Vernetzung von Mensch und Maschine
Christian Schlicht ist promovierter Wirtschaftsingenieur und seit 20 Jahren im Immobilien- und Managementbereich tätig. Zu seinen Fachgebieten zählen die Entwicklung und Umsetzung von Digital-Strategien, wie Künstliche Intelligenz (KI) im Corporate Real Estate und Facility Management. Seine Karriere begann er beim Schraubenhersteller Würth, bevor er zum Projektentwickler ECE wechselte. 2022 gründete er die Beyond Tech GmbH, die Daten nutzt, um das Potenzial von Immobilien zu bewerten. Zudem hat er eine Professur für Nachhaltige Immobilienwirtschaft an der HSF – Hochschule Fresenius inne. Wir sprachen mit ihm über Künstliche Intelligenz im Gebäudesektor und wie sich die Auswertung von Daten für die Entwicklung nachhaltiger Konzepte in den Bereichen Energie, Wasser und Luft nutzen lässt.
Alexander Russ: Künstliche Intelligenz (KI) hat in den letzten Jahren einen großen Hype entfacht und scheint unsere Welt komplett umzukrempeln. Das Thema beschäftigt auch die nächste ISH, die vom 17. bis zum 21. März 2025 in Frankfurt am Main stattfindet.
Dr. Christian Schlicht: Alle reden von KI, aber die meisten wissen nicht, was das eigentlich ist. Schlussendlich kann Künstliche Intelligenz beim Analysieren von großen Mengen an Daten helfen, wobei man mit herkömmlichem Datenmanagement schon recht weit kommt. Es geht vor allem darum, die Daten, Informationen und Werkzeuge, die wir haben, so zusammenzubringen, dass sie einen klaren Sinn ergeben. Das bedeutet, dass wir mit KI versuchen, die vielen Daten, die wir sammeln, besser zu verstehen und zu nutzen. Es ist wie beim Kochen: Wenn wir verschiedene Zutaten haben, müssen wir sie richtig kombinieren, damit ein leckeres Gericht entsteht. Und genau wie beim Kochen ist es wichtig, dass wir auch unser eigenes Wissen und unsere Erfahrung einbringen, um die besten Ergebnisse zu erzielen. So können wir die Informationen geschickter nutzen und die richtigen Entscheidungen treffen. Bei allem KI-Hype gilt: Wir benötigen eine hybride Intelligenz, also eine Kombination aus künstlicher und menschlicher Intelligenz, die in der Lage ist, die ermittelten Daten in einen sinnvollen Zusammenhang zu bringen und die Ergebnisse kritisch zu hinterfragen.
Wie sind Sie mit dem Thema KI in Berührung gekommen?
Dr. Christian Schlicht: Nachdem ich in der Bauabteilung bei Würth begann, bin ich nach zwei Jahren in die Expansionsabteilung gewechselt. Dort war ich dafür zuständig, neue Verkaufsniederlassungen aufzubauen. In diesem Rahmen habe ich mich auch um die Einführung der Unternehmenssoftware SAP für den Immobilienbereich von Würth gekümmert. Das war das erste Mal, dass ich mich intensiv mit dem Thema Daten und Prozesse beschäftigt habe. Ich bin dann 2015 zur ECE Group gewechselt, ein Projektentwickler, der viele Einkaufszentren in seinem Portfolio hat. Dort habe ich mich ebenfalls sehr stark um die unternehmensweite Implementierung von SAP gekümmert. Hier ging es unter anderem darum, die Abstimmung von Planung, Bau und Betrieb zu verbessern und die Immobilien der ECE Group ganzheitlich zu managen. Wir haben in diesem Rahmen zum Beispiel einen digitalen Zwilling für ein Einkaufszentrum erstellt oder mit den ersten KI-Anwendungen gearbeitet.
Wie sieht das konkret im Gebäudesektor aus? Was kann KI dort leisten?
Dr. Christian Schlicht: Im Rahmen der Tätigkeit bei meiner Firma Beyond Tech GmbH haben wir einen Kunden bezüglich der bundesweiten Identifikation von Wohnimmobilien aus den 1950er- und 60er-Jahren beraten. In diesem Rahmen konnten wir die KI nutzen, um die Gebäudetypologie mit Hilfe von Satellitenbildern und weiteren Datenquellen zu bestimmen. Als Folge haben wir unter anderem das Nachverdichtungspotenzial, die Eigentümerverhältnisse, die Bewohneranzahl, die Dachneigung, die Größe und Anzahl der Wohneinheiten, den Energieverbrauch und die klimatischen Bedingungen ermittelt. Dafür eignet sich Künstliche Intelligenz perfekt, weil sie große Datenmengen nach einem bestimmten Suchmuster schnell auswerten kann.
Wie lässt sich das dadurch erzeugte Wissen nutzen?
Dr. Christian Schlicht: Die Gesamtbetrachtung, die dadurch möglich ist, hat zum Beispiel den Vorteil, dass man eine geplante Sanierung seriell vornehmen kann – wie etwa in Form eines großflächigen Sanierungsfahrplans oder der kommunalen Wärmeplanung, die nicht nur ein Stückwerk, sondern aus einem Guss ist. Allerdings benötigt die KI entsprechend strukturierte Daten, um die richtigen Muster herauslesen zu können. Ich muss im Vorfeld also genau wissen, welches Ergebnis ich eigentlich erzielen will. Sonst funktioniert das Ganze nicht. Spannend wird es immer, wenn man die Parameter, die auf ein Gebäude einwirken, aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachtet. Dafür benötige ich ein breites Datenspektrum. Die Komplexität der Aufgabe benötigt in diesem Fall den Einsatz entsprechend vielschichtiger Datenmengen.
Wie verhält es sich eigentlich mit dem Datenschutz bei der Verwendung von Künstlicher Intelligenz?
Dr. Christian Schlicht: Das werde ich immer wieder gefragt und ich kann nur sagen: Im Healthcare-Bereich werden die Daten der PatientInnen – also die wohl sensibelste Datengruppe, die vorstellbar ist –, problemlos DSGVO-konform verwendet. Das heißt, der Umgang mit diesen Daten erfüllt die durch die EU vorgegebene "Datenschutzgrundverordnung" zum Schutz personenbezogener Daten. Im Immobilienbereich arbeiten wir meist mit objektbezogenen Daten. Diese haben nicht die Granularität, um Rückschlüsse auf persönliche Informationen zu ziehen. Um ein Beispiel zu nennen: Ich kann zwar ermitteln, wie viele Menschen in einem Gebäude einen bestimmten Strombedarf erzeugen, aber ich kann nicht das Verhalten einer einzelnen Person ableiten.
Ich würde gerne auf die konkrete Gebäudeplanung kommen sowie auf die Bereiche Energie, Wasser und Luft. Welchen Mehrwert kann Künstliche Intelligenz hier schaffen?
Dr. Christian Schlicht: Messen, Zählen und Wiegen sind hier die Stichworte. Die KI kann etwa Vorschläge zum Nutzerverhalten machen und so Szenarien liefern, die als Grundlage für eine optimale Gebäudesteuerung dienen. Immerhin verbringen wir 90 Prozent unserer Zeit im umbauten Raum. Ein Beispiel wäre die Belegungsdichte in einem Bürogebäude über den Tag verteilt. Mit diesen Szenarien lässt sich Energie einsparen und ein besseres Raumklima erzeugen, was zur Folge hat, dass sich Menschen gerne dort aufhalten.
Die ISH hat für ihre Veranstaltungsstruktur verschiedene Lösungsfelder entwickelt. Dazu zählen Themen wie wasserführende Systeme und Wärmeerzeugung. Was kann Künstliche Intelligenz in diesen Lösungsfeldern leisten?
Dr. Christian Schlicht: Über die wasserführenden Systeme lässt sich sehr viel darüber ableiten, was in der jeweiligen Immobilie passiert. Sie können zum Beispiel über Wasseranalysen den Gesundheitszustand der NutzerInnen ermitteln. Diese Analysen haben natürlich nicht die erforderliche Granularität, um einzelne Personen zu bestimmen. Aber sie lassen Rückschlüsse über Maßnahmen zu, um die Hygiene zu verbessern. Das war ein Thema, das während der Corona-Pandemie sehr stark in den Fokus gerückt ist. Beim Thema Wärmeerzeugung haben wir ja oft das Problem, das wir die richtigen Dinge an der falschen Stelle tun. Wenn ich die Energie dort produzieren würde, wo ich sie wirklich brauche, dann müsste man nicht irgendwelche aufwendigen Trassen von Nord- nach Süddeutschland verlegen. Dafür muss ich aber genau analysieren, welchen Primärenergiebedarf ich vor Ort habe und daraus zukünftige Szenarien für eine sinnvolle Infrastruktur entwickeln.
Können Sie Beispiele dafür nennen?
Dr. Christian Schlicht: Es bringt nichts, eine Lagerhalle nach ihrem Potenzial für die Bestückung durch eine Photovoltaikanlage zu untersuchen, wenn der Netzbetreiber nicht die dafür notwendigen Netzkapazitäten bereitstellen kann. Die Analyse von unterschiedlichen Daten hilft uns dabei, solche Projekte ganzheitlich zu betrachten. So lassen sich die notwendigen Schritte ableiten, damit ein Projekt sinnvoll umgesetzt werden kann. Ein weiteres Beispiel wäre die Sektorenkopplung, die eine intelligente, energetische Vernetzung von Immobilien ermöglicht. Das würde es etwa ermöglichen, die überschüssige Wärme des einen Gebäudes in ein benachbartes Gebäude abzuleiten. So lassen sich Synergien erzeugen, von denen beide Immobilien profitieren, weil weniger gekühlt werden muss und die überschüssige Wärme sinnvoll weiterverwendet wird.
Weitere Themen auf der ISH sind die Herstellung qualitativ hochwertiger Komponenten und die Entwicklung effizienter Lösungen für die Installation. Kann Künstliche Intelligenz in diesen Bereichen einen Beitrag leisten?
Dr. Christian Schlicht: Wir werden in Zukunft immer weniger neue Gebäude bauen und stattdessen fast ausschließlich mit dem Bestand arbeiten. Deshalb wird es verstärkt darum gehen, die Immobilie so transparent wie möglich zu machen, indem ich dokumentiere, was dort genau verbaut wurde. Das erleichtert spätere Sanierungen und Umnutzungen. Künstliche Intelligenz kann zum Beispiel durch Bilderkennung dabei helfen, den Bestand zu erfassen und Auskunft darüber geben, wie der technische Stand des Gebäudes ist.
Sie hatten anfangs erwähnt, dass es darum geht, die vorhandenen Informationen und Werkzeuge in einen sinnvollen Gesamtzusammenhang zu stellen. Was kann die ISH, übertragen auf die Bereiche Energie, Wasser und Luft, hier leisten?
Dr. Christian Schlicht: Das Thema der ganzheitlichen Betrachtung betrifft auch den Austausch der Hersteller untereinander, die Lösungen anbieten müssen, die mit anderen Produkten kompatibel sind – gerade, wenn es um eine intelligente Vernetzung von Geräten und Systemen geht. Dafür ist die ISH eine gute Plattform. Außerdem bietet sie mit der "Building Future Conference" eine Veranstaltung, in der verschiedene Protagonisten zusammenkommen – seien es VertreterInnen aus der Politik, der Immobilien- und Wohnungswirtschaft oder Energieversorger und ArchitektInnen. Erst durch eine gemeinsame Vernetzung können wir sinnvolle Lösungen entwickeln. Das gilt sowohl für die KI als auch den Menschen.