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Die James-Simon-Galerie von der Schlossbrücke aus gesehen. Benannt ist der Bau nach dem großen Gönner der Berliner Museen, der ihnen unter anderem die Nofretete zum Geschenk machte.

Auf den Spuren Schinkels

Mit der James-Simon-Galerie schreiben David Chipperfield Architects die Architekturgeschichte der Berliner Museumsinsel ins 21. Jahrhundert fort.
von Fabian Peters | 16.07.2019

Sie erledige ihre Pflichten diskret, sagt Alexander Schwarz über die neue James-Simon-Galerie, die er gemeinsam mit David Chipperfield entworfen hat. Das mag erstaunen bei einem Bau, der so viele Funktionen gleichzeitig erfüllen muss. Schließlich soll er nicht nur den neuen repräsentativen Eingang zur Museumsinsel bilden, die neue "Adresse", wie es bei der Eröffnungspressekonferenz immer wieder heißt – er nimmt auch die Hauptkasse auf, ein großes Auditorium, ein Museumscafé und einen neuen, wirklich großzügig dimensionierten Bookshop. Tatsächlich versteht man aber sofort, was Schwarz meint, denn der Besucher nimmt diese "Pflichtaufgaben" nur beiläufig war. Sie drängen sich ihm nicht auf. Mehr noch: Die James-Simon-Galerie erledigt auch ihre Pflichten als Bauwerk in gewisser Weise äußerst diskret. Betrachtet man sie vom Kupfergraben über die Spree hinweg, so scheint sie hauptsächlich aus einer feingliedrigen Kolonnade zu bestehen, die sich über einer hohen Ufermauer als Sockel erhebt. Von der Eingangsseite aus scheint die James-Simon-Galerie dagegen im Wesentlichen aus einem gewaltigen und enorm tiefen Treppenaufgang zu bestehen. Hinter dieser ausladenden Freitreppe verbirgt sich beinahe das gesamte Gebäudevolumen. Überhaupt gibt es fast keinen Blickwinkel, aus dem sich die Größe des Baus vollständig erfassen lässt. Es scheint, als sei er im Wesentlichen aus schlanken Pfeilern und Treppenstufen geformt.

Im Inneren des Gebäudes: keine große Halle, kein monumentaler Empfang – stattdessen zwei Foyers, ein unteres auf Straßenniveau und ein oberes am Ende der großen Freitreppe, die beide dem Wesen nach Durchgangsräume sind. Das untere Foyer, das durch einen Kolonnadenhof zwischen der James-Simon-Galerie und dem Neuen Museum erreicht wird, leitet den Besucher umstandslos zum Treppenhaus, das das Zentrum des Baus bildet. Der langgestreckte Aufgang ist eine Reprise der Außentreppe. Auf ihn ist die innere Struktur des Hauses ausgerichtet. Auch der obere Eingang führt den Besucher unverzüglich an den oberen Austritt dieser Treppe.

Das Versprechen von Licht und Leichtigkeit, das der Kolonnadengang über der Spree von außen suggeriert, erfüllt sich hier, in seinem Inneren, allerdings nicht. Es lassen sich eben doch nicht alle Funktionen so diskret verbergen, als das nicht auch hier der Charakter des Innenraums deutlich spürbar bleibt. Vielleicht war es aber auch nie Chipperfields und Schwarz Absicht, die äußere und innere Wahrnehmung des Baus in Deckung zu bringen. Ihr Entwurf arbeitet collagierend, ebenso wie er mit Maßstäben und Verhältnismäßigkeiten spielt – bei den Treppenanlagen etwa, die völlig überdimensioniert wären, würde die Galerie nicht im Kontext der Museumsinsel stehen. Collage und Maßstabssprung sind auch Chipperfields und Schwarz Hilfsmittel, die gefährlichen Gewässer zu umschiffen, die an dieser Stelle zwangsläufig bei jeder formalen Anknüpfung an den Klassizismus lauern. Schnell sind die Grenzen zwischen dem Erbe Schinkels und dem Erbe Speers verwischt. Durch die Brechungen in ihrem Entwurf entziehen die Architekten jedem ins Monumentale gesteigerten Pathos klug den Boden.

Blick aus den großen Kolonnaden auf das Neue Museum
Der Saal für Wechselausstellungen mit der Bank, die Chippefield Architects gemeinsam mit dem Möbellabel e15 entwickelt haben.

Das Erbe der Klassizisten

Mit dem Motiv der Kolonnade, die die Architekten hier zu ihrem Hauptgestaltungsmittel gewählt haben, beziehen sie sich natürlich auf den Säulengang den Friedrich August Stüler rund um seine Alte Nationalgalerie und entlang der heutigen Bodestraße errichtet hat. Schon bei den ersten Gesamtplanungen zur Museumsinsel, die Stüler Anfang der 1840er-Jahre im direkten Austausch mit Friedrich Wilhelm IV. entwickelte, erscheint das Element des Kolonnadenganges. Darin zitiert Stüler, ebenso wie mit dem Tempelbau für die Alte Nationalgalerie, die vielleicht bis heute einflussreichste deutsche Architekturphantasie – Friedrich Gillys Denkmalsentwurf für Friedrich den Großen aus dem Jahr 1796. Gillys auf einem hohen Podest stehender Tempel, dessen Bezirk ebenfalls ein Kolonnadengang umgrenzt, ist Kenotaph und Weihestätte für den Preußenkönig – aber auch ein Belvedere, das dem Besucher einen weiten Ausblick bietet.

Karl Friedrich Schinkel greift die Idee des Tempels als Aussichtspunkt immer wieder in seinem Werk auf, etwa bei seinem Entwurf eines gewaltigen Sommerpalastes auf der Krim für die Russische Zarin – und wie Gilly verband er den Tempel mit einem begleitenden Kolonnadengang. Beim Schloss Glienicke vor den Toren von Potsdam schuf er einen Rundtempel, die "Große Neugierde", als Aussichtspavillon auf die nahegelegene Havelbrücke.

Die großen Kolonnaden mit dem Pergamonmuseum im Hintergrund

Überzeitlichkeit als Ziel

David Chipperfield und Alexander Schwarz verschmelzen bei ihrem Museumsbau die beiden Motive des Belvederetempels und der Kolonnade. Den großen Kolonnadengang entlang der Spree schließen die Architekten an seiner offenen Stirnseite mit sechs Stützen wie einen Tempelportikus ab. Er ist Kolonnade und Belvederetempel zu gleichen Teilen. Der Aussichtspunkt und der dorthin führende Weg werden zu einer ununterbrochenen Bewegung.

Mit ihrem vielschichtigen Entwurf beziehen Chipperfield und Schwarz eine klare Gegenposition zu einem Ansatz, wie ihn etwa Bjarke Ingels und sein Büro BIG vertreten. Die beiden wenden sich gegen eine Auffassung, die den Entwurfsprozess als Nutzenmaximierung begreift. Die James-Simon-Galerie vertritt unübersehbar einen allumfassenden künstlerischen Anspruch, der bis hin zu den wunderbaren Sitzbänken reicht, die das Büro für den Bau entworfen hat. Die Auseinandersetzung mit dem deutschen Klassizismus im Allgemeinen und Schinkel im Besonderen stellt die James-Simon-Galerie in eine Traditionsreihe mit der Neuen Nationalgalerie am Kulturforum und der Neuen Staatsgalerie in Stuttgart. Wie Mies und Sterling suchen Chipperfield und Schwarz das Überzeitliche in der Architektur, die Synthese klassischer und moderner Formen. Das Ergebnis ist eine Reflexion über den besonderen Bauplatz dieses Gebäudes und seine Funktion als Zugangsbau. Es ist aber ebenso eine steinerne Respektbezeugung vor den Baumeistern der Museumsinsel.

Blick von der Freitreppe auf Schinkels Altes Museum
Der Haupteingang von der Bodestraße
Das Treppenhaus

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