnachts- oder Geburtstagskarten, beim Signieren von Verträgen oder persönlichen Briefen überdauern.
Dass Füllhalter keineswegs so altbacken aussehen müssen wie Nostalgie und Vorurteil sie sich vorstellen, dafür steht seit 1966 der Name Lamy. Was damals mit dem Lamy 2000 von Gerd A. Müller begann, wurde in mehr als 50 Jahren konsequent in zahlreichen Entwürfen von so namhaften Gestaltern wie Mario Bellini, Franco Clivio, EOOS, Wolfgang Fabian, Naoto Fukasawa, Phönix Design, Richard Sapper, Sieger Design und Hannes Wettstein fortgesetzt. Wer bei Schreibgeräten Wert auf gutes, zeitgenössisches Design legt, greift unweigerlich zu einem Lamy.
Nun hat Lamy eine neue Schreibgeräteserie – Füllhalter, Kugelschreiber und Tintenroller – aus tiefgezogenem Aluminium vorgestellt, die Jasper Morrison gestaltet hat: Lamy Aion. Den Füllhalter der Serie in der Ausführung "black" (es gibt ihn auch in der Variante olivsilber) haben wir uns genauer angeschaut. Der erste Eindruck: Jasper Morrison ist ein ganz besonderer Füllhalter von prägnanter Einfachheit gelungen. Wäre der ja ursprünglich auf anonymes Design bezogene Begriff "super normal" mit Blick auf Morrisons eigenes Schaffen nicht schon überstrapaziert, hier trifft er den Kern der Sache: Was da vor einem liegt, strahlt eine Selbstverständlichkeit aus, die den Füller paradoxerweise ganz und gar außergewöhnlich macht.
Dass nostalgische Impulse bei Jasper Morrison keine Rolle spielen, liegt auf der Hand. Es geht denn auch an keiner Stelle um Spielereien: Der mattschwarz schimmernde Körper aus tiefgezogenem, mit einer Eloxalschicht überzogenem Aluminium, wirkt wie aus einem Guss. Schnörkel, Ringe, Applikationen gleich welcher Art sucht man vergebens. Der massiv wirkende hochglanzpolierte Clip rundet das Gesamtkonzept lediglich ab. Vor allen in der Ausführung "black" bilden sämtliche Gehäuseteile eine kompakte Einheit. Fast unmerklich verjüngt sich die zylindrische Grundform zum Ende des Behältergehäuses und zum – im Unterschied zu dessen gebürsteter Oberfläche gestrahlten – Griffstück hin, woraus sich bei abgezogener Kappe eine leichte Bauchigkeit ergibt, die erklärt, weshalb der an sich massige Körper nicht plump, sondern überaus elegant wirkt. Zudem sieht man dem Aluminiumkörper an, wie perfekt er gemacht ist.
Der Aion unterscheidet er sich deutlich von allen Füllhaltern, die man kennt. Noch am nächsten steht ihm – wenn man sein unvergleichliches Auftreten partout vergleichen möchte – der Lamy 2000, was zuallererst auf dessen ebenfalls kompakte Form und matte Oberfläche zurückzuführen sein dürfte. Die Unterschiede indes sind eklatant, nicht nur, was das Material und Haptik angeht.
Prägnant eigenständig erscheint der Aion-Füllhalter auch deshalb, weil ihm bei aller Eleganz etwas Rohes, Handfestes und Stabiles eignet. Das Wort Schreibgerät betont er eindeutig auf "gerät". Sein industrieller Charakter gleicht dem eines robusten, aber keineswegs schwerfälligen Werkzeugs, dass man selbstverständlich zur Hand nimmt, wenn es gebraucht wird. Dazu passt, dass sich die neu konstruierte Feder aus Edelstahl beim Schreiben härter anfühlt als eine Goldfeder, die gleichwohl – ein kleiner Wermutstropfen – sanfter und flüssiger übers Papier gleitet, ohne die nötige Führung der Hand vermissen zu lassen. Bei einem Preis von 49,00 Euro für den Füllhalter lässt sich das verschmerzen, hängt die Wahl der Feder doch ohnehin von den jeweiligen Schreibgewohnheiten ab. Wer ein gelungenes Werkzeug zum Schreiben sucht, hier ist es.